Atomic Age

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

Die Leiden des jungen Rainer

Zwei junge Männer sitzen nachts an einem Teich im Wald. Aus ihrer langen Freundschaft ist in dieser Nacht mehr geworden. Beide sind im Teenie-Alter, noch unsicher in ihrer sexuellen Orientierung – und doch schaffen sie es, sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen. Regisseurin Héléna Klotz lässt in Atomic Age (L’âge atomique) darauf jedoch nicht etwa einen zärtlich-schüchternen ersten Kuss folgen, sondern diese Worte: „Mmmh, der Weltraum… Wir sollten die Städte verdunkeln und zur tiefschwarzen Nacht zurückkehren. Das wäre Fortschritt.“
In welcher Welt sich Verliebte solche Sätze zuraunen, ist ungewiss – die uns bekannte dürfte es eher nicht sein. Überhaupt scheinen die Jugendlichen des Films eine Kopfgeburt der Regisseurin zu sein, mit realen jungen Menschen haben sie jedenfalls nicht viel gemeinsam. Gerade Rainer (Dominik Wojcik) werden immer wieder Lyrik-Zitate und pseudo-philosophische Äußerungen in den Mund geschoben. Darunter Highlights wie: „Ich kann nicht atmen. Ich fühle, dass ich sterben werde. Alles ist verloren. Ich bin die einsamste Kreatur auf dem Planeten!“ Das Pathos der eher deklamierten als gesprochenen Worte spiegelt sich in seinem von Tragik erfüllten Gesichtsausdruck wider. Die Leiden des jungen Rainer…

Voller Sturm und Drang im Herzen fahren Rainer und sein Freund Victor (Eliott Paquet) mit dem Nachtzug nach Paris, um tanzen zu gehen. Schon hier, während die Lichter der Großstadt an ihnen vorbeiziehen, wird die gegenseitige Anziehung der beiden spürbar. Sie machen sich Komplimente, lächeln einander zu, tauschen intensive Blicke aus und schauen im richtigen Augenblick wieder fort. Victor versucht seine homosexuellen Neigungen zu überspielen, indem er im Club erfolglos den Frauen-Aufreißer gibt. Rainers sexuelles Interesse an Männern ist offensichtlicher, dennoch wehrt er die Avancen eines Tanzenden ab und spricht ausschließlich im Konjunktiv vom schwul-sein.

Visuell hat Atomic Age einige schöne Ideen. Gerade die Lichtsetzung geht weit über ihre technische Funktion hinaus und erschafft Atmosphären – im Club vermengen sich die verschiedensten Farben wie die Körper der Tanzenden zu einem hektischen Durcheinander, bei Streifzügen durch das nächtliche Paris erleuchtet warmes, orangenfarbenes Licht die Gesichter von Rainer und Victor, der Wald ist in ein mystisches Lila getaucht. Ein Baum spiegelt sich kopfüber im Teich, Victors Imagination eines Mädchens manifestiert sich in einem beweglichen Schatten und seine Tränen lassen die Bilder verschwimmen.

Doch die Figurenzeichnung und vor allem die Dialoge lassen den Film scheitern. Victor und Rainer entsprechen dem Klischee der so genannten „Schmerzensmänner“ so sehr, dass es geradezu karikaturhaft wirkt: Lange Haare, ein melancholischer Gesichtsausdruck, schmollende, verträumte Blicke. Das ist äußerst stereotyp, existiert in der Form aber zumindest. Nur: So theatralisch und gestelzt wie die beiden spricht kein junger Mann. Dass man ihre Sätze selbst im Club noch perfekt versteht, verstärkt die Befremdung noch, weil die Klarheit des Tons eher eine sterile Studio-Atmosphäre transportiert als eine authentische Stimmung jener Nacht, die nicht nur die Beziehung der beiden zueinander, sondern auch Rainer und Victor selbst verändern wird.

Dass die Zwei nicht dem Leben, sondern Héléna Klotz‘ Vorstellung von Jugendlichen entsprungen zu sein scheinen, wäre noch verzeihlich, denn Atomic Age muss ja nicht zwangsweise einen Realismus anstreben, sondern mag seine stilisierte Fantasiewelt als kreative Schöpfung behaupten. Allerdings stehen die oft antiklimaktischen, entrückten Bilder dieser Welt in völligem Gegensatz zu der Dramatik, die der Film zuvor über die Äußerungen seiner Figuren etabliert hat.

Was zudem Tonband-Aufnahmen, in denen ehemalige amerikanische Präsidenten über die UdSSR sprechen, in Atomic Age zu suchen haben, bleibt völlig rätselhaft. Diese voice-over-Sequenzen mögen zwar den Titel erklären, dieser allerdings weist keinerlei Verbindungen zum eigentlichen Plot auf. Und wenn nach nur 58 Minuten bereits die Credits einsetzen, wird deutlich, dass Héléna Klotz hier zwar eine Geschichte erzählt, aber selbst nicht so genau zu wissen scheint, was sie damit sagen möchte.

Atomic Age

Zwei junge Männer sitzen nachts an einem Teich im Wald. Aus ihrer langen Freundschaft ist in dieser Nacht mehr geworden. Beide sind im Teenie-Alter, noch unsicher in ihrer sexuellen Orientierung – und doch schaffen sie es, sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen.
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