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Keine Kohle mehr – was nun? Die vielschichtige Dokumentation „Vom Ende eines Zeitalters“ begleitet eine Zechensiedlung in Bottrop durch die Irrungen und Wirrungen des Strukturwandels.

Vom Ende eines Zeitalters (2023)

Eine Filmkritik von Patrick Torma

Tiefschürfende Ruhrpott-Doku

Schicht im Schacht: 2018 schloss mit Prosper-Haniel in Bottrop das letzte Steinkohlen-Bergwerk Deutschlands. Eine Zäsur, besonders für das Ruhrgebiet, das über Generationen hinweg maßgeblich vom Kohlebergbau geprägt wurde. Was dieser Einschnitt für die Menschen vor Ort bedeutet, davon erzählt „Vom Ende eines Zeitalters“. Mit der Dokumentation beenden die Filmemacher:innen Christoph Hübner und Gabriele Voss ein über 40 Jahre währendes Filmprojekt – und das auf eindrucksvolle Weise.

Aus dem Off dringt ein stetes Piepen in unser Ohr. In seiner Penetranz weckt es unschöne Vorstellungen; von geliebten, an Schläuchen und medizinischen Geräten angeschlossen Menschen, die auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen. Ob diese Assoziation nun beabsichtigt ist oder nicht, sie passt perfekt ins Bild. Denn wir schreiben das Jahr 2018 und erleben die letzten Vitalzeichen des staatlich subventionierten Steinkohle-Bergbaus in Deutschland mit.

Das, was da so stechend erklingt, entpuppt sich schließlich als der Signalton eines Fahrstuhls, der uns auf eine endgültige Reise unter Tage entführt. Vom Ende des Zeitalters startet mit einer fünfminütigen Abfahrtssequenz. Gemeinsam mit der Rest-Belegschaft der Bottroper Zeche Prosper tauchen wir ein in die Dunkelheit des Förderschachts. Angekommen in der Tiefe offenbart sich uns eine Welt, die sich künftigen „Ruhris“ nur noch in Museumsstollen erschließen wird. Vor uns erstreckt sich eine imposante Fördermaschinerie, die nur darauf wartet, zurückgebaut zu werden.

Der Anblick dieses morbiden Industrie-Charmes stimmt wehmütig; insbesondere, wenn man bedenkt, welch enormer Aufwand über zwei Jahrhunderte hinweg betrieben wurde, um ans „schwarze Gold“ zu gelangen – hier und an vielen anderen Standorten des Ruhrgebiets. Doch bevor wir uns in kulturindustrieellen Verklärungen verlieren, schneiden Christoph Hübner und Gabriele Voss rechtzeitig Archivaufnahmen dazwischen. Bilder von Bergleuten, die in einem beengten Unter-Tage-Metropolis schuften, von rußbedeckten Männern, die in der Hitze der Tiefe schwitzen, unter ohrenbetäubendem Lärm die Kohle abtragen und Staub und Dreck weit jenseits des gesundheitlich Vertretbaren einatmen. Keine Frage: Aus arbeitsethischen Gründen darf man froh sein, dass diese Plackerei (zumindest hierzulande) Geschichte ist.

Das Beeindruckende aus filmischer Sicht ist, dass sowohl die Aufnahmen der Gegenwart als auch der Vergangenheit vom Regie-Paar Hübner/Voss persönlich zutage gefördert wurden. Vom Ende eines Zeitalters bildet den Abschluss eines 40-jährigen Doku-Zyklus. Teil 1 und Teil 2 von Bottrop Prosper/Ebel – Chronik einer Zeche und ihrer Siedlung entstanden Ende der 1970er- bzw. Anfang 1980er- sowie Mitte der 1990er-Jahre. Die lange Beschäftigung mit dem Bergbau und dem Ruhrgebiet über dieses Filmprojekt hinaus ist von der ersten Minute an spürbar.

Hübner und Voss zeichnen die Entwicklung eines unausweichlichen Endes nach und verknüpfen diese mit menschlichen Begegnungen. In den Straßen und Einrichtungen des Bottroper Ortsteils Ebel treffen sie auf alte Bekannte, neue Protagonisten und Zugezogene. Da ist der 92-jährige Bergmann, der die meisten seiner Kumpels längst überlebt hat. Der Pfarrer einer Gemeinde, dessen Kirche nun in einen Keller verlegt wird, weil sich soziokulturelle Strukturen im „Pott“ überlebt haben. Der Bergmanns-Sohn, der nicht so recht weiß, ob er den Verheißungen des Strukturwandels trauen oder doch lieber das Weite suchen soll. Diese Geschichten verdeutlichen: Das Zechensterben hat nicht nur Arbeitswelten verändert, sondern tiefgreifendere Folgen. Mit dem Bergbau trug der Kohlenpott einen gesellschaftlichen Nenner zu Grabe.

In gewisser Weise besuchen Christoph Hübner und Gabriele Voss eine Trauergemeinschaft. Die Menschen, denen sie in Bottrop-Ebel begegnen, sind „typisch Ruhrgebiet“: direkt auf den Punkt, etwas kauzig, mit einem Hang zum Fatalismus, der sich gerne in einem lakonischen „Da machste nix“ entlädt. Doch vor allem sind sie herzlich. Gleichzeitig sind diese Individuen weit davon entfernt, Karikaturen zu sein – eben, weil es Hübner und Voss gelingt, echte Menschen mit echten Hoffnungen und Sorgen zu porträtieren. Dass diese Personen nur selten namentlich vorgestellt werden, wirkt da wie ein leidiges Versäumnis.

Dabei denken die Autor:innen an vieles. Vom Ende eines Zeitalters seziert den Abschied vom Kohleabbau, nicht unbedingt fein säuberlich, aber doch durch eine Fülle von Themen fräsend. Sämtliche Aspekte aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Der Film fragt auch nach dem, was bleibt. Die Schließung der Zeche Prosper am 21. Dezember 2018 markiert demnach nicht das Ende, sondern vielmehr den Beginn eines Narrativs, das immer wieder vor- und zurückblickt und bis in die Lockdown-Phase der Corona-Pandemie reicht.

Dass ein Zeitalter endet, bedeutet auch, dass ein neues beginnt. In Ruhrgebiet verlief der Übergang fließend.  Strukturwandel, Renaturierung, Stadtentwicklung haben bereits erfreuliche Spuren hinterlassen – und werden von der Kamera entsprechend gewürdigt. Die Natur hat alte Industriebrachen zurückerobert, ehemalige Abraumhalden sind heute Landmarken von touristischem Wert und die Bergbaustadt Bottrop hat einen Ruf als „Innovation City“ gepflegt. Doch was gut für die Umwelt und fürs Image ist, muss nicht unmittelbar den Menschen vor Ort zugutekommen.

Das alles mag auf dem Papier abstrakt, ja etwas pathetisch klingen. Das Verdienst von Vom Ende eines Zeitalters ist es, dass es der Dokumentation gelingt, die gemeinschaftsgefährdende Dynamik dieses Wandels zu veranschaulichen – ohne in Resignation zu verfallen. Daneben betont der Film, wie wichtig es ist, Menschen mitzunehmen. Konkrete (partei-)politische Bezüge verkneift der Film sich zwar, ebenso grobe Schuldzuweisungen. Gerade in diesen Tagen ist es jedoch leicht vorbestellbar, in wessen Arme Verdruss und Orientierungslosigkeit führen können.

Mehrschichtig, vielstimmig und empathisch: Vom Ende des Zeitalters atmet das ernsthafte Interesse der Autor:innen an den sozialen Implikationen des Bergbaus. Die enorme Fördermenge behandelter Themen rechtfertigt die beachtliche Laufzeit von zweieinhalb Stunden, auch wenn sich vereinzelt Längen einschleichen. Dennoch bleibt die Langzeitbetrachtung stets interessant, auch für Zuschauer mit Vorwissen. Gerade dann hebt sich Vom Ende des Zeitalters wohltuend von der üblichen Ruhrpott-Beschau ab.

Vom Ende eines Zeitalters (2023)

Christoph Hübner und Gabriele Voss haben über 40 Jahre die Veränderungen im Ruhrgebiet beobachtet und Protagonisten begleitet, deren Leben von den großen Veränderungen um ihre Arbeitsplätze geprägt waren.
Ein Spagat zwischen regionaler Entwicklung und Einzelschicksalen von Menschen.
Dabei wird deutlich: Strukturwandel bedeutet nicht nur, dass Zechen schließen und Landschaften rekultiviert werden müssen auch der soziale Zusammenhalt der Menschen muss sich neu definieren. (Quelle: Film Kino Text)

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