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In seinem Dokumentarfilm „Jackie the Wolf“ begleitet Tuki Jencquel seine 74-jährige Mutter, die ihr Leben selbstbestimmt beenden will.

Jackie the Wolf (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Bereit, jederzeit zu sterben

Warnhinweis: In dieser Filmkritik geht es um Suizid. Wenn du dich mit dem Thema nicht wohlfühlst, dann solltest du diesen Text nicht oder nicht alleine lesen.

„Hallo, ich heiße Jacqueline, ich bin 74 und habe mich entschieden, im Januar 2020 mein Leben zu beenden.“ Mit diesen Worten formuliert Jacqueline Jencquel im August 2018 in einem Video des französischen Online-Portals Konbini ihr Vorhaben eines assistierten Suizids. Sie lebt zu dieser Zeit in einer Wohnung im Quartier Saint-Germain-des-Prés in Paris. Da ein assistierter Suizid in Frankreich verboten ist, kommt hierfür nur eine Sterbeorganisation in der Schweiz infrage.

Das dokumentarische Porträt Jackie the Wolf begleitet die Protagonistin zu jener Zeit, als sie mit ihrem Plan an die Öffentlichkeit geht. Der Film stammt von Tuki Jencquel – einem der drei Söhne, die Jacqueline bekam und die sie, wie sie selbst sagt, davon abhielten, ihrem Leben schon deutlich früher ein Ende zu setzen. Wir sehen, wie Jacqueline mit einem jungen Interviewer erstaunlich humorvoll über ihre klare Absicht spricht; ebenso sind wir etwa bei Telefonaten und einem Vortrag dabei.

Als Sterberechtsaktivistin für die Legalisierung des assistierten Suizids in Frankreich erhielt Jacqueline seit 2018 viel Aufmerksamkeit. In ihrem 2020 veröffentlichten Buch Terminer en Beauté und in ihrem von der Westschweizer Zeitung herausgegebenen Blog mit dem Titel Das Alter ist eine unheilbare Krankheit teilte sie ihre Überzeugungen und Gedanken mit. Die mit Mitte 70 körperlich gesunde und geistig noch fitte Frau will eine Abhängigkeit von anderen verhindern.

Der Regisseur ist als Person hinter der Kamera oft präsent. Zu Beginn erleben wir beispielsweise mit, wie Jacqueline durch ihre Wohnung läuft – und dann von ihrem Sohn aus dem Off gebeten wird, das noch mal zu wiederholen, ohne dabei in die Kamera zu schauen. Jacqueline spielt geduldig mit. Später heißt es an einer Stelle: „Ich möchte, dass du mir von diesen Fotos erzählst.“

Das Werk, das Tuki dreht, ist womöglich ein Weg für Mutter und Sohn, auf einerseits sehr intime und andererseits doch distanzierte Weise im Dienste der Kunst zu interagieren. Tuki hat eine gewisse Kontrolle; er gibt Jacqueline, die durch ihr öffentliches Auftreten vor allem in ihrer Wahlheimat auch stark kritisiert wurde, indes zugleich die Möglichkeit, ihre Sicht auf das Leben und den Tod sowie auf die (Gesundheits-)Politik in Frankreich zu erläutern.

Unabhängig davon, wie wir zu Jacquelines Entscheidung stehen, ist die Direktheit, mit der die Mittsiebzigerin über Tabuthemen redet, zutiefst beeindruckend. Auch mit ihrer Enkeltochter spricht sie einfühlsam und doch völlig offen über den Tod. Ganz allmählich entbirgt sich in Jackie the Wolf dann auch die Biografie der Protagonistin, von der Geburt in China über das Aufwachsen in Indochina bis hin zur Ehe, die für sie mit einem Abhängigkeitsverhältnis verbunden war.

„Ich bin bereit, jederzeit zu sterben“, sagt Jacqueline in einem der Gespräche mit dem Sohn. Dennoch kommt es zu einer Verschiebung des Termins, als ein weiteres Enkelkind geboren wird. Der Film fängt die unterschiedlichen Stimmungen ein, die dadurch entstehen, ohne jemals aufdringlich zu werden. Jackie the Wolf ist ein ungewöhnliches Mutter-Sohn-Projekt – und ein sehr faszinierendes Porträt.

Wenn du darüber nachdenkst, dir das Leben zu nehmen, oder mit jemandem reden möchtest – hier findest du Hilfe: Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern lauten 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

Jackie the Wolf (2023)

Paris, Sommer 2018. Jacqueline Jencquel (74) lebt ein komfortables Leben in einer prächtigen Wohnung in Saint-Germain. Abgesehen von ein paar altersbedingten Beschwerden ist sie bei guter Gesundheit. Und doch hat Jackie beschlossen, zu sterben. Als Mutter, Großmutter und engagierte Aktivistin für das Recht auf Sterben, löst sie mit ihrer Entscheidung einen Medienrummel aus, indem sie ankündigt, ihr Leben Januar 2020 zu beenden. Während die Uhr tickt, steht sie vor der Kamera einer ihrer drei Söhne. So werden in einem ehrlichen und emotionalen Austausch über Tod, Liebe, Sehnsucht und Mutterschaft Tabus gebrochen. Obwohl sie entschlossen ist, weiterzumachen, verschiebt sie den letzten Akt, um einen letzten Frühling, einen letzten Sommer zu genießen. Als Jackie von der bevorstehenden Geburt eines Enkelkindes erfährt, beginnt sie zu zögern und verschiebt den „Termin“ noch einmal. (Quelle: Verleih)

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