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In „Comme le feu“ beobachtet Philippe Lesage die Dynamik während eines Zusammentreffens in der idyllischen Abgeschiedenheit.

Comme le feu (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Cabin Fever

Eine Gruppe von Menschen begibt sich in eine Blockhütte im tiefen Wald. Das ist natürlich eine klassische Ausgangslage für einen Horrorfilm. Teufel werden tanzen, ein Killer wird sein Unwesen treiben, ein tödlicher Virus wird ausbrechen, alle werden sterben … Rasch ahnen wir jedoch, dass Philippe Lesage in „Comme le feu“ eher von zwischenmenschlichem Horror erzählt – weniger blutig, aber keinesfalls weniger beklemmend.

Die Jugendliche Aliocha (Aurélia Arandi-Longpré) – benannt nach einer (männlichen) Figur aus dem Dostojewski-Roman Die Brüder Karamasow – fährt mit ihrem Vater Albert (Paul Ahmarani), einem Drehbuchautor, ihrem jüngeren Bruder Max (Antoine Marchand-Gagnon) und dessen Kumpel Jeff (Noah Parker) zum abgelegenen Domizil des Arthouse-Regisseurs Blake (Arieh Worthalter). Drei Jahre haben sich Albert und Blake nicht gesehen; früher haben sie sehr eng und erfolgreich zusammengearbeitet. Zunächst herrscht ein gelassener, oft gar alberner Tonfall – doch als alle am großen Esstisch beisammensitzen, droht die Stimmung wiederholt zu kippen, da offenbar so einiges im Verhältnis der beiden Männer im Argen liegt.

Die Mischung aus unterschwelligen und abrupt hervorbrechenden Vorwürfen und Malicen fangen Lesage und sein Kameramann Balthazar Lab gekonnt ein. Immer wieder könnte es auf der Kommunikationsebene zur totalen Katastrophe kommen; meist wird diese indes durch ein Zurückrudern von einer der beiden Seiten in letzter Sekunde abgewandt, während die übrige Runde, peinlich berührt, zu Boden schaut oder die spürbare Anspannung zu ignorieren oder aufzulockern versucht.

Mit seinem großen Ensemble und der Art, wie sich die Dialoge zuweilen überlappen, erinnert Comme le feu an die Werke von Robert Altman. Ganz so gewitzt wie dessen Showbiz-Satire The Player (1992) geht es hier nicht zu. Aber auch Lesage zeigt klaren Stilwillen und Kreativität, etwa wenn er seine Figuren in unerwarteten Momenten singen und tanzen lässt oder wenn er mit einer Traum-im-Traum-im-Traum-Sequenz für Irritation sorgt. Der Einsatz von Musik, darunter die Songs Rock Lobster von The B-52’s und Marz von John Grant, ist stimmig.

Nicht alle Figuren des Films sind scharf gezeichnet. Die junge Cutterin Millie (Sophie Desmarais), der Koch Ferran (Guillaume Laurin), die Schauspielerin Hélène (Irène Jacob) und deren Partner Eddy (Laurent Lucas), die sich ebenfalls alle am zentralen Schauplatz aufhalten oder dort hinzustoßen, bleiben zumeist im Hintergrund. Neben den privaten und künstlerischen Konflikten zwischen Albert und Blake sind es insbesondere die Coming-of-Age-Erfahrungen des adoleszenten Trios Aliocha, Max und Jeff, die ergründet werden.

Der häufig unsicher wirkende Jeff, der selbst vom Filmemachen träumt, entpuppt sich dabei als komplexeste und unberechenbarste Persönlichkeit. Nach einer gescheiterten Annäherung an Aliocha stürmt er in den nächtlichen Wald und sucht vorerst Unterschlupf in einer kleinen Baracke im Nirgendwo. Später wird sein anfängliches Idol Blake zu seinem Kontrahenten – und auch hier erzeugt Lesage, zum Beispiel in einer Jagd- und in einer Kanutrip-Sequenz, eine hohe Spannung aus der Frage, ob der gärende Zorn zu einem Unglück führen wird. Es braucht gar keine Teufel, Schlitzer oder Todesviren, um das Gefühl von Gefahr entstehen zu lassen. Emotionen an der Eskalationsgrenze reichen völlig aus.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Comme le feu (2024)

Der 17-jährige Jeff wird von der Familie seines Freundes Max eingeladen, mit ihnen einige Zeit in der abgeschiedenen Blockhütte des Filmregisseurs Blake Cadieux zu verbringen. (Quelle: Berlinale)

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