Überflieger - Kleine Vögel, großes Geklapper

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Spatz im Storchennest

Spatzenkind Richard hat Glück im Unglück. Das Unglück: Gerade als er sich durch seine Eierschale zu kämpfen beginnt, werden seine Eltern Opfer eines vögelfressenden Raubtiers. Das Glück: Ein Storchenpaar findet das kleine Vögelchen und zieht ihn als ihr eigenes Kind auf. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn Richard (Stimme: Tilman Döbler) hält sich ganz selbstverständlich für einen Jungstorch und freut sich enorm darauf, mit seiner Familie im Süden zu überwintern. Seine Zieheltern sehen schließlich keine Wahl als nachts heimlich mit seinem Stiefbruder Max (Marco Eßer) zum Vogelzug aufzubrechen, denn diese Reise würde der kleine Spatz nicht schaffen.
Die Grundkonstellation von Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper ist ein geradezu klassisches Erzählkonstrukt. Der restliche Film beschäftigt sich daher erwartungsgemäß damit, wie der kleine Spatz entgegen aller Wahrscheinlichkeiten und Erwartungen doch über Frankreich und Italien den Weg nach Afrika finden und schließlich auch von seinen Eltern als vollwertiger Sohn verstanden wird – während er zugleich begreift, dass er eben doch ein Spatz ist.

Als Animationsfilm kann Überflieger konsequent die realen Größenunterschiede zwischen Spatzen und Storchen ebenso ignorieren wie er dies später auch mit geographischen Entfernungen und (natürlich) Wahrscheinlichkeiten macht. Dies ist ein Abenteuer, das nicht auf Naturbeobachtung basiert. Es geht um Unterhaltung, Actionsequenzen, schräge Scherze; das wird dann mit den für solche Abenteuerkomödien üblichen schrägen Figuren ausstaffiert, allen voran die zu groß geratene Zwergeule Olga (Nicolette Krebitz), die sich aus Einsamkeit einen Zwillingsbruder Oleg einbildet, mit dem sie jede ihrer Entscheidungen berät.

Es gibt deshalb ein paar Running Gags, die sich um die Existenz oder Nichtexistenz von Oleg drehen, häufiger sind aber Sprachwitze in der Art von „Heute gibt es Käsespatzen“. Das ist ein Niveau, das beim ersten Mal noch charmant ist, bei ausführlicher Wiederholung dann aber doch recht schnell dröge wird.

Ähnlich abwechslungsreich ist das, was in den zahlreichen Actionsequenzen geschieht. Auf der Tonspur wird da nahezu ununterbrochen geschrien, gekreischt und gestöhnt, dass es für Eltern eine Qual und für Kinder eine Langeweile ist. Hat man diese Sequenzen – Flüge durch einen Bahnhof und durch Züge hindurch, Beinaheabstürze an einer Klippe – einmal irgendwo gesehen, dann kennt man sie auch hier. Nur gelegentlich wird es wirklich etwas bedrohlich (etwa in der Auseinandersetzung mit einem Trupp bösartiger Fledermäuse), meist ist das nur – dröge.

Und dann sind da die Witze übers Internet, die womöglich hip wirken sollen, aber schon jetzt veraltet wirken wie von 2014. Vögel, die auf Stromleitungen sitzen, sind in Überflieger „online“. Sie geben Geräusche von sich, die typisch für Computer und Smartphones sind, und sind irgendwie miteinander verbunden – als Plotpoint dient das dazu, dass länder- und kontinentübergreifend immer wieder Vögel über die Reisegruppe und ihre Ziele informiert sind. Außerdem bietet es Anlass für ein paar Wortspiel-Gags wie z. B. „VogelMaps“ statt „GoogleMaps“. Ja, und auch das wird schnell: dröge.

Leider kann der Film es sich dann nicht ersparen, am Schluss noch eine billige pädagogische Pointe zu setzen: Da wird ein Vogel gegen starken Widerstand von seiner Leitung getrennt – und ist dann ganz überwältigt davon, wie bunt und groß und toll die Welt jenseits der Stromleitung ist. Internet praktisch, wahre Welt besser.

Das könnte lustig sein, wäre Überflieger selbst nicht so ein oberflächlicher Film. Richards Identitätszweifel hätten ja durchaus Anlass sein können für ein paar Gedanken dazu, wie sich hier Herkunft und Erziehung zueinander verhalten („Nature vs. Nurture“ – Natur vs. Aufzucht), vielleicht auch vermischen, gegenseitig behindern oder verändern. Und ja doch, das lässt sich auch für Kinder nachvollziehbar verpacken. Stattdessen konstruiert der Film ein Actionfinale in Afrika, bei dem Richard seinen Eltern (vor allem, oh heiliges Patriarchat!, seinem Vater) beweisen muss, dass er dazugehört – indem er es ausnutzt, dass er kleiner als ein Storch ist, um seinen Storchenbruder Max vor einem Raubtier zu retten. Darf er nur dazugehören, weil er so heldenhaft ist?

Natürlich soll der Film das nicht als Botschaft transportieren. Er soll ja auch Zeugnis ablegen dafür, was Außenseiter schaffen können, wenn sie nur zusammenhalten. Um den Punkt zu unterstützen, wird Richard und Olga mit ihren Identitätsproblemen noch ein dritter Vogel dazugesellt: der Wellensittich Kiki (Christian Gaul). Kiki hat lange im Käfig in einer Bar gehangen und träumt aber eigentlich davon, großer Revuestar zu werden. Leider gerät er dabei zur fast schon parodistischen Übertreibung einer Tunte: leicht erregbar, bei jeder Aufregung herumkreischend, tendenziell feige, irgendwie weltfremd. Kiki fungiert im Film als „comic relief“, als lächerliche Figur bis zuletzt – keineswegs wirklich bösartig präsentiert, aber eben auch nie wirklich ernstgenommen.

Da schwingt immer unterschwellig ein hinter vorgehaltener Hand verborgenes Lachen über eine sich anders gerierende Maskulinität, über exaltiertes Verhalten und Weinerlichkeit. Dabei will Überflieger eigentlich nichts Böses. Er will nett sein und lustig, kann es aber nur auf oberflächlichste Weise, ohne Sinn für Tiefe und Komplexität. Und das ist, Sie ahnen es schon, vor allem eins: dröge.

Überflieger - Kleine Vögel, großes Geklapper

Spatzenkind Richard hat Glück im Unglück. Das Unglück: Gerade als er sich durch seine Eierschale zu kämpfen beginnt, werden seine Eltern Opfer eines vögelfressenden Raubtiers. Das Glück: Ein Storchenpaar findet das kleine Vögelchen und zieht ihn als ihr eigenes Kind auf.
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