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Dank seines kongenialen Hauptdarstellers Voodoo Jürgens gelingt Adrian Goiginger nach einigen filmischen Ausflügen ins Melodramatische eine musikalische Gossenkomödie voller Witz, Charme und Schmäh. Mehr Wien geht eigentlich kaum.

Rickerl - Musik is höchstens a Hobby (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zwischen Vorstadtkneipenblues und Wienerlied - die fantastische Welt des Voodoo J.

Wo anders kann eine in Wien angesiedelte Geschichte auch beginnen als auf dem Friedhof, eh klar. Das ist zwar auch ein bisschen ein Klischee, doch in diesem Falle passt es, um direkt in die Atmosphäre Wiens abseits des 1. Bezirks einzutauchen, in die grindigen Beisln (Verzeihung, Kneipen), die prekären Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die verhunzten Ex-Beziehungen und all das, was einer wie Erich Bohacek, den jeder nur Rickerl nennt (kongenial gespielt von Voodoo Jürgens), bereits in den Sand gesetzt hat. Und das, man ahnt es schnell, ist eine Menge.

Dieser zaundürre und angeschmuddelte Typ mit der unmöglichen Unfrisur und dem ewigen Dreitagebart, die Zigarette meist lässig im Mundwinkel balancierend, schafft es wegen eines Diebstahls eines Totenschädels, der just im falschen Moment aus dem Rucksack kullert, nicht nur, seinen Job als Totengräber zu verlieren, sondern sich darüber hinaus auch noch ein Beschäftigungsverbot auf sämtlichen Wiener Friedhöfen einzuhandeln. Klar, dass Rickerls Betreuerin beim AMS (Arbeitsmarktservice, dem österreichischen Pendant zum deutschen Jobcenter) wenig begeistert ist. Ebenso wenig Rickerls Ex-Freundin Viki (Agnes Haussmann), mit der er einen sechsjährigen Sohn namens Dominik (Ben Winkler) hat und die (auch das noch) mit einem „g’stopften Piefke“ zusammen ist, der ihr all das (zumindest finanziell) geben kann, was Rickerl nicht auf die Reihe bekommt. Und doch spürt man in manchen Momenten noch deutlich, was das einstige Liebespaar miteinander verband. Ebenso schwierig gestaltet sich indes die Beziehung zu seinem Sohn, weil es dem chronisch blanken Rickerl sogar am notwendigen Kleingeld für einen ganz normalen Kinobesuch fehlt. Und eines muss man schon zugeben: Ein Sexshop als Kinoersatz, in dem das Kind vor einem Fernseher platziert wird, in dem eine Szene aus der schmierigen Erotikklamotte Die liebestollen Dirndl von Tirol zu sehen ist, ist jetzt auch nicht gerade eine pädagogische Meisterleistung.

Und so hangelt sich Rickerl von Job zu Job, versucht sich als Verkäufer in einem Laden für Erotikbedarf, versemmelt einen Auftritt als Hochzeitssänger, verärgert seinen Manager, der dann doch noch daran glaubt, dass Rickerl eines Tages endlich das seit langem versprochene Debütalbum zustande bringt, von dem schon so lange die Rede ist. Doch einem wie Rickerl geht so etwas (wie eigentlich alles) nicht leicht von der Hand; statt endlich die Songs aufzunehmen, hängt er lieber mit seine Hawara (Freunde) in siffigen Vorstadtwirtshäusern herum und gibt gegen ein paar weiße G’spritzte (hochdeutsch: Weinschorle) seine melancholischen Balladen wie Drei Gschichtn ausm Café Fesch oder Ollas nimma deins zum Besten.  Und so muss er erst ganz tief fallen, bis er sich aufrappelt und seinen ganz eigenen Weg aus dem selbstgeschaffenen Schlamassel findet.

Rickerl — Musik ist höchstens a Hobby ist seinem Hauptdarsteller Voodoo Jürgens, der nicht nur in Wien (völlig berechtigterweise) Kultstatus genießt und der sich irgendwo zwischen Tom Waits, den gestorbenen oder zumindest stark gealterten Heroen des Austropop und den in Vergessenheit geratenen Interpreten des Wienerlieds bewegt, auf den dürren Leib maßgeschneidert. Seit seinem ersten Film Die beste aller Welten begleitet den Filmemacher Adrian Goiginger schon die Musik des Wiener Beislbarden und Gossenpoeten, deren Texte bereits Bilder im Kopf erzeugen. Und so lag es nahe, den Songs und der Kunstfigur eine passende Backstory zu verpassen, die man sich genau so vorgestellt hat, wenn man die Lieder bereits kennt. Zahlreiche Handlungselemente entstammen dem wahren Leben, der Job auf dem Friedhof beispielsweise, andere Bestandteile des Plots oder der Charakterisierung wurden bewusst verändert, damit zwischen Rickerl und Voodoo dann doch noch eine Distanz bleibt und die beiden Kunstfiguren (denn auch Voodoo Jürgens ist ja eine solche) nicht völlig deckungsgleich werden.

Der Film wirkt ebenso wie sein Protagonist ein wenig aus der Zeit gefallen: Statt die Songs einfach mit einem Smartphone aufzunehmen (das Rickerl nicht besitzt), müht er sich mit Schreibmaschine und Kassettenrekorder ab — alte Schule eben aus einer längst vergangenen, vordigitalen Zeit. Rickerls Freunde sind durch die Bank weg älter als er, seine Lieder sind dem Zeitgeist enthoben und handeln meist von einer Zeit, „wo alles noch weniger Oasch war“, wie man sich einmal am Stammtisch zuprostet. Alles und jeder haben einmal bessere Zeiten gesehen, oder reden sich das zumindest ein, und diesen Erinnerungen nachzuhängen und sich in ihnen zu verlieren, ist der innerste Kern dessen, was die Menschen lähmt und was sie zugleich weitermachen lässt — die irgendwie irrsinnige Hoffnung, dass vielleicht doch noch einmal alles gut wird, so wie damals.

Man könnte einen wie den Rickerl leichtfertig als Loser bezeichnen, könnte seinen laxen Umgang mit dem eigenen Kind verdammen, seine Lethargie schelten und würde ihm am liebsten zurufen, dass er sich einfach mal zusammenreißen soll. Für all das gäbe es einige Berechtigung. Andererseits gibt es dann immer wieder auch Szenen, in denen man spürt, wie Rickerl der geworden ist, der er ist.Wenn er beispielsweise eines Abends seinem alkohol- und spielsüchtigen Vater begegnet, der immer noch meint, den Überblick zu haben, dann spiegelt sich darin als abschreckendes Beispiel wieder, was Rickerl selbst einmal für seinen Sohn werden könnte — eine bei Licht betrachtet ziemlich peinliche Gestalt. Dass er so eben nicht werden will, ist vielleicht sein stärkster Antrieb.

Und so gewinnt man diesen Antihelden im Verlauf der Zeit, in der man ihn begleitet, so lieb, dass er auf einmal nicht mehr als Verlierer, sondern als Sieger der Herzen erscheint. Auf diese Weise, durch die Sympathien Adrian Goigingers, die schmerzlich schön-schrägen Lieder von Voodoo Jürgens und dessen bravourösem Spiel auf dem schmalen Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit kommt man nicht nur dieser Figur Rickerl, sondern auch der Essenz dessen, was die Songs und die Persona von Voodoo Jürgens ausmacht, sehr nah. Dass sich Figur und Darsteller, Realität und Erfundenes, Film und Musik, derart umschlingen, ergänzen und wechselseitig kommentieren, sieht man jedenfalls äußerst selten im Kino. Und dass man dann noch so viel Freude daran hat, dass man ganz dringend sofort nach Wien fahren möchte — das ist nur eine von vielen Facetten und Qualitäten dieses ganz besonderen Films.

(Anmerkung der Redaktion: Rickerl — Musik is höchstens a Hobby eröffnet am 22. Januar 2024 die 45. Ausgabe des Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken)

Rickerl - Musik is höchstens a Hobby (2023)

Als Straßen- und Beislmusiker lebt Erich „Rickerl“ Bohacek am Rande des Existenzminimums. Der Idealist kommt gerade so über die Runden, für große Sprünge aber reicht das nicht. Er hat einen 8-jährigen Sohn, der jedes zweite Wochenende bei ihm ist. Rickerl hofft mit seinen persönlichen, emotionalen Liedern Erfolg zu haben, steht sich dabei aber immer wieder selbst im Weg. Der große Durchbruch lässt auf sich warten. (Quelle: Österreichisches Filminstitut)

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Meinungen

Charly · 08.02.2024

Es braucht einige Zeit, bis man sich an den Wiener Dialekt gewöhnt hat
und an Rickerl. Aber dann mag man ihn, irgendwie.
Zum Ende hin gibt es ein paar wenig glaubhafte dramatische Zuspitzungen,
aber das macht nichts. Film & Hauptdarsteller sind Originale,
ein Unikum in der glatten Filmlandschaft