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Matt Carter erzählt in „Seitenspiel“ von der Liebe zwischen zwei Mitgliedern eines schwulen Rugby-Clubs – und von einer sportlichen Surrogatfamilie.

Seitenspiel (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Liebe ist ein Rugbyfeld

Mannschaftssport und schwule Liebe – das hat sich als Sujet seit den 2000er Jahren zu einem filmischen Stoff sowohl für Komödien als auch für Dramen entwickelt. Wenn die Gefühle verheimlicht werden müssen, etwa in der Schweizer Produktion „Mario“ (2018), überwiegen der Kampf und die Schwere; wenn die sexuelle Identität ohne Diskriminierung ausgelebt werden kann, wie in Sherry Hormanns zu Unrecht in Vergessenheit geratener Provinzsatire „Männer wie wir“ (2004) oder dem französischen Publikumserfolg „Die glitzernden Garnelen“ (2019), bestimmen wiederum die heiteren Momente den Ton.

Matt Carters Regiedebüt Seitenspiel bewegt sich indes zwischen den Genres. Dass die beiden Hauptfiguren (ebenso wie nahezu das komplette Personal des Films) schwul sind, ist nicht Teil des Konflikts – es handelt sich hier nicht um eine Coming-out-Story in einem homophoben Umfeld. Vielmehr gehören die Protagonisten Mark (Alexander Lincoln) und Warren (Alexander King) zu einem schwulen Rugby-Club, den South London Stags. Mark spielt im B-Team und macht dort mit seinem Talent auf sich aufmerksam; Warren musste wegen einer Beinverletzung eine Zeit lang aussetzen und kehrt nun ins A-Team zurück.

Die beiden Männer fühlen sich augenblicklich zueinander hingezogen. Nach Tequila-Shots an der Nachtclub-Bar und einem ersten Kuss lässt Mark Warren allerdings erst einmal stehen – um kurz darauf dann doch die Nacht mit ihm zu verbringen. Am nächsten Morgen zeigt sich, dass beide eigentlich schon liiert sind: Warren ist mit seinem Team-Kollegen John (Peter McPherson) zusammen; Mark lebt mit dem unentwegt umherreisenden Geschäftsmann Richard (Alex Hammond) in einem schicken Penthouse mit Blick auf die Themse. Zwar führen Mark und Richard eine offene Beziehung – echte Gefühle für andere und länger anhaltende Affären sind jedoch gegen die selbst auferlegten Regeln.

Der Film beschwört keine melodramatischen Überspitzungen – keine tödlichen Krankheiten und auch keine schlimmen Unfälle – herauf, um emotionale Spannung zu erzeugen, sondern konzentriert sich ganz auf das persönliche Dilemma seiner Helden. Diese werden nicht zwanghaft sympathisch und nett dargestellt, sondern mit diversen Ecken und Kanten ausgestattet. Zugleich werden Mark und Warren für ihre Handlungen und ihre Unentschlossenheit nicht verurteilt.

Seitenspiel braucht eine Weile, um den richtigen Rhythmus zu finden. In der ersten halben Stunde nehmen ein paar unnötige Fat-Shaming- und Gross-out-Gags um den B-Team-Spieler Pinky (Pearse Egan) zu viel Raum ein. Im weiteren Verlauf gelingt es dem Werk deutlich besser, uns die ziemlich raue Welt des Rugby-Sports zu vermitteln und dabei erkennbar zu machen, dass diese aus sehr unterschiedlichen Charakteren bestehende Mannschaft für die meisten Mitglieder und auch für den engagierten Coach (Christopher Sherwood) eine wichtige Ersatzfamilie ist – die, wie ein Großteil der Familien, zuweilen ins Dysfunktionale abgleitet. Mit einer Laufzeit von circa 135 Minuten ist das Werk nicht ohne Längen; dennoch bringen die erzählerischen Umwege auch immer wieder Schönes hervor – etwa ein gefühlvolles Gespräch zwischen Mark und seiner Mutter Alice (Mary Lincoln).

Bemerkenswert an Seitenspiel ist, dass es sich hierbei offenkundig um ein Herzensprojekt von Matt Carter handelt, der den Film dank Crowdfunding über die Plattform Kickstarter finanzieren konnte. Carter führte nicht nur (erstmals) Regie und schrieb gemeinsam mit Adam Silver das Drehbuch, sondern fungierte auch als Co-Produzent, Kameramann und Cutter, war fürs Casting und fürs Kostümdesign zuständig, komponierte die Musik und ist sogar als Sänger zu hören! Da er selbst bereits als Rugbyspieler aktiv war, schafft er es, die Sequenzen auf dem Feld – teilweise bei Regen, im Schlamm und in spürbarer englischer Kälte – intensiv zu gestalten und damit nicht zuletzt einen sehenswerten Sportfilm vorzulegen.

Seitenspiel (2022)

Angesiedelt in der scheinbar hypermaskulinen und aggressiven Welt des Rugbys, entfaltet sich in Carters Spielfilm ein packendes schwules Beziehungsdrama. (Quelle: Cinemien)

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