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Mit seinem Dokumentarfilm geht Maurizius Staerkle Drux auf die Spur des französischen Pantomimen Marcel Marceau und wirft einen Blick auf dessen Erbe.

Die Kunst der Stille - Marcel Marceaus Geheimnis (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Aus dem Leben eines Pantomimen 

Was weiß man über die Kunst der Pantomime? In welchem Verhältnis steht sie zur eigentlichen Schauspielkunst? Wie unterscheidet sich ein Pantomime von einem Clown? Das sind alles Fragen, die man sich sofort stellt, wenn das Thema aufkommt. Der Dokumentarfilm von Maurizius Staerkle Drux wird sie nur sehr lose beantworten. Vielmehr setzt der Schweizer Regisseur und Tonmeister – letzteres ist in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert –, auf das Evozieren einer Stimmung. Das Emotionale und Persönliche in verschiedenen Formen stehen für ihn im Mittelpunkt der Recherche. 

Welche berühmten Pantomimen kennen wir überhaupt? Schnell wird klar, dass dies nicht viele sind. Außer man denkt eben an Clowns wie Grock, Charlie Rivel oder Dimitri, denn Pantomime ist bei vielen von ihnen wesentlicher Bestandteil ihres Darstellungsstils. Die Kunst der Stille lautet der Titel des Films. Pantomime ist die Kunst, ohne akustisches Signal zu kommunizieren, Gefühle zu vermitteln und schließlich zu unterhalten. Die Geschichte eines bekannten Pantomimen, des Franzosen Marcel Marceau, nimmt Staerkle Drux zum Anlass, um über diese Kunstform zu sprechen. 

Das Leben Marceaus bietet tatsächlich reichhaltiges Material für nicht nur die Auseinandersetzung mit der Pantomime, sondern auch mit dem Weltgeschehen des 20. Jahrhunderts. Marceau, der eigentlich Mangel hieß, stammte aus einer elsässischen jüdischen Familie. Auch für ihn bedeutete der Zweite Weltkrieg einen markanten Einschnitt. Seine Schauspielerausbildung unterbrach er. Er schloss sich in Frankreich der Widerstandsbewegung an, sein Vater wurde deportiert und ermordet. Marceau half dabei, jüdischen Kindern falsche Pässe zu besorgen und diese so in die Schweiz zu schmuggeln. 

Um dieser frühen Phase in Marceaus Leben genügend Raum zu bieten, greift der Regisseur auf unterschiedliche Quellen zurück. Originalaufnahmen von Marceau stehen zu diesem Thema nicht zur Verfügung. Was überliefert wurde, Videos, Fotografien und Tonaufnahmen, konzentriert sich auf Marceaus Auftritte oder Marceaus Gedanken über seine Kunst. Deswegen kommen hier zwei Zeitzeugen zu Wort: Ein mittlerweile 108-jähriger Mann, der Marceau bei den Schmuggelmanövern geholfen hat, und dessen Sohn. Insgesamt sollen dank deren Engagement über 300 Kinder gerettet worden sein. 

Innerhalb des Films wirkt diese Erzählung wie ein isolierter Exkurs. Er stört ein wenig den Erzählfluss. Entweder hätte es hier noch eine genauere Erörterung gebraucht, oder man hätte aus dem Stoff gleich einen eigenen Film gemacht, oder es hätte schließlich für die kurze Information eine eingeblendete Tafel gereicht. Dass es wohl vor allem an Anschauungsmaterial dazu gefehlt hat, zeigen die etwas forciert wirkende Interaktion mit dem alten Mann, der aus lauter Verzweiflung einem sein tägliches Turnprogramm vorführt – alle Muskeln müssten trainiert werden, damit man in Form bleibt, auch die des Geschlechtsteils, sagt er. Glücklicherweise endet seine Vorführung dann rechtzeitig. Eine genauso befremdliche Episode ist im übrigen auch die Rekonstruktion einer Zugfahrt eines Kindes, die stellvertretend für die damals in die Schweiz geretteten Kinder stehen soll.

Die Kunst der Stille ist von etwas unausgeglichenem Charakter. Es drängt sich das Gefühl auf, dass dem Regisseur der Mut zu Leerstellen fehlte. Immer wieder gelingt es ihm zu zeigen, wie die Kunst der Pantomime die Menschen zu berühren mag. Die Momente sind aber recht kurz. Diese Stille, die für die Pantomime so wichtig ist, hätte in den Film übertragen werden müssen. Dafür hätte es allerdings eine etwas offenere Struktur gebraucht. Der Film ist nämlich insgesamt recht schnell geschnitten und schon fast zu laut, zu wortreich. 

Gerne hätte man länger der Parkinsonsgruppe zugesehen, die Pantomime als Therapie nutzt. Auch dem Vater des Regisseurs, der durch seine Taubheit eine ganz besondere Beziehung zur Pantomime hat, hätte man lieber öfters auf der Bühne betrachtet. Unbefriedigend sind ferner die Szene, in denen versucht wird, Marceaus Ehefrau und Töchter in den Film einzubinden. Im Interviewstil versuchen sie, ihren Mann beziehungsweise Vater zu beschreiben. Sehr weit führt das aber nicht, was sie sagen wirkt phrasenhaft. 

Viel interessanter ist stattdessen der Umgang mit Marceaus Erbe. Die Familie betreibt nämlich weiterhin ein Theater, das Marceau gewidmet ist. Die Frauen sind selbst darin künstlerisch tätig. Und auch Marceaus Enkel ist Tänzer und beeinflusst von der Kunst des Großvaters. 

Der Film bleibt bei aller Unausgeglichenheit und der Neigung zu formalen Manierismen deshalb sehenswert, weil er einen Einblick in ein Thema gibt, das bisher kaum Beachtung gefunden hat. 

Die Kunst der Stille - Marcel Marceaus Geheimnis (2021)

Der erste Kino-Dokumentarfilm über den weltbekannten Pantomimen Marcel Marceau. Nur mit Gesten und Mimik hat er die die Menschen rund um den Globus berührt und begeistert. Doch der tragische Hintergrund seiner Pantomimennummern ist lange verborgen geblieben. Marceau musste als Jugendlicher miterleben, wie sein jüdischer Vater von den Nazis verschleppt und getötet wurde. Er selbst schloss sich der Resistance an und schmuggelte jüdische Kinder heimlich über die Grenze. Marceau nutzte die Stille, um zu überleben. Daraus schuf er eine einzigartige Kunstform, die seine Familie und Weggefährten bis heute weiterführen. (Quelle: W-Film)

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