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In „Leere Netze“ erzählt Behrooz Karamizade von einem jungen Mann im Iran, der sich auf kriminelle Pfade begibt, um die Liebe seines Lebens heiraten zu können.

Leere Netze (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Amir und Narges

„Leere Netze“ schildert eine Liebesgeschichte, die an den äußeren Umständen zu zerbrechen droht – im Stil von tragischen Stoffen wie „Hero und Leander“, „Tristan und Isolde“ und „Romeo und Julia“. Ähnlich wie Cary Jôji Fukunaga in „Sin nombre“ (2009) kombiniert der 1978 geborene deutsch-iranische Drehbuchautor und Regisseur Behrooz Karamizade in seinem Langfilmdebüt das zeitlose Motiv der unglücklich verhinderten Zweisamkeit mit einem sehr aktuellen und genauen Blick auf die Situation eines Landes und schafft damit starkes politisches Kino.

Karamizade immigrierte 1984 zusammen mit seiner Familie über die ehemalige Sowjetunion durch die damalige DDR nach Westdeutschland. Bei seinem Film handelt es sich um eine deutsche Produktion, die jedoch gänzlich mit iranischer Crew und mit iranischer Besetzung im Iran realisiert wurde. Leere Netze erzählt von Armut und Ausbeutung, von Kriminalität und lebensgefährlichen Momenten, ist allerdings kein Werk, das in der Darstellung einer Gesellschaft nur auf Negativklischees setzt. Auch der Zusammenhalt und die Fürsorge zwischen den Menschen werden gezeigt.

Die Hauptfiguren Amir (Hamid Reza Abbasi) und Narges (Sadaf Asgari) sind ineinander verliebt, können sich aber nur heimlich auf einer abgelegenen Baustelle treffen, weil sie noch unverheiratet sind. Eine Hochzeit kommt wiederum derzeit noch nicht infrage, weil sich Amir die Mitgift nicht leisten kann. Gerade erst hat er seine Arbeit bei einer Cateringfirma verloren, da er es wagte, die Kaltherzigkeit des Chefs zu kritisieren. Um das Versteckspiel beenden zu können, muss Amir schnell an Geld kommen.

Dies führt dazu, dass er bei einer ländlichen Fischerei an der Küste des Kaspischen Meeres anheuert. Rasch muss Amir dort erkennen, dass der Knochenjob bei allem Einsatz im Kampf gegen die inhumanen Arbeitsbedingungen kaum etwas einzubringen vermag. Auf faire Bezahlung wird hier ebenso wenig Wert gelegt wie auf einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Deutlich einträglicher sind indes die Teilnahme an nächtlichen Wettspielen und die illegalen Geschäfte mit Kaviar. Und so gerät Amir mehr und mehr in kriminelle Machenschaften hinein, die ihn von Narges entfernen.

Hamid Reza Abbasi vermittelt in seiner intensiven Verkörperung glaubhaft, wie der anfangs sehr idealistische Amir langsam den Halt verliert. Amirs Ziele und Träume sind fest umrissen; der Weg dorthin scheint jedoch wiederholt in Sackgassen zu enden. Er wird zu einem Handlanger in einem brutalen System, zu dem er nie gehören wollte. Das Skript macht Amir weder zum passiven Opfer, noch verurteilt es den Protagonisten für dessen Taten. In der Umsetzung bleibt die von Ashkan Ashkani geführte Kamera nah an Amir dran – ob über oder unter Wasser, beim stillen Erfassen der zumeist desillusionierenden Lage oder beim aktiven Eingreifen, das ihn (und uns) oft noch tiefer in den Abgrund zieht.

Wenn Amir hingegen mit seiner Mutter (Pantea Panahiha) interagiert oder wenn er seinem Kollegen und Freund Omid (Keyvan Mohammadi) zu helfen versucht, blitzt die Menschlichkeit auf, die von dem herrschenden System zwar unterdrückt, aber niemals völlig zerstört werden kann. Leere Netze ist in seiner Nachzeichnung einer Abwärtsspirale hart und realistisch, lässt uns dabei jedoch stets die Empathie für seine Figuren spüren. Es muss für sie (und für alle) einfach mehr als Leere geben.

Leere Netze (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Gefangen

Eine deutsche Produktion, komplett im Iran mit dortiger Cast und Crew gedreht: Aber dann ist Leere Netze eben doch eine ziemlich eindimensionale Angelegenheit. Amir (Hamid Reza Abbas) liebt Narges (Sadaf Asgari), sie liebt ihn zurück; in der ersten Szene sehen wir die beiden an der Küste. Er schwimmt im Meer und hat Spaß. Sie darf natürlich nicht einfach einen Badeanzug anziehen, wartet außen auf einem Felsen. Er will zeigen, wie toll er tauchen kann, sie hat Angst um ihn. Er denkt nur daran, wie lange er die Luft angehalten hat.

Die Liebe der beiden ist die Basis für den Abwärtsstrudel, in den sich Amir willentlich reinschmeißt. Aber allein schon diese Grundlage für alles ist brüchig, weil wir als Zuschauer von dieser ersten Szene an das Gefühl haben, dass diese beiden eigentlich nicht zueinander gehören. Natürlich kann es im Iran keine intimen Szenen geben – also sowas wie Händchenhalten oder gar unschuldige Küsse –, aber Regisseur Behrooz Karamizade, 1984 mit seiner Familie aus dem Iran immigriert, gelingt es in seinem Langfilmdebüt nicht wirklich, eine Nähe, eine Chemie zwischen seinen beiden Liebenden zu kreieren.

Amir stammt aus armer Familie. Er will Narges heiraten, hat aber seinen Job verloren – er war zu gutherzig – und kann die Versorgung nicht sicherstellen, die sich Narges‘ Eltern vorstellen. Zumal der traditionelle Brautpreis ohnehin viel zu hoch ist. Also heuert er bei einer Fischerei an. Harte Arbeit, wenig Geld, aber er arrangiert sich. Bei abendlichen Aalfangwetten – an einem Pool in einer Halle – tritt er an und gewinnt. Er erkennt schnell, dass der Chef was nebenher laufen hat: illegales Störfischen, Kaviarhandel. Er steigt mit ein. Und zur geografischen Entfernung von der Geliebten kommt die moralische und emotionale Auseinanderentwicklung, wenn sich Amir für das große künftige Glück in kriminelle Machenschaften hineinbegibt.

Das Fischereigeschäft wird sehr anschaulich gezeigt: Die Netze sind an der Küste ausgelegt, werden eingezogen, eine Menge Müll ist drin verfangen. Des Nächtens muss Amir raus, auf kleinen Motorbooten, und die Seenetze von Plastiktüten befreien, tauchend. Die Störe werden gefangen, ausgenommen, der Kaviar ausgestrichen, der Rest weggeworfen. Das sind starke Szenen, sie zeigen die harte Arbeit, vor allem auch die Ausbeutung, denen die Arbeiter in ihrer Armut ausgesetzt sind: Sie bekommen wenig und müssen die Unterkunft selbst bezahlen.

Nach einer Stunde geht es hopplahopp. Nader wird tot aus dem Meer gefischt, er war Amirs Vorgänger bei den nächtlichen Tauchgängen. Die Polizei taucht auf, schließt die Fischerei; und Omid (Keyvan Mohamadi), Amirs Zimmergenosse, entpuppt sich plötzlich als Freiheitsblogger, politisch verfolgt, der sich beim Fischen versteckt, bis er gegen viel Geld rüber nach Aserbaidschan gefahren wird. Amir hilft dem Freund, gegen Geld, versteht sich, und das ist der Point of No Return für ihn.

Es dreht sich alles ums Geld. Das System ist knallhart. Selbst die Liebe hängt daran und der Beruf und die Freundschaft, aber in Leere Netze bleibt dies doch eher eine große Behauptung. Die Musik unterstützt ganz kräftig. Wenn Amir traurig ist, dann tönt die Musik ganz traurig, damit auch das Publikum traurig wird. Dies ist aber nicht genug für einen Film; insbesondere im Vergleich mit anderen Iran-Filmen, sowohl aus dem Land als auch aus dem Exil, denen es immer wieder gelingt, emotionale Kraft mit moralischen Dilemmata, Paradoxien, Zwickmühlen zu verknüpfen.

Dieser Film hingegen ist eine geradlinige Abwärtsbewegung, die nicht einmal vom Schicksal, sondern von Amirs Entscheidungen abhängt – Narges gerät immer mehr in den Hintergrund, je weiter sich Amir in seinem Unglück verstrickt, und sie ist diejenige, die uns am Ende leid tut. Amir hat da beim Zuschauer schon lange verloren.

Leere Netze (2023)

Amir liebt Narges und Narges liebt Amir. Sie träumen davon, ein gemeinsames Leben aufzubauen, doch als Amir seinen Job verliert, rückt eine Heirat in weite Ferne – zu hoch ist der Brautpreis, den die iranischen Traditionen von ihm verlangen. In der Hoffnung, die Klassenunterschiede mit harter Arbeit überwinden zu können, heuert Amir bei einer ländlichen Fischerei an der rauen Küste des Kaspischen Meeres an und verstrickt sich dort in kriminelle Machenschaften illegaler Kaviar-Wilderei. Zunehmend gerät Amir in einen gefährlichen Sog, der auch die Beziehung zu Narges gefährdet. 

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