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In „Holly“ stellt Fien Troch eine Ausgegrenzte ins Zentrum – und zeigt, wie diese nach einem tragischen Vorfall zur Wunderheilerin stilisiert wird.

Holly (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Heilige?

Carrie“ (1976), Brian De Palmas Adaption des gleichnamigen Stephen-King-Romans, ist bis heute einer der eindringlichsten Filme über Mobbing an der Schule. Bekanntermaßen endet die Geschichte damit, dass die Protagonistin via Telekinese ein Inferno entfacht, nachdem sie mit Schweineblut übergossen wurde. Neben weiteren Bearbeitungen der literarischen Vorlage und zahlreichen Variationen der Geschichte könnte sich nun auch „Holly“, das neue Werk der 1978 geborenen belgischen Filmemacherin Fien Troch, auf diese (Genre-)Pfade begeben.

Wir lernen die 15-jährige Holly (Cathalina Geeraerts) als Außenseiterin kennen. Neben ihrer älteren Schwester Dawn (Maya Louisa Sterkendries) gibt es im schulischen Umfeld nur eine einzige Bezugsperson für sie: ihren besten Freund Bart (Felix Heremans), der aufgrund seiner Neurodivergenz wiederum ebenfalls den Hänseleien seiner Mitschüler:innen ausgesetzt ist.

Die zurückhaltende und doch stets leicht unbehaglich anmutende Bildsprache lässt, noch unterstützt durch die intensive musikalische Untermalung von Johnny Jewel, jederzeit einen Einbruch von Thriller- oder gar Horrorelementen befürchten – zumal Holly von ihren Klassenkamerad:innen als „die Hexe“ tituliert wird.

Und tatsächlich ereignet sich schließlich eine Katastrophe – jedoch nicht wie bei King und vergleichbaren Stoffen. Ein Feuer an der Schule bricht aus; fast ein Dutzend von Menschen kommt dabei ums Leben. Holly hatte sich an jenem Tag per Telefon krankgemeldet – mit der Begründung, sie habe eine Ahnung, dass dies ein sehr schlechter Tag werde. Neun Monate später ist noch immer vom „Fluch der Hexe“ die Rede.

Aber dann nimmt das Ganze eine durchaus überraschende Wendung: Angeregt durch die engagierte Lehrerin Anna (Greet Verstraete) wird Holly Teil eines Teams von Freiwilligen, das sich um die trauernden Angehörigen der Opfer kümmern soll. Anna kommt dabei durch ihre Beobachtungen zu der (vermeintlichen) Erkenntnis, dass Holly Menschen auf magische Weise von ihren negativen Gefühlen befreien kann.

Alsbald macht diese Überzeugung in der Gemeinde die Runde. Immer mehr Leute wollen sich von Holly helfen und heilen lassen, geben ihr sogar Geld, damit sie sich ihrer annimmt. Anfangs genießt die Jugendliche die ungewohnte Aufmerksamkeit – bis sie sich ausgebeutet und bedrängt fühlt.

Ohne auf eine reißerische Zuspitzung hinzuarbeiten, erfasst Troch auf subtile Weise die Dynamik in einer Kleinstadt – und zeigt, wie sich etwas durchweg Positives (die Fähigkeit, Trost zu spenden) in einen Konflikt verwandeln kann, wenn es korrumpiert wird. Spannend ist, dass der Film die mögliche Gabe der Titelheldin weder als eindeutig vorhandene übersinnliche Kraft noch als bloße Illusion darstellt, sondern offen lässt, wie wir diese interpretieren wollen. In erster Linie sehen wir eine junge Frau, die ihrem jeweiligen Gegenüber mit Empathie begegnet. Dass daraus ein „Geschäft“ und eine Sensation gemacht wird, wirft gewiss ein äußerst zweifelhaftes Licht auf unsere Gesellschaft.

Cathalina Geeraerts verkörpert Holly wunderbar ambivalent – einerseits als unbedarfte Person, die sich über den Schmuck und die Sneaker freut, die sie sich von dem unverhofften Geld leisten kann, und andererseits als Mysterium, das sich nicht gänzlich ergründen lässt. Die Überforderung, die sich einstellt, als von allen Seiten Wünsche an sie herangetragen werden, ist ebenso überzeugend wie die zärtliche Zuneigung, die sie ihrem Kumpel Bart, glaubhaft und eindringlich gespielt von Felix Heremans, entgegenbringt. Zur interessanten dritten Figur wird zudem die Lehrerin Anna, die ihre eigenen Ziele verfolgt und Grenzen übertritt.

Holly fängt die unterschiedlichen Stimmungen im Laufe des Plots sensibel ein und wird dadurch sowohl zu einem facettenreichen Coming-of-Age-Drama als auch zu einer komplexen Studie über Trauer, Wunderglaube und dessen Folgen.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Holly (2023)

Die 15-jährige Holly ruft ihre Schule an und teilt ihr mit, dass sie den ganzen Tag zu Hause bleiben wird. Kurz darauf bricht in der Schule ein Feuer aus, bei dem mehrere Schüler ums Leben kommen. Da alle von der Tragödie betroffen sind, kommt die Gemeinschaft zusammen und versucht zu heilen. Anna, eine Lehrerin, ist von Holly und ihrer seltsamen Vorahnung fasziniert und lädt sie ein, sich der Freiwilligengruppe anzuschließen, die sie leitet. Hollys Anwesenheit scheint denjenigen, denen sie begegnet, Seelenfrieden, Wärme und Hoffnung zu bringen. Doch bald beginnen die Menschen, Holly und ihre kathartische Energie zu suchen und verlangen immer mehr von dem jungen Mädchen. (Quelle: Tarantula Luxembourg)

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