Das Hochzeitsvideo

Eine Filmkritik von Holger Lodahl

Horror mit Blick durch die Kamera

The Blair Witch Project revolutionierte im Jahr 1998 die Sehgewohnheiten der Zuschauer. Der Film zeigt durch Handkameras unruhige Bilder, mangelhaft ausgeleuchtete Sets und Schauspieler, die bei schlechtem Ton bewusst laienhaft agieren. The Blair Witch Project täuschte vor, aus echtem dokumentarischen Filmmaterial zu bestehen. Spannung und Aktion entsteht, weil die Handlung ausschließlich durch die Perspektive der Protagonisten erzählt wird.
Viele Filme haben das Konzept aufgegriffen – meist Horrorfilme. In Cloverfield (USA 2008) sind junge Erwachsene in New York auf der Flucht vor Monstern, [Rec] (Spanien 2007) zeigt die Aufnahmen einer jungen Reporterin auf der Flucht vor Zombies, und Paranormal Activity (USA 2007) sorgt ab Oktober 2012 schon mit dem vierten Teil der Reihe für Nervenkitzel.

Der Film Das Hochzeitsvideo von Sönke Wortmann (Der bewegte Mann, 1994; Das Wunder von Bern, 2003; Die Päpstin, 2008) möchte ebenfalls vorgeben, von den Filmfiguren selbst gedreht worden zu sein. Eine Idee, die recht naheliegend ist, aber keineswegs so originell, wie man auf den ersten Blick glauben mag – aus dem Jahr 2003 stammt nämlich ein Film des chilenischen Filmemachers Matías Bize, der nicht nur von der Grundidee, sondern auch vom Titel her Wortmanns Film in frappanter Weise gleicht – Sábadoe – Das Hochzeitstape / Sábado, una película en tiempo real hatte zwar nur eine Laufzeit von 65 Minuten, war aber dennoch auf einigen Festivals weltweit ein kleiner Erfolg und begründete die Karriere des damals gerade 24 Jahre alten Regiewunderkinds aus Lateinamerika.

Ob sich Wortmann nun hat inspirieren lassen oder nicht – fest steht, dass die Grundkonstellation eigentlich genug Material für ebenso dramatische wie komödiantische Verwicklungen bereithält: Wer kennt nicht die Hobby-Filmer, die mit ihren Handkameras Gäste und Vermählte auffordern, einen möglichst originellen Kommentar abzugeben. Und wer hat noch nicht erlebt, dass die Anwesenden erst gesittet beim Essen sitzen, später jedoch jegliche Masken fallen lassen, wenn der Alkohol fließt. Diese Möglichkeit möchte Das Hochzeitsvideo für sich nutzen. Die Handlung setzt einige Tage vor der Hochzeit von Pia (Lisa Bitter) und Sebastian (Marian Kindermann) ein. Freund Daniel (Martin Aselmann) filmt Vorbereitungen im noblen Schlosshotel. Der Hobby-Hochzeitsregisseur merkt schnell, dass Lästern und Tuscheln in den Zimmerecken spannender sind als die Bilder vom schönen Schein beim Abendessen. Pias freigeistige Verwandte (Susanne Tempper als Mutter und Matthias Brenner als Vater) und Sebastians konservative Eltern (Christiane Lemm und Michael Abendroth) streiten, Pias Ex-Freund – ehemaliger Pornodarsteller – (Simon Eckert) entfacht Eifersucht, und dass nach einer durchzechten Nacht die Trauringe verschwunden sind, sorgt für Panik beim Trauzeugen Fabian (Stefan Puppe). Heimlich richtet Daniel seine Kamera auf Pias Eltern („Möchtest du mit diesen Leuten verwandt sein?“), er entlarvt die Meinung der Brautjungfer („Warum heiratest Du Sebastian? Er ist ein wandelnder Bausparvertrag“) und er beobachtet Braut und Bräutigam beim Oralverkehr.

Das hat einige komische Momente, für eine große Komödie reicht es jedoch nicht. Regisseur Wortmann und Drehbuchautor Gernot Gricksch fügen ihrem Film kaum etwas hinzu, was Kinobesucher nicht schon selbst auf Partys und Vermählungen erlebt haben könnten. In Fahrt kommt Das Hochzeitsvideo erst beim Finale in der Kirche: Der Bräutigam weiß nicht, ob seine Braut nach den Ereignissen der vergangenen Tage erscheint.

Doch nicht durch das schwache Drehbuch ist Das Hochzeitsvideo kein Glanzlicht in Wortmanns Karriere. Der Film scheitert an der Idee, vollständig aus Daniels selbstgedrehtem Filmmaterial bestehen zu wollen. Wortmann drehte mit mehreren Kameras und erzählt aus mehreren Perspektiven, während er gleichzeitig vortäuscht, ausschließlich Daniel fange die Bilder ein. Eine Kamera, mehrere Blickwinkel, unstimmige Perspektiven – das ist unglaubwürdig. Dass später die Schwester der Braut zu einer zweiten Kamera greift, ist zwar eine folgerichtige Idee, macht aber das Konzept noch fragwürdiger. Die Bilder der beiden Perspektiven sind zu perfekt zusammengefügt, um wirklich den Eindruck entstehen zu lassen, Das Hochzeitsvideo sei aus Amateuraufnahmen entstanden.

Was den Film nicht ganz zum Desaster werden lässt, sind die guten Darsteller. Wortmann widerstand der Versuchung, seine Figuren mit bekannten Schauspielern zu besetzen. Die Rollen werden von Theatergrößen und jungen Talenten verkörpert, die noch nicht oder nur selten auf dem TV-Bildschirm oder der Kinoleinwand zu sehen waren. Das Hochzeitsvideo ist ein Film mit einer guten Grundidee, die Wortmann durch eine innovative Erzählweise umzusetzen versuchte. Leider ist der Regisseur mit seinem Versuch gescheitert.

Das Hochzeitsvideo

„The Blair Witch Project“ revolutionierte im Jahr 1998 die Sehgewohnheiten der Zuschauer. Der Film zeigt durch Handkameras unruhige Bilder, mangelhaft ausgeleuchtete Sets und Schauspieler, die bei schlechtem Ton bewusst laienhaft agieren.
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