Julia (2013)

Eine Filmkritik von Benjamin Wirtz

"Ich bin ein krummes Geschöpf Gottes"

Julia ist transsexuell. Als Junge namens Jaroslav machte sie einen der besten Abschlüsse an ihrer Schule in Litauen, danach begann sie ein Kunststudium. Ihre Lehrer waren begeistert von ihrem Talent und sagten ihr eine Zukunft als berühmter Künstler voraus. Dann aber begab sie sich auf einen ganz anderen Lebensweg und verließ Litauen. Heute arbeitet die 30-Jährige in Berlin als Prostituierte, hat eine Vergangenheit mit Jobs in Pornokinos, verdreckten Bars und auf dem Straßenstrich hinter sich. Sie ist alkohol- und drogensüchtig.
Die Regisseurin Johanna Jackie Baier begleitete die Transsexuelle zehn Jahre lang mit der Kamera. Öfters gab es in der Zeit längere Kontaktabbrüche, weil Julia ganz plötzlich abgetaucht ist, doch immer wieder haben sich die beiden erneut gefunden. Der Film Julia gibt Einblicke in Abschnitte ihres Lebens, ihre Ansichten und in das Milieu, in dem sie lebt. In teils expliziten Szenen zeigt er Julia beim Drogenkonsum und bei der Sexarbeit. Baier hat Julia in der Zeit nicht nur gefilmt, sondern vorwiegend fotografiert. Viele dieser Fotos werden im Film in einzelnen Sequenzen mit Musikuntermalung vorgeführt. Sie spiegeln Julias Stolz und Selbstbewusstsein, aber auch ihre Egozentrik wider, der auch in den bewegten Bildern vermittelt wird.

Man kann es wohl niemandem übel nehmen, wenn er Julia nicht sympathisch findet. Sie ist vulgär, respektlos und meist sturzbesoffen und/oder auf Drogen. Es ist zuerst schwer vorstellbar, mit ihr überhaupt ein ernsthaftes Gespräch führen zu können. Erst nach einer Weile bemerkt man ihre Intelligenz und ihren weichen Kern. So bleiben zunächst zwei mögliche Reaktionen auf sie und damit auf den Film: Entweder man wird als Zuschauer von ihrer Art abgestoßen und verliert damit auch jegliches Interesse am Film, oder aber man spürt – ähnlich wie es der Regisseurin Johanna Jackie Baier ergangen sein muss – eine Faszination für diese spezielle Person, für ihre strikte Nichtbeachtung jeder sozialen Konvention. Auch wenn Julia schwierig und anstrengend ist – sie ist zumindest immer authentisch, sie spricht ehrlich und direkt über sich selbst, ihre Ansichten und ihr Leben.

Man sieht Julia ungeschönt in ihren schwächsten Momenten: Wenn sie sturzbesoffen ist und kotzt, wenn sie sich eine Spritze gibt, wenn sie sich in die Hosen macht. Doch niemals wird sie vor der Kamera bloßgestellt. Sie bewahrt immer ihre Würde und bleibt sie selbst. Sie betont häufig, dass sie sich diese Zukunft selbst ausgesucht hat, dass sie eigentlich aus gutem Hause kommt und sich auch für eine andere Zukunft hätte entscheiden können. Julia schämt sich ihrer nicht, sondern ist stolz auf sich. Dabei ist sie aber auch unglücklich. In mehreren emotionalen Szenen spricht sie erstaunlich selbstreflexiv über sich, über ihre Desillusionierung, ihr Versagen und ihre Suche nach Identität.

Obwohl man Julia als Zuschauer oft in ihren intimsten Momenten begleitet und ihre Meinung ungefiltert aus ihr heraussprudeln hört, hat man trotzdem nicht wirklich das Gefühl, sie richtig kennenzulernen. Es sind Einblicke in die Person Julia und ihr Leben, und auch in die Milieus, in denen sie sich herumtreibt. Doch obwohl man ihr so nah kommt wie selten einer Person, bleibt sie einem dennoch eigenartig fremd.

Julia (2013)

Julia ist transsexuell. Als Junge namens Jaroslav machte sie einen der besten Abschlüsse an ihrer Schule in Litauen, danach begann sie ein Kunststudium. Ihre Lehrer waren begeistert von ihrem Talent und sagten ihr eine Zukunft als berühmter Künstler voraus. Dann aber begab sie sich auf einen ganz anderen Lebensweg und verließ Litauen.
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