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Der Dokumentarfilm widmet sich zwei Widerstandsgruppen gegen Nazideutschland, die unter dem Namen „Die Rote Kapelle“ firmierten. Die eine operierte in Deutschland, die andere unter Führung eines sowjetischen Agenten in Brüssel und Paris. Im Kalten Krieg wurde ihre Geschichte instrumentalisiert.

Die Rote Kapelle (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Widerstand, nicht Vaterlandsverrat

In Nazideutschland gab es ein loses Netzwerk von Widerstandskämpfer*innen, das von der Gestapo den Namen „Die Rote Kapelle“ verpasst bekam. Die gleiche Bezeichnung erhielt eine Gruppe, die aus Brüssel und Paris die Sowjetunion mit Nachrichten über die kriegerischen Pläne Hitlerdeutschlands belieferte. Nach dem Krieg wurden die Mitglieder der deutschen Gruppe in Westdeutschland oftmals als Vaterlandsverräter diskreditiert. Ehemalige Gestapo-Häscher, die – um Straffreiheit bemüht – beim Bundesnachrichtendienst unterkamen, strickten sogar die Legende, dass die Rote Kapelle in Deutschland weiterhin kommunistische Spionage betreibe. Führende Medien fielen darauf herein. Dieser Dokumentarfilm von Carl-Ludwig Rettinger rollt die spannende, lange von Ost und West unter dem Aspekt des Kalten Krieges instrumentalisierte Geschichte beider Gruppierungen auf. Er ist laut einer Texteinblendung am Ende den 102 Widerstandskämpfer*innen der Roten Kapelle gewidmet, die hingerichtet wurden, Selbstmord begingen oder in Konzentrationslagern umkamen.

Besonderes Gewicht verleihen diesem Film, der sich nicht nur auf Archivmaterial und historische Forschung stützt, die Erzählungen von Angehörigen zentraler Personen der Roten Kapelle. Sie erhöhen die Authentizität und wirken an manchen Stellen sehr bewegend. Das gilt zum Beispiel für die Schilderung des Historikers Hans Coppi Junior, der sagt: „Meine Mutter und mein Vater lassen mich nicht los.“ Als er 1942 in Berlin zur Welt kam, war seine Mutter Hilde bereits von den Nazis inhaftiert. Die Mutter habe ihn einmal bei einem Besuch dem ebenfalls gefangenen Vater zeigen dürfen, kurz vor dessen Hinrichtung. Auch die Mutter wurde später hingerichtet, als eine von 19 Frauen, die, obwohl sie Zivilistinnen waren, vor dem Reichskriegsgericht als Landesverräterinnen angeklagt wurden. Vater Hans Coppi hatte zum Freundeskreis von Harro Schulze-Boysen, dem führenden Kopf der Roten Kapelle in Deutschland, gehört und war von ihm als Funker angeworben worden.

Schulze-Boysen hatte schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers als junger linksliberaler Autor die Grausamkeit der Nazis am eigenen Leib erfahren. SS-Schläger prügelten seinen jüdischen Freund Henry Erlanger zu Tode, er selbst überlebte den Gewaltangriff schwer verletzt. Er beschloss, nach außen hin angepasst, gegen das Regime zu opponieren und wurde Offizier im Luftfahrtministerium. Mit seiner Frau Libertas traf er beim Zelten, im Schutz der freien Natur, ähnlich gesinnte Künstler und Intellektuelle, von denen sich viele bereits von ihrer Zeit bei der Bündischen Jugend kannten. Man diskutierte, druckte Flugblätter, verteilte Klebzettel, organisierte Hilfe für Verfolgte. Aber 1940 erschien das Schulze-Boysen und seinem Mitstreiter Arvid Harnack nicht mehr genug. Sie beschlossen, die Sowjetunion vor dem Einmarsch der Nazis zu warnen. So begann eine Zusammenarbeit mit der Brüsseler Gruppe um den Agenten Leopold Trepper, einem ehemaligen Palästina-Kämpfer.

Die Geschichte, die der Film zu erzählen hat, steckt voller bitterer Pointen. So glaubte das Ausland den geheimen Nachrichten der Roten Kapelle aus Deutschland des Öfteren nicht. Die USA wollten 1938 nicht hören, dass Hitler den Krieg plane, Stalin verwarf 1941, noch unmittelbar vor dem Überfall der Nazis, die einschlägigen Warnungen. Die Brüsseler Gruppe funkte auch unter deutscher Besatzung Belgiens weiter. Als die deutsche Spionageabwehr Ende 1941 das Haus ausfindig machte und die Beteiligten festnahm, wollte sie die Preisgabe des Geheimcodes von Sophia Poznanska, der Expertin für die Verschlüsselung, mit Folter erzwingen. Aber Poznanska ging schweigend in den Selbstmord – eine Heldin der Résistance, der ein ehrendes Andenken gebührt.

Wie erzählt man eine so komplizierte, verzweigte Geschichte über mehrere Personen und ihre gefährliche Tätigkeit im Verlauf etlicher Jahre? Rettinger und Co-Regisseur Lorenz Findeisen können auf Reenactment-Szenen verzichten, denn sie überlassen die Bildebene zu weiten Teilen Ausschnitten aus zwei Spielfilmen über die Rote Kapelle, die beide Anfang der 1970er Jahre herauskamen. Die siebenteilige Fernsehserie Die rote Kapelle von Franz Peter Wirth, eine Westproduktion, lief in der ARD, in der DDR wurde die DEFA-Produktion KLK an PTX – Die Rote Kapelle gezeigt. Wechselnde Erzähler*innen steuern zu den Ausschnitten aus diesen beiden Filmen eigene, oft tiefer gehende und zusätzliche Informationen bei. Zum aus dem Off eingesprochenen Filmkommentar gesellen sich die erwähnten Angehörigen und andere Personen wie der fundiert berichtende französische Historiker Guillaume Bourgeois.

Diese vielen Stimmen und Gesichter, die häufigen Schnitte in die Spielfilme und wieder heraus, Fotos und weiteres Archivmaterial geben dem Dokumentarfilm eine recht komplizierte Konstruktion, die hohe Aufmerksamkeit erfordert. Aber sie vermag auch zu fesseln wie ein Thriller. Rettinger legt, wie einige seiner Gesprächspartner*innen, auch Wert darauf, die beiden Spielfilme der 1970er Jahre kritisch zu kommentieren. So wird bemerkt, dass sie die Folter, die Gerichtsprozesse und Hinrichtungen aussparten, und vermutet, dass so noch lebende Täter und Strippenzieher in Ost und West geschont werden sollten. In der Sowjetunion war man beispielsweise nach dem Krieg mit Trepper wie mit einem Verbrecher umgegangen: Er landete im Gefängnis. Auch diese hoch spannende Geschichte wird hier nicht ausgespart.

Denn der Dokumentarfilm beschränkt sich nicht nur auf die Zeit bis zum Kriegsende. So schildert er unter anderem auch, dass die auf die Rote Kapelle angesetzten Nazi-Schergen unbehelligt blieben. Mit seiner enormen Fülle an Material aus verschiedensten Quellen wirkt dieser Film sehr überzeugend und um ein ausgewogenes, umfassendes Bild dieser verzweigten Widerstandsbewegung bemüht.

Die Rote Kapelle (2021)

Die „Rote Kapelle“ bezeichnet ein wichtiges Widerstandsnetz in Nazideutschland und gleichzeitig einen sowjetischen Spionagering in Paris/Brüssel. Im Gegensatz zur Weißen Rose und zum Stauffenberg-Kreis sind die Widerstandskämpfer:innen der „Roten Kapelle“ lange Zeit als „Vaterlandsverräter“ denunziert worden. Während in der BRD ehemalige Gestapo-Leute die „Rote Kapelle“ als kommunistisches Spionagenetzwerk diskreditierten, vereinnahmte in der DDR, die Staatssicherheit das angeblich kommunistische Netzwerk für ihre Zwecke. So wurde das Andenken der „Roten Kapelle“ historisch verfälscht.

Erst heute, auf Basis aktueller historischer Recherchen, kann die dramatische Geschichte mithilfe von Spielfilmausschnitten und Aussagen von Nachfahren und Historiker:innen umfassend erzählt werden. Die Geschichte der Widerstandskämpfer:innen der „Roten Kapelle“ ist damit aktueller denn je.

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