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In ihrem Langfilmdebüt erzählt die griechisch-deutsche Regisseurin Sonia Liza Kenterman von einem Mann, der sich in der Mitte seines Lebens neu erfindet. Eine Tragikomödie über alte Mode, neue Ideen und gute Manieren.

Der Hochzeitsschneider von Athen (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein altmodischer Herr geht mit der Zeit

So viel Poesie wie in diesem Film steckt selten in einem Debüt von deutschen Filmschaffenden. Vielleicht liegt es daran, dass Regisseurin Sonia Liza Kenterman nicht nur deutsche, sondern auch griechische Wurzeln hat und in Athen lebt. Oder daran, dass sie nicht in Deutschland, sondern in London studierte. Dort hat sie sich nicht nur ihre Kreativität bewahrt, sondern offensichtlich auch gelernt, dass ein Film sowohl tiefgründig sein als auch gut aussehen kann. Handwerklich steht sie ihrem Protagonisten in nichts nach.

Schon der Auftakt ist ein Lehrstück in filmischer Exposition. Der Herrenschneider Nikos (Dimitris Imellos) sitzt an seinem Arbeitsgerät – und die Musik spielt im selben Takt, in dem er das Fußpedal seiner Nähmaschine bedient und in der die Nadel auf den Stoff trifft. Eine kurze Bildfolge von Großaufnahmen später wissen wir im Grunde alles über diesen Mann, einen Tüftler, Pragmatiker und sanftmütigen Perfektionisten in prekärer Lage, ohne dass ein Wort gefallen ist. Ein meisterlicher Auftakt zu einer virtuosen Tragikomödie.

Nikos‘ Laden in der Athener Innenstadt ist so aufgeräumt wie sein Besitzer. Ein silbernes Döschen mit Bonbons ist der einzige Farbtupfer in diesem Grau in Grau. Adrett gekleidet und gescheitelt, wartet Nikos auf Kundschaft, die nicht kommt. Für teure Mode fehlt den griechischen Männern das Geld, der Sinn und die Wertschätzung. Doch wenn der Kunde nicht zum Anzug kommt, dann geht der Anzug eben zum Kunden. Mit einem selbstgebauten Handkarren versucht Nikos zwischen gebrauchten Büchern und Billigmode, später zwischen Gemüse und Fisch sein Glück. Allein der Anzug, den er am Leib trägt, ist mehr wert als die Ware, die um ihn herum verkauft wird.

Sonia Liza Kenterman erzählt von einem Mann aus einer anderen Zeit. Der 50-jährige Herrenschneider und sein Vater (Thanasis Papageorgiou), von dem er das Handwerk gelernt und den Laden geerbt hat, sind Relikte einer zu Ende gehenden Ära, in der Männer sonntags ihre maßgeschneiderten Anzüge, in denen sie später einmal beerdigt werden würden, aus dem Schrank holten und zur Schau trugen. Nikos Vater und zwei seiner guten Freunde flanieren heute noch so durch Athens Straßen. Doch während diese Ära mit ihnen aussterben wird, ist der Sohn noch jung genug, um sich neu zu erfinden.

In wunderschönen Einstellungen und mit feiner Musik, die das Geschehen ironisch kommentiert, zeigt Kenterman Nikos‘ Entwicklung: Wie er gemeinsam mit seiner Nachbarin Olga (Tamilla Koulieva) erst Frauenkleider und schließlich Hochzeitskleider näht, wie er sich in Olga verliebt, aber am Ende weiterzieht, um ihre Ehe mit Kostas (Stathis Stamoulakatos) nicht zu gefährden und ihre Tochter Victoria (Daphne Michopoulou), zu der er ein inniges, von kreativen Alltagsfreuden durchzogenes Verhältnis pflegt, nicht zu verletzten. Und wie er sich von seinem Vater und dessen überkommenen Ansprüchen emanzipiert. Für Sonia Liza Kenterman ist ihr Debüt auch ein Coming-of-Age-Film.

Beiläufig, aber keinesfalls belanglos erzählt dieser Film viel von der griechischen Gesellschaft in den Nachwehen von Finanz- und Regierungskrisen und europäischer Austeritätspolitik. Die Krankenhäuser haben weder Handtücher noch Bettwäsche, in den Behörden stapeln sich die Akten auf den Schreibtischen und ausrangierte Möbel auf den Gängen und das Ego mancher Männer kommt immer noch nicht mit berufstätigen Frauen klar. Um über die Runden zu kommen, wird gefeilscht und getauscht.

Zu all dem bildet der aus der Zeit gefallene Nikos einen urkomischen Gegen- und einen Ruhepol. Wie Buster Keaton verzieht auch Dimitris Imellos keine Miene, welche Unbill ihm auch widerfährt. Stattdessen begegnet er seiner Umwelt mit Nächstenliebe, Bescheidenheit und guten Manieren. Auch das ein aussterbendes Handwerk.

Der Hochzeitsschneider von Athen (2020)

Nikos ist ein Schneider alter Schule, stets stilvoll und nach strenger Etikette gekleidet. Tag für Tag sorgt er dafür, dass seine Schneiderei in der Athener Innenstadt staubkörnchenfrei bleibt. Doch es gibt kaum noch Kunden, die Wert auf eine persönliche Bekanntschaft mit ihrem Schneider legen. Schließlich droht der Bankrott und Nikos muss sich etwas einfallen lassen, wie er mit seinem Handwerk überleben kann. Mit viel Phantasie baut er sich einen fahrbaren Stand, sichert sich einen guten Platz auf dem Markt und beginnt in der Not sogar, Brautkleider zu nähen – ein sehr einträgliches Geschäft! Denn wie sich herausstellt, ist das griechische Hinterland übersäht mit heiratswilligen Bräuten. Und so schneidert sich Nikos durch das farbenfrohe Reich der prunkvollsten Damenmode. Schon bald ist seine sonst so penibel aufgeräumte Schneiderei vor Tüll, Pailletten, Spitze und Satin nicht wiederzuerkennen. Die hübsche, aber verheiratete Nachbarin Olga berät ihn mit wachsender Leidenschaft bei der Hochzeitsmode. Nikos und Olga sind geborene Kleidermacher, die für ihr Handwerk leben. Nikos verliebt sich und der verwaiste Salon des introvertierten Herrenschneiders mit all den feinen Stoffen wird zum traumhaften Refugium für zwei, die auch ihre eigene Welt ein wenig schöner machen wollen.

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Meinungen

Cosahh · 18.09.2021

Leider quälend langatmig. Bis etwas passiert, vergeht gefühlt eine Stunde. Berührend ist einzig das Vater-Sohn-Verhältnis. Die Späßchen mit der Nachbartochter nerven irgendwann, die Nachbarsehe ist stereotyp. Den Schneider sieht man nicht schneidern. So bleibt auch seine Kunst unglaubhaft. Schade um die schönen Bilder, die sympathischen Schauspieler, die Geschichte bleibt flach.

Schneyer stefanie · 14.02.2022

Ich stimme ihnen zu. Der Film wiederholt sich in Szenen, es gibt keine Momente zum schmunzeln. Sollte doch eine leichte Komödie sein....

Klaus Joachim Dejon · 11.09.2021

Wunderbar tiefsinnig auf sozial- gesellschaftlicher und persönlicher Ebene, besonders in der Kamerastudie der Protagonisten im Athener
Handwerksmilieu von heute. Eine Hommage auf die Schneiderkunst
der alten Schule, die man heute leider fast nur noch in fernen Länder ( z.B. Fernost)findet....absolut sehenswert!

The truth · 05.09.2021

Die Geschichte ist eine gute Idee. Die Umsetzung leider miserabel. Von der Kameraführung bis zu Umsetzung einfach miserabel.

Marlies Berben · 01.09.2021

Ein sehr schöner Film mit feinsinnigen Humor und liebenswürdigen Darstellern! Man fühlt sich hinterher wunderbar leicht und entspannt!