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Cleverer Kaufhauspionier, sozialer Unternehmer, passionierter Sammler, engagierter Mäzen und politischer Zeitungsverleger: Salman Schockens übervolles Lebenswerk liefert den Stoff für eine aufschlussreiche dokumentarische Spurensuche zwischen Deutschland und Israel, Vergangenheit wie Gegenwart. 

Schocken - Ein deutsches Leben (2021)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Der gute Mensch von Zwickau  

Salman Schocken (1877-1959) war zweifellos ein Mann mit vielen Eigenschaften. Gemäß Walter Gropius’ berühmtem Diktum, dass „die neue Zeit den eigenen Sinn“ fordert, bespielte er zeitlebens derart viele Felder, dass es heute umso erstaunlicher ist, wie wenige Menschen ihn und sein überbordendes Lebenswerk außerhalb von Judaika-Kreisen oder Architekturhistorikerkongressen überhaupt noch kennen. 

Dabei kannte quasi jeder, der zwischen 1909 und 1933 ein Ladengeschäft zwischen Chemnitz, Stuttgart und Nürnberg betreten hatte diesen Schriftzug über dem Hauptportal, der den Geist der „Neuen Sachlichkeit“ genauso wie den Modernismus des Bauhauses atmete und von keinem geringeren Architekten als Erich Mendelsohn entworfen wurde:  S-C-H-O-C-K-E-N. 

Ähnlich wie bei den wirtschaftshistorisch ähnlich spannenden Familiengeschichten hinter den Konzernnamen „Tietz“ oder „Horten“ schwingt darin immer auch ein großes Stück deutsch-jüdischer Geschichte mit, wie sie auch Noemi Schorys ebenso detail- wie aufschlussreiches Dokumentarfilmporträt Schocken – Ein deutsches Leben in knapp 90 Minuten leitmotivisch durchzieht.  

Dabei entstammte der 1877 geborene Selfmademan einer eher durchschnittlichen, religiös liberalen eingestellten jüdischen Kaufmannsfamilie aus Posen, in deren Geschäfte er im Grunde sofort und ohne die Chance auf eine höhere Bildung einsteigen musste, ehe er zusammen mit seinem Bruder Simon Schocken zwischen 1909 bis 1913 kometenhaft zum ersten Kaufhausmillionär Sachsens aufstieg. Egal, ob man damals als „Großkopferter“, kleine Angestellter oder Lohnarbeiter in Aue, Meißen, Planitz, Cottbus, Zerbst oder Frankenberg einkaufen gehen wollte: Überall war Schocken mitsamt eines hochklassigen Warensortiments, geschultem Verkaufspersonal in hypermodernen Ladentempeln schon da. 

Gerühmt für außerordentlich soziale Arbeitsverhältnisse wie qualitativ hochwertige Produkte für Jedermann vom Alltagsschuh bis zur Festtagskrawatte gelang dem Unternehmergespann mit 20 Filialen bis 1930 schließlich die Expansion zur damals viertgrößten Warenhauskette Deutschlands, wenngleich die stark prosperierende „I. Schocken Söhne“-Handelsgesellschaft bis zur Arisierung durch die Nationalsozialisten stets in Zwickau mit einem Hauptbüro beheimatet blieb. Und so war Salomon Schocken spätestens ab 1926, als die nächste spektakuläre Kaufhauseröffnung (Entwurf und Ausführung erneut durch Erich Mendelsohn) am Nürnberger Aufseßplatz anstand, ein gemachter Mann, wie es Schorys faktenorierentiertes und handwerklich solides Porträt zumindest in den ersten 45 Minuten weitgehend anschaulich (nach-)erzählt. 

Dass sich der „jüdische Bismarck“ (Hannah Arendt) im Herzen jedoch vor allem als Kulturpapst sah, der die Rezeption Franz Kafkas durch den Kauf seiner Werke aktiv beförderte und zugleich jahrzehntelang namhafte Schriftsteller*innen wie Else Lasker-Schüler und Samuel Josef Agnon (Nobelpreis für Literatur 1966 zusammen mit Nelly Sachs) oder Gelehrte wie den Kabbala-Forscher Gerschom Scholem oder den Reliogionsphilophen Martin Buber finanziell unterstützte, macht Schocken – Ein deutsches Leben für ein bildungsbürgerlich geprägtes Publikum zusätzlich interessant, ohne in bloßer Hagiographie zu erstarren. 

Denn in der Summe war Salomon Schocken ein großzügig-ideeller wie politisch wachsamer Mäzen im besten Sinne des Wortes, der 1934 nach Palästina emigrieren musste. Kurzum: Eine moralisch denkende Persönlichkeit mit Vorbildfunktion, die sich genauso frühzeitig wie nachhaltig für die Hebräische Universität Jerusalem einsetzte und bereits 1929 das hebräische „Schocken-Institut“ gründete, das bis heute ebenfalls in einem weltberühmten Mendelsohn-Bau beheimatet ist und über einen einmaligen Bestand von über 60.000 Bänden aus Schockens legendärer Privatbibliothek verfügt. 

Zur gleichen Zeit übernahm er die Tageszeitung Ha’aretz, die sich bis in die Gegenwart hinein als überaus liberale Stimme in der hiesigen Medienlandschaft versteht, dabei als (selbst-)kritische Instanz oft genug offen in Konfrontation mit der israelischen (Mehrheits-)Gesellschaft geht und weiterhin zu 60 Prozent der Schocken-Familie gehört. 

In diesem weiteren wichtigen Lebenszweig wie Geschäftsfeld hatte sich am Ende Schockens persönlicher philanthropischer Traum eines pazifistisch geprägten Juden vollends erfüllt: „Jahrtausende von Tinte, nicht Blut und Boden, haben die Juden zu einer Nation geschmiedet.“ Erst 2014 wurden Schockens Erben mit einer Summe von 50 Millionen Euro für die Enteignung unter der dem NS-Regime entschädigt. Immerhin. 

Schocken - Ein deutsches Leben (2021)

Unternehmer, Intellektueller, Büchermensch, Verleger, Mäzen, Ästhet – in ihrem Film „Schocken – Ein deutsches Leben“ spürt Noemi Schory dem Leben und Werk einer der visionärsten und kulturell engagiertesten Unternehmer-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts nach. Exklusive Archivaufnahmen illustrieren eine historische Reise von Zwickau über Chemnitz, Crimmitschau und Berlin bis nach Jerusalem; Zeitzeugen und Schocken-Kenner berichten über die Bedeutung des Entrepreneurs für die jüdische Kulturgeschichte. Ein vielschichtiger Porträtfilm, der eine Brücke von frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart schlägt. (Quelle: Salzgeber)

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Meinungen

knut bergbauer · 08.11.2021

die namen der jüdischen kaufhausbesitzer tietz und schocken mit dem arisierer horten zu einer "ähnlichen geschichte" zusammenzufassen ist doch wohl ein witz, oder?