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Was ihr Vater beruflich macht, weiß Ieva Lešinska lange Zeit nicht. Als sie es erfährt, steht ihr Leben plötzlich kopf. In Jaak Kilmis und Gints Grūbes Dokumentarfilm versucht sie, es geradezurücken.

Die Tochter des Spions (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Familiärer Friedensschluss

Es heißt, das Leben schreibe die besten Geschichten. Ieva Lešinska-Geiberes Leben ist filmreif. 1958 als Ieva Lešinska in Lettland geboren und aufgewachsen, krempelt eine Reise in die USA alles bis dahin Geglaubte um. Als Ieva ihren Vater Imants Lešinskis 1978 in New York besucht, wird aus einem ganz gewöhnlichen, an ein typisches Teenagerdrama erinnerndes Leben, ein Agententhriller. Die nächsten acht Jahre hört Ieva auf den Namen Evelyn Dorn. Die Regisseure Jaak Kilmi und Gints Grūbe erzählen diese Geschichte in ihrem Dokumentarfilm nach.

Die Taten ihres Vaters hätten fast ihr ganzes Leben bestimmt, sagt Ieva aus dem Off. Bis heute bleibt der 1985 verstorbene Imants Lešinskis für sie ein Rätsel. Um ihr eigenes Leben leben zu können, um sich von ihrem Vater lösen und mit ihm Frieden schließen zu können, müsse sie ihn endlich verstehen. Jaak Kilmis und Gints Grūbes Film soll ihr dabei helfen. Er ist Spurensuche, Selbstbefragung und Inszenierung zugleich.

Von ihrem Kommentar getragen – in der deutschen Synchronisation eine angenehm weiche Stimme –, taucht die Protagonistin in eine geschmeidig fließende Collage aus Archivaufnahmen, nachgestellten Szenen und aktueller Recherche ein. Was sie dabei zutage fördert, könnte auch einem Hollywood-Film entnommen sein. Kurz nach Ievas Geburt werden ihre Eltern in Moskau vom sowjetischen Geheimdienst KGB zu Spionen ausgebildet. Unter falschen Identitäten sollen sie in Westberlin die Gesellschaft unterwandern. Doch es kommt anders. Sie lassen sich scheiden und Ieva wächst bei ihrer Mutter Marta auf.

Der Vater macht derweil Karriere, in welcher Profession ist Ieva lange Zeit nicht klar. Sie sieht Imants nur noch alle paar Monate, trifft ihn in Cafés oder Restaurants und hat keinen blassen Schimmer, was der stets schick gekleidete Papa beruflich macht. Während ihres USA-Besuchs 1978 arbeitet er offiziell für die sowjetische Delegation bei den Vereinten Nationen. Dann läuft er gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Rasma und Ieva über und bekommt eine neue Identität verpasst: Peter Friedrich Dorn, ein US-Amerikaner mit deutscher Abstammung. Wie sich im Verlauf des Dokumentarfilms herausstellt, spielt der Mann mit den Koteletten und dem gezwirbelten Schnurrbart schon seit 1960 ein doppeltes Spiel.

Kilmi und Grūbe dröseln diese Biografie voller Lügen und Geheimnisse chronologisch auf. Das Rätsel können aber auch sie nicht vollständig entschlüsseln. In seinen besten Momenten ist das spannend wie ein Spionagethriller, in seinen schlechtesten unentschlossen und leer. Die größte Leerstelle bleibt Ievas Leben nach dem Ableben ihres Vaters. Welchen Einfluss dessen Taten bis heute auf sie haben, wird nie ganz klar. Dass sie selbst ein beachtliches Leben führt, eine preisgekrönte Übersetzerin und literarische Journalistin ist, verschweigt der Film. Die sich aus diesen gegensätzlichen Lebensentwürfen von Vater und Tochter ergebenden Spannungen fehlen ihm folglich.

Spannend ist hingegen die Form. Bei den Inszenierungen der wahren Geschehnisse handelt es sich nicht um das gewohnte Reenactment. Stattdessen hält das Regieduo Ievas Erinnerungen, von denen es keine Fotos gibt, fotografisch fest. Der Prozess dieser Inszenierungen, mit Fotomodellen und akribisch nachgebauten Räumen, ist dabei ebenso ersichtlich, wie Ieva aktiv an den Foto-Shootings teilnimmt. Welche Funktion sie erfüllen, bleibt indes unklar. Sollen hiermit nicht vorhandenes Archivmaterial ausgeglichen und Filmminuten gefüllt werden? Oder sind die nachgestellten Szenen Teil von Ievas Verarbeitungsprozesses? Am Ende trifft wohl beides zu, und es ergeben sich immer wieder beeindruckende Momente, die so aussehen, als stünde Ieva mit ihrem jüngeren Ich in ihren eigenen Erinnerungen.

Die Tochter des Spions (2020)

Der Kalte Krieg war das Zeitalter der Spionage. Der Film erzählt ein Einzelschicksal aus dieser Zeit. Die Geschichte der Ieva Lesinska alias Evelyn Dorn lässt uns die historischen Herausforderungen einer Epoche nacherleben, in der die Welt in zwei unversöhnliche Hälften geteilt war – manchmal auf tragische, manchmal auch auf skurril-komische Weise.

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