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Kindern etwas beizubringen, ihre Talente einzubinden und gleichzeitig den Lehrplanstoff abzuarbeiten, das ist immer eine Kunst. Wenn es sich aber um Kinder aus Gegenden wie Matamoros in Mexiko handelt, dann braucht es viel Mut, um überhaupt auf eine solche Weise zu unterrichten.

Radical - Eine Klasse für sich (2023)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Jeder nach seinen Fähigkeiten

Anlass für den Film von Christopher Zalla soll ein Artikel aus dem Magazin Wired gewesen sein, der über ein junges Mädchen berichtet, das es aus der Armut in Matamoros ins mexikanische Fernsehen schaffte, weil sie die höchste Punktzahl im nationalen Mathetest erreichte. Ein Genie, titelte das Magazin. Der Text hat dabei auch besonders den Lehrer im Blick, der ihr Talent entfesselte und das Mädchen aus seiner Situation in die Öffentlichkeit holte. Aus dieser wahren Begebenheit aus dem Jahr 2011 hat der in Kenia geborene Regisseur nun einen Spielfilm gemacht, der als Publikumsliebling beim Festival in Sundance gefeiert wurde: „Radical – Eine Klasse für sich“ zeigt, wie viel Mut, Überzeugung und Durchhaltevermögen es braucht, um sich als Lehrer für seine Schüler:innen zu entscheiden.

Sergio Juárez Correa (gespielt von Latin-Mega-Star Eugenio Derbez) ist neu an der José Urbina Lopez-Grundschule in Matamoros und fällt gleich am ersten Schultag auf. Während die anderen Lehrer mit Härte und Disziplin durchgreifen und sich darauf vorbereiten, ihren Klassen den Lehrplanstoff einzuprügeln, räumt Sergio erst einmal die Tische beiseite, wirft sie um, verteilt sie wild im Klassenzimmer. „Hilfe!“, ruft er, als die Kinder eintrudeln: Sie sollen sich auf die Boote retten, um nicht zu ertrinken, und überlegen, wie sie sich am besten verteilten. Solche und ähnliche Situationen etabliert der Lehrer fortan in seiner sechsten Klasse, um sie zum Denken anzuregen, schafft Probleme, die sie lösen sollen – aus sich selbst heraus und im Gespräch miteinander.

Die Schüler:innen – allesamt authentisch gespielt von den Kinderdarsteller:innen – sind zunächst irritiert, dann merken sie, wie viel Spaß Schule plötzlich macht. Lupe (Mía Fernanda Solis) geht am Nachmittag in die Bücherei, sucht die Philosophie-Abteilung auf und liest weiter in den Werken von John Stuart Mill. Zwei Jungs stehen am Fluss, werfen eine Schale ins Wasser und führen die Diskussion weiter, die sie im Unterricht begonnen haben. Und Nico (Danilo Guardiola), einst Klassenclown und schon mit einem Fuß im Innern einer Drogenbande, gräbt ein altes Boot aus und renoviert es. Plötzlich wollen alle Kinder lernen und sich bilden.

Direktor Chucho (Daniel Haddad) und dem Kollegium hingegen gefallen Sergios Methoden gar nicht. Wie soll die Klasse, die als eine der leistungsschwächsten in ganz Mexiko gilt, so die Abschlussprüfungen schaffen? Nach und nach gewinnt Sergio den Schuldirektor für seine Art, zu unterrichten. Als er dann aber auch noch anfängt, sich beim Schulamt wegen der niemals angekommenen Computer zu beschweren, wird es brenzlig für den Neuling.

Dabei ist er es, der die kluge Paloma (Jennifer Trejo) in seinen Reihen entdeckt. Das Mädchen, das mit ihrem kranken Vater in einer bescheidenen Hütte neben einem Müllberg wohnt, hat sich schon früh in mathematischen Höchstleistungen trainiert, aus weggeworfenem Material in Eigenregie ein Teleskop gebaut, den Traum, einmal Astronautin zu werden aber immer als unerfüllbar angesehen. Sergio bringt ihr bei, an sich zu glauben, für ihre Leidenschaft zu kämpfen und ihre Fähigkeiten weiter zu vertiefen. Doch auch hier hat er die festgefahrenen Strukturen der Gegend, in der die Kinder aufwachsen, unterschätzt. Er solle seiner Tochter keine Flausen in den Kopf setzen, herrscht ihn Palomas Vater (Gilberto Barraza) an, ein Kind wie sie werde nie eine Chance haben und im Wettkampf gegen all die anderen bestehen. Und so taucht Paloma erst einmal gar nicht mehr im Unterricht auf.

Auch wenn der Film auf die Situation in Mexiko rekurriert, so ist Radical – Eine Klasse für sich doch eine ganz universelle Geschichte, die auch hierzulande relevant ist. Vom Hinterherrennen hinter einem Lehrplan, von einengenden Strukturen mit wenig Platz für kreatives Denken oder individuelle Lösungsstrategien, davon wissen auch hiesige Lehrer:innen ein Lied zu singen. Der Film von Christopher Zalla zeigt, dass ein Nicht-Aufgeben, dass Engagement und Leidenschaft für das Lernen der Schüler:innen sich lohnen können.

En passant streift der Film eine ganze Reihe anderer wichtiger – und dann doch auch mexiko-spezifischer – Themen wie die Gewalt des Drogenhandels, die sozialen Folgen von Armut oder auch Korruption. Er tut dies im Gewand des Sozialdramas mit einigen humorvollen Momenten und auch dokumentarisch wirkenden Sequenzen. Die Perspektive ist die der Kinder – auch deshalb vermittelt der Film seine Bilder aus ihrer Augenhöhe –, wobei der Lehrer und sein Tun im Zentrum der Geschichte stehen. Durch diese alternierenden Sichtweisen erreicht die Situation ihre Komplexität und zeigt, wie schwierig es ist, eine gute und nachhaltige Lösung für Schulen an Orten wie Matamoros zu finden.

Radical - Eine Klasse für sich (2023)

Die Sechstklässler der Jose Urbina Lopez-Grundschule in Matamoros staunen nicht schlecht als die erste Unterrichtsstunde ihres neuen Lehrers Sergio Juarez (gespielt von Latin-Megastar Eugenio Derbez) beginnt. Sie gelten als leistungsschwächste Schüler Mexikos und ihre Welt ist geprägt von Gewalt, Vernachlässigung und Korruption. Im Klassenzimmer herrscht eine Atmosphäre der Härte und Disziplin.

Doch Sergio wählt einen anderen Weg, um den Schülern aus der Sackgasse der Perspektivlosigkeit zu helfen: Er wendet sich mit Freiheit und Empathie an die Klasse, um ihre Neugierde, ihr Potenzial und vielleicht sogar ihr Genie zu entfesseln. Sergios’ unkonventioneller Lehrplan stößt allerdings nicht nur auf überraschte und verwunderte Gesichter der Kinder, sondern auch auf wenig Akzeptanz und Unterstützung im Lehrerzimmer…

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