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Einst hatten die Mitteleuropäer den Wolf in ihren Breiten ausgerottet, nun heißen sie ihn als geschützte Tierart willkommen. Aber nicht alle sind mit seiner Wiederansiedlung einverstanden: Der Wolf reißt Schafe und könnte womöglich auch Menschen angreifen. Wie viel Wolf verträgt die Liebe zur Natur?

Die Rückkehr der Wölfe (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

… denn das Raubtier, das hat Zähne

Vor 150 Jahren war der Wolf in Mitteleuropa ausgerottet. Nun aber kehrt er als geschützte Tierart in angestammte Siedlungsgebiete zurück. In der Schweiz hat sich 2011 erstmals ein Wolfspaar fortgepflanzt. Seit 2012 muss der Schafhalter Ueli Metz auf der Alp Ramuz Herdenschutzhunde einsetzen, um die Zahl der gerissenen Tiere zu drosseln. Er glaubt nicht, dass die Wölfe in der Schweiz eine Zukunft haben. Sein Landsmann David Gerke sieht hingegen keinen unlösbaren Widerspruch zwischen Wolfsansiedlung und Beweidung in den Alpen. Er hütet selbst Schafe auf Sommeralmen und engagiert sich als Leiter der Gruppe Wolf Schweiz für das Raubtier.

Die Rückkehr des Wolfs polarisiert und wird kontrovers diskutiert, ob nun in der Schweiz, in Deutschland oder Österreich. Der Dokumentarfilm des Schweizers Thomas Horat geht der Frage nach, warum das Verhältnis des Menschen zum Wolf so schwierig ist. Auch fragt er Wildbiologen, ob die weit verbreitete Angst vor dem Raubtier berechtigt ist. Horat beschränkt sich in der Wahl seiner Drehorte und Gesprächspartner*innen nicht nur auf die Schweiz: „Bei uns steht es immer gleich in der Zeitung, wenn sich ein Wolf blicken lässt.“ Er hört und sieht sich deshalb auch in Gegenden um, in denen der Wolf nie ausgerottet war, wie in Polen, Bulgarien und dem US-Bundesstaat Minnesota. Außerdem besucht Horath zwei Wildbeobachter und Naturführer in der ostdeutschen Lausitz sowie Bauern und Tierforscher in Österreich.

Wie Ueli Metz in der Schweiz beklagen auch zwei Schafhalter in Österreich, dass der Wolf die Kosten in die Höhe treibe: Die Herdenschutzhunde und sonstigen Maßnahmen machten die Beweidung der Almen schnell unrentabel. In Bulgarien begleiten wegen der Wölfe seit jeher Hirten die Schafherden, auf der Alm bei Ueli Metz wäre das zu teuer. Mehrere Experten fordern, dass den Schafhaltern finanziell geholfen werden müsse.

Vor allem in den Stellungnahmen der Wildbiologen und Wolfsbeobachter wird deutlich, dass das konflikthafte Verhältnis von Mensch und Wolf tiefere Gründe hat, die in der Geschichte, in der Einstellung des Menschen zur Natur und in seinem Kontrollbedürfnis liegen. Die Attacken tollwütiger Tiere trugen historisch zum Image der Bestie ebenso bei wie Zeiten, in denen Menschen aus Armut mehr Wild jagten und die hungernden Wölfe sich dann ihrerseits den Siedlungen näherten. Eine Animationssequenz im Stil von Wald- und Jagddarstellungen auf alten Gemälden erinnert an die Zeit, in der die Ausrottung des Wolfs in Mitteleuropa in vollem Gange war.

Inzwischen hat sich der Zeitgeist radikal geändert. Gerade bei Stadtbewohner*innen steht die Liebe zur Natur hoch im Kurs und mit ihr auch die Ansicht, dass Raubtiere wie Wolf, Bär und Luchs eine Existenzberechtigung in den heimischen Wäldern haben. Aber die Idee, in relativer Nähe zu dicht besiedelten Gebieten und Kulturlandschaften große Raubtiere zu tolerieren und zu akzeptieren, widerspricht wiederum dem menschlichen Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis. Einige der Wissenschaftler*innen, die im Film zu Wort kommen, verweisen auf die Gefahr, den Wolf als harmloses Wesen misszuverstehen. Der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal von der Universität Wien sagt, Wölfe seien sehr kreativ und könnten unerwartete Dinge tun.

Der amerikanische Wolfsforscher David Mech ist sich mit dem Schweizer Wildtierbiologen Reinhard Schnidrig einig, dass Wölfe nicht überall toleriert werden können. Der Wolf sei sehr anpassungsfähig und würde den Menschen und ihren Siedlungen zu nahe kommen, wenn er seine Scheu verlöre. Die Wildtierbiologin Shannon Barber-Meyer aus Minnesota aber geht mit ihrer Familie oft in den von Wölfen bewohnten Wald und hat keine Angst, dass etwas passieren könnte. Durch Monitoring in freier Natur versuchen Wissenschaftler*innen wie sie, mehr Erkenntnisse über die Lebensgewohnheiten der Tiere zu gewinnen. Indem der Film seine Schauplätze überwiegend draußen im Gelände findet, liefert er atmosphärisch wirksame Aufnahmen weiter Landschaften, die beim Betrachten die Lust wecken, sie zu selbst zu erkunden und Tiere zu beobachten.

Es zeichnet den vielseitig informierenden Film aus, dass er mit seinen Interviewpartner*innen das Thema der Rückkehr der Wölfe recht unvoreingenommen und kontrovers behandelt. Er teilt mit vielen der Befragten lediglich die Feststellung, dass der Wolf nach Mitteleuropa zurückgekommen ist, um zu bleiben. Die Menschen aber, so viel macht Horats Film auch klar, müssen erst noch herausfinden, wie sie mit dieser Tatsache am besten umgehen.

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