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Das beliebte Genre der dokumentarischen Reisefilme beschränkt sich keineswegs auf Selbsterfahrungstrips von amateurhaftem Charme. Der deutsche Regisseur und Produzent Roberto Fischer hält sich bei der Erkundung des Wüstenstaats Niger an das Programm eines kommerziellen Reiseveranstalters. 

Expedition Niger - pures Afrika (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Konvoi zu den Nomaden

Niger ist ein Land der Gegensätze. Es gilt als eines der ärmsten der Welt, 80 Prozent der Einwohner sind Analphabeten und die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Bevölkerung wächst rasant. Zwei Nomadenstämme, die Woodabe und die Tuareg, pflegen selbstbewusst ihre kulturellen Traditionen. Im geschichtsträchtigen Land gäbe es für Touristen einiges zu besichtigen, wie die bis ins 11. Jahrhundert zurückreichende Innenstadt von Agadez am Rande der Sahara, die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Aber Terrororganisationen, die Menschen entführen, sind in Niger eine permanente Gefahr.

Der Dokumentarfilmer Roberto Fischer hat für diese Produktion aus dem Jahr 2020 eine der seltenen touristischen Expeditionen ins Land begleitet. Der aus Russland stammende Veranstalter Alexey Kolbov, der sich auf Reisen in entlegene Gebiete und zu indigenen Stämmen auf verschiedenen Kontinenten spezialisiert hat, wird hier vom nigrischen Reiseleiter Yaou Mahaman unterstützt. Die Teilnehmer der Reise werden zudem von bewaffneten Soldaten der Nationalgarde begleitet, die potenzielle Angreifer schon durch ihre Präsenz abschrecken sollen. Von der Hauptstadt Niamey im Südwesten geht es in Jeeps durchs Landesinnere bis nach Iférouane. Kaum lässt der Autokonvoi Niamey hinter sich, preist der Voice-Over-Kommentar das Kommende dem filmischen Untertitel gemäß als „pures Afrika“ an. Im Fluss Majia badet ein Nilpferd – vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, dass der ziemlich reißerische Begriff „pur“ auch wirklich Klischees meint. Die zahlungskräftigen Touristen, unter ihnen etliche Unternehmer, wollen ihren kurzen Statements zufolge die Wüste und die Nomadenvölker kennenlernen.

Die Woodabe und die Tuareg stehen dann auch bald in ihren traditionellen Gewändern vor der Kamera. Die jungen Männer der Woodabe schmücken sich zum Brautschau-Festival Guérewol prächtig heraus, mit perlenverzierten Zöpfchen, weißen Farbtupfern im Gesicht, schwarz bemalten Lippen und Straußenfedern auf ihren Turbanen. Dem Kommentar sind viele interessante Informationen zu entnehmen. Auch vom landeskundigen Reiseleiter Mamadan erfährt man einiges über Land und Leute. Die Tour führt zu windumtosten Dörfern mit Lehmbauten oder Strohhütten. In den Siedlungen der Sahelzone aber werden so gut wie keine Gespräche mit Einheimischen gefilmt. Einmal gibt es ein gemeinsames Fußballspiel und die Kamera fängt auch oft lächelnde, fröhliche Gesichter ein. Ein idealistischer Lehrer darf einmal von seiner Arbeit erzählen. Er unterrichtet in dem von extremistischen Banden bedrohten Gebiet Jungen und Mädchen, von denen viele mit ihren Eltern nach wenigen Monaten weiterziehen. Die wenigen Bücher und Bleistifte müssen sich mehrere Kinder teilen.

Die genügsam lebenden Hirten schöpfen das Wasser für sich und ihre Tiere aus Brunnen – einer davon wurde mit deutscher Entwicklungshilfe gebaut. Aber die Wüste wächst unerbittlich. Die Aufnahmen sind visuell ansprechend, erinnern dabei aber an den Stil gedruckter Reiseführer, die Attraktionen anpreisen. Ihnen geht es eher nicht um eine authentische Atmosphäre, wie sie der ungerichtete Blick, die Stille, der Wind, die Stimmen vor Ort entstehen lassen würden. Dafür gibt es immer wieder auflockernde Aufnahmen in Fischaugenoptik, beispielsweise von einem Touristenauto, das auf dem sandbedeckten Globus unter seinen Rädern gerade noch Platz findet. Vor neugierigen, reichen Touristen ist buchstäblich kein Ort der Welt sicher – so könnte man diese Bilder auch deuten, obwohl sie natürlich nichts Kritisches im Sinn haben, sondern flotte Abenteuer- und Entdeckungslust betonen wollen.

Auch die üppig eingespielte Musik trägt zur artifiziell-stylischen Anmutung des Films bei. Ob es nun über staubige Wüstenpisten geht oder auf lokale Märkte, beinahe ständig erklingen energiegeladene Lieder aus dem breiten Spektrum afrikanischer Popmusik. Der fröhliche Gesang wirkt aufputschend, auf Dauer aber auch enervierend. Denn auch solche musikalische Begleitung legt sich interpretierend über die Aufnahmen und hebt sie aus dem realen Kontext heraus. Insgesamt ist Expedition Niger so ein Film geworden, der auch dem Reiseveranstalter gefallen dürfte. Er ist zwar durch die Fülle eingestreuter Fakten über kulturelle Sitten, Lebensumstände und klimatische Bedingungen sehr aufschlussreich, lässt aber die Offenheit vermissen, sich unmittelbarer auf die Realitäten vor Ort einzulassen.

Expedition Niger - pures Afrika (2023)

Der Reisefilm von Roberto Fischer begleitet eine der seltenen Expeditionen durch den Niger. Von einem Militärkonvoi vor Überfällen und Entführungen geschützt, führt die Reise unter anderem zu zwei der letzten Nomadenstämme der Erde: den Woodabe und den Tuareg.

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Meinungen

Luise Wenisch · 31.10.2023

Filmkritiker können manchmal, genauso wie Buchkritiker, schon komisch sein. Wahrscheinlich um den eigenen Beruf zu rechtfertigen. Ich habe den Film während der LetsDok-Filmtage gesehen und schließe mich der Filmkritik von Bianka Piringer absolut nicht an. Der Film wurde im Neuen Rottmann Kino minutenlang mit standing ovations gefeiert. Auch hat er nicht umsonst viele internationale Preise gewonnen. Diese Dokumentation war nicht nur sehr informativ, sondern begegnete der Bevölkerung mit ganz viel Respekt . Die Realität in solch armen Ländern Welt ist hart genug. Da muss man die Menschen nicht noch runter machen! Vielleicht sollten Sie, Frau Piringer mal dorthin reisen.

sven · 30.09.2023

Super Informative und Reale Darstellung Afikas. Kann nur empfehlen für die neue generation