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Zwei Schweizer, ein kleines Zeltlager und jede Menge wilder Bären. Nur ein schmaler Elektrozaun schützt den Biologen David Bittner und den Filmemacher Roman Droux vor den gefährlichsten Wildtieren Alaskas. Warum reist man freiwillig dahin, wo der „Grizzly Man“ Timothy Treadwell 2003 zerfleischt wurde?

Der Bär in mir (2019)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Wo die wilden Bären wohnen

Die moderne Welt zu Gast im weitgehend autarken Bärenland. An der Südküste Alaskas und in immer noch völlig unberührter Natur leben nach wie vor deutlich mehr Bären als Menschen. Genau dorthin, wo Werner Herzogs realer „Grizzly Man“ Timothy Treadwell (1957-2003) einst zusammen mit seiner Freundin von einem 28-jährigen Braunbären zerfleischt wurde, reist seit Jahren auch der Schweizer Molekularbiologe David Bittner.

Der 1977 in Bern geborene Bärenflüsterer hat sich als Naturfotograf und Verhaltensforscher in der Zoologieszene bereits seit längerem einen Namen gemacht. Denn der in der Schweiz als „Bärenmann“ auftretende Biologe zählt mittlerweile ein Dutzend an sich hochgefährlicher, nie kontrollierbarer Zodiak- und Küstenbraunbären sowie Grizzlys zu seinen best buddies, denen er Kosenamen wie „Luna“, „Bruno“, „Balu“, „Berta“ oder „Fluffy“ gibt und die man als Zuschauer im Roman Droux’ nicht selten atemberaubendem Tier-Natur-Dokumentarfilmwunder Der Bär in mir tatsächlich ziemlich gut kennenlernt.

Schließlich reist der junge Familienvater Bitter jeden Sommer von Neuem in den ebenso glanzvollen wie furchteinflößenden Katmai-Nationalpark mit seiner unendlichen Weite wie seinen majestätischen Berggipfeln, wo sich außer Hunderttausenden Lachsen normalerweise kein Mensch hin traut, weil es vor Ort schlichtweg zu gefährlich, zu einsam und zu abgeschieden ist.

Begleitet von Hightech-Foto- und Filmequipment sowie dem Regisseur Roman Droux höchstselbst begegnet David Bittner seinen geliebten Vierbeinern aus wirklich allernächster Nähe in diesem ziemlich kurzweiligen Tierfilm, der mit extremen Handyaufnahmen ebenso wie mit zauberhaften Beauty Shots aufwartet, ordentlich unterhält und sich in filmfestivaltechnischer Vermarktung wie formal-ästhetischer Aufmachung gezielt an ein großes Dokumentarfilmpublikum richtet.

„It’s ok“, sagt der grundsympathische Mann mantraartig zu den gewaltigen Allesfressern, wenn ihm diese wieder einmal aus purer Neugierde oder einsetzender Fresssucht all zu nahe gekommen sind, weil der parallel stattfindende Laich-Zug der Lachse erst langsam begonnen hat, während dem Schweizer Filmemacher Roman Droux (David Bittner unter Bären) wie dem Betrachter angesichts diverser bizarrer Mensch-Tier-Momente ein weiteres mal das Herz in die Hose rutscht.

Denn für eine extrem direkte Begegnung mit den Bären, sozusagen auf Augenhöhe und lediglich in geringstem Sicherheitsabstand, oder eine waghalsige Kameraperspektive riskiert der durchaus selbstkritische David Bittner („Man ist als Mensch in einer solch unberührten Wildnis immer ein Störfaktor“) in Der Bär in mir oft genug nichts weniger als Leib und Leben. Für ihn ist es quasi selbstverständlich, sich in noch warme Bärenhöhlen hineinzulegen.

Ob ein tierfanatischer Mensch wie David Bittner nun „Beherrscher und Besitzer der Natur“ sei oder umgekehrt, darüber zerbrach sich schon René Descartes im 17. Jahrhundert den Kopf. Und wie ein wissenschaftlich versierter Abenteuer wie der Berner Biologe nun in dieser unser aller Natur mit Flora und Fauna „richtig“ umgehen soll, verhandelt auch Roman Droux’ geschickter Autorenblick in durchaus moralisch-philosophischem Fahrwasser, was Der Bär in mir im Subtext eine weitere spannungsreiche Betrachtungsebene ermöglicht.

Wenngleich der Filmtitel im ersten Moment etwas reißerisch klingt, einige direkte Zitate aus Antonine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ nicht wirklich notwendig gewesen wären und sich die musikalische Begleitung teils rührselig, teils gefühlsduselig gestaltet, ist Der Bär in mir mit Sicherheit einer der gelungensten Tierdokumentarfilme der vergangenen Jahre.

Mit Anmut wie Chuzpe im Off-Kommentar, einem jederzeit markanten Protagonisten im On sowie einer Myriade hinreißend-fesselnder Soloeinstellungen, die wilde Bären in all ihren grausamen wie herzerweichenden Facetten zeigen, ist Roman Droux mit Der Bär in mir zweifelsohne eine bildstarke Dokumentarfilmode für die große Kinoleinwand gelungen.

Der Bär in mir (2019)

Am äußersten Ende Alaskas erfüllt sich für den weitgereisten Filmemacher Roman Droux ein Traum. Er taucht in die Welt jenes Fabeltiers ein, das ihn seit seiner Kindheit fasziniert und in den Schlaf begleitete. Der bekannte Bärenforscher David Bittner nimmt ihn mit in das Land der Bären. In die vielleicht letzte Wildnis Nordamerikas. Ein Küstengebirge umgeben von endlosen, menschenleeren Stränden. Eine Welt, in der die Grizzlybären das Sagen haben, und keine Spur menschlicher Zivilisation zu finden ist.

Hier machen sich die beiden Abenteurer auf die Suche nach einem Bärenmännchen und einer jungen Bärin, zu denen David Bittner eine enge Beziehung aufgebaut hat: sein Freund Balu und seine große Liebe Luna.

Die ersten arktischen Sonnenstrahlen des anbrechenden Sommers erwecken die Bären zum Leben. Sie kommen aus ihren Höhlen hinab auf die saftigen Küstenwiesen, um in den kristallklaren Wildbächen und an den Stränden nach Lachsen zu suchen. Bald sind die beiden Männer umgeben von unzähligen Wildtieren, mittendrin in der Welt der Bären. Sie erleben die Fürsorglichkeit einer ausgehungerten Bärenmutter, die entkräftet versucht, ihre Jungen durchzubringen. Erleben blutige Kämpfe riesiger Bärenmännchen, und die Tragik des Überlebenskampfes der wehrlosen Bärenkinder. Die Fabelwelt entpuppt sich als Momentum der Schönheit und Gefahr.

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