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Aus den USA kommend, unter den Nazis verboten, in der Nachkriegszeit unter der Besatzung aufgeblüht: Das ist der Jazz. Doch wie steht es heute um ihn? Regisseur Reinhard Kungel begibt sich auf Spurensuche.

Jazzfieber (2023)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Swingtanzen erlaubt!

Bevor der Rock’n’Roll die Teenagerzimmer eroberte, ja bevor es den Begriff des Teenagers in Deutschland überhaupt gab, brachten andere Töne besorgte Eltern und vermeintliche Jugendschützer auf die Palme: der Jazz. Doch wie ist es heute bestellt um die Musikrichtung, die hierzulande Größen wie Paul Kuhn, Max Greger und Hugo Strasser bekannt machten? Der Regisseur und leidenschaftliche Hobbymusiker Reinhard Kungel schwingt das Tanzbein.

Die Leute vom Fach sind gespalten. Klarinettist Rolf Kühn (1929–2022), Pianist Peter Thomas (1925–2020), der als Komponist für die Titelmelodie zur Raumpatrouille Orion (1966) verantwortlich zeichnete, und Klaus Doldinger (Jahrgang 1936), der mehr noch als Jazz-Saxofonist für seine Filmmusiken zu Das Boot (1981), Die unendliche Geschichte (1984) sowie die Titelmelodie des Tatort bekannt ist, halten die Musikrichtung für viel zu lebendig, um jemals auszusterben. Saxofonist und Big-Band-Leader Max Greger (1926–2015) und Schlagzeuger Peter Baumeister (Jahrgang 1940) attestieren dem Jazz hingegen keine große Zukunft. Zu wenige junge Menschen hörten die Musik noch und im Fernsehen sei auch kein Jazz mehr zu sehen, sagt etwa Greger. Im Kino tritt derweil Jazzfieber den Gegenbeweis an.

So gespalten wie bei der Frage nach der Zukunft ist die hier vor der Kamera versammelte Runde auch in anderen Angelegenheiten, etwa der, ob die aus den USA importierte Musikrichtung denn nun eigentlich wie im englischen Original „Dschäs“ (in Lautschrift: „[d͡ʒɛːs]“) oder doch eher deutsch, also „Jatz“ („[jat͡s]“) ausgesprochen werde. Bei beiden Fragen herrscht heitre Uneinigkeit, von Cutter Thomas Holzhäuser und Kungel selbst amüsant aneinandermontiert.

Verteilt auf sieben Kapitel zeichnet Kungel die Geschichte des deutschen Jazz von seinen Anfängen bis in die Gegenwart nach und zeigt die Musik als belebendes Element einer spießbürgerlichen Gesellschaft. Für Deutschlands Osten dient ihm Karlheinz Drechsel (1930–2020), der von 1959 bis 1991 die Sendung Jazz Panorama moderierte und für seine Liebe zum Jazz schon mal mit der Stasi in Konflikt geriet, als Kronzeuge. Da die überwiegende Mehrheit der zu Wort Kommenden inzwischen verstorben ist, greift Kungel tief in die Archiv-Kiste und dabei auf die Archive verschiedener Rundfunkanstalten und sein eigenes zurück, denn Kungel hat viele prominente Vertreter über die Jahre hinweg immer wieder mit der Kamera festgehalten.

Als formale Klammer dienen dem Film gleich mehrere musikalische Ereignisse: die letzte Konzertreise von Paul Kuhn (1928–2013), Hugo Strasser (1922–2016) und Max Greger mit der SWR Big Band, eines der letzten Konzerte mit Heinz Jakob „Coco“ Schumann (1924–2018), die Proben zu einem der letzten Konzerte von Rolf Kühn sowie zwei Konzertreisen jüngerer Musizierender, der Münchner Band Feindsender um Pianist und Vibraphonist Tizian Jost und Sängerin Hannah Weiss sowie einer Jazz-Combo aus Trompeter Jakob Bänsch, Sängerin und Pianistin Alma Naidu, Bassistin Caris Hermes, Schlagzeugerin Mareike Wiening sowie Pianist und Komponist Niklas Roever. Ganz schön viel und mitunter zu viel des Guten!

Angesichts dieser Überfülle wirkt Jazzfieber immer ein wenig improvisiert; wie ein wuseliges Sammelsurium, dem eine klarere Struktur gutgetan hätte. Letzten Endes passt das ja aber zum Gegenstand. Die mal amüsanten Anekdoten, mal zutiefst bewegenden Zeitzeugenberichte, allen voran Schumanns Erinnerungen an seine Zeit in Theresienstadt und Auschwitz, wiegen die formalen Schwächen allemal auf. Und als Zeitdokument ist Kungels Fleißarbeit, alles und jeden ein letztes Mal mit der Kamera festzuhalten, gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Auch wenn einige der deutschen Jazz-Größen, wie eingangs erwähnt, die Zukunft der Musikrichtung kritisch sehen, ist Kungels Film kein Abgesang. Ganz in Gegenteil zeigt er anhand einer jungen, musikbegeisterten Generation auf, dass der Jazz nicht nur weiterlebt, sondern auch neue Wege geht. Im Vergleich zu den Hochzeiten mag das Publikum massiv geschrumpft sein, totzukriegen ist er jedoch nicht.

Vor allem aber ist Jazzfieber eine Würdigung der Lebensleistungen der darin zu Wort kommenden und inzwischen nicht mehr unter uns weilenden Musiker. Ein berührender filmischer Nachruf und ein Aufruf, (wieder mehr) Jazz zu hören. Anders als unter der Naziherrschaft ist in diesem Film und nach dem Kinobesuch Swingtanzen ausdrücklich erlaubt!

Jazzfieber (2023)

Jazz ist hip! Ob im Club oder im Tanzpalast – swingende Rhythmen sind en vogue, auch und gerade unter jungen Menschen! Dabei wissen die wenigsten um die Wurzeln dieser Musik, die vor ziemlich genau 100 Jahren die Tanzböden der Metropolen hierzulande eroberte. Wie kam der Jazz nach Deutschland? Warum wurden Swing-Kids in Zwangslager und Jazzmusiker sogar ins KZ verschleppt? Wodurch gelang dem Jazz nach dem Krieg der Durchbruch? Welche Bedeutung hat er heute für die jungen JazzmusikerInnen? Ausgehend vom Lebensumfeld jazzbegeisterter junger Menschen und MusikerInnen macht sich „Jazzfieber. The Story of German Jazz“ auf die Suche nach Antworten. (Quelle: jazz2germany.de)

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Meinungen

Hermann Worch · 30.09.2023

Der Film war mir zu deutsch, zu korrekt.
Zu viel Gerede, zu wenig Musik.
Die Meinung sollte sich aber jeder selbst bilden.
Also reingehen!

Andreas K · 25.08.2023

Wow, spannede Thematik. Den Film werde ich auf jeden Fall ansehen. 😍