Remake, Remix, Rip-Off

Eine Filmkritik von Festivalkritik aus Rotterdam von Beatrice Behn

Zusammengewürfeltes über Zusammengeklautes

Die Türkei in den 1960er und 1970er Jahren: ein riesiger Filmmarkt, der dank der Abstinenz des Fernsehens jedes Jahr Millionen Menschen in die Kinos spült. Und die wollen Futter. Die einheimische Filmindustrie „Yeşilçam“ versuchte mit den wenigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen den riesigen Hunger der Massen zu stillen. Dabei standen ihnen viele Probleme im Weg. Zum einen gab es kaum Rohmaterial, da dieses nicht eingeführt werden durfte. Also schmuggelte man Büchsen mit 35mm-Film ins Land. Zum anderen gab es keinerlei Gelder oder Förderungen, weshalb man alles billig, schnell und mit den geringsten Mitteln machen musste.
Hitchcock hat einmal gesagt, dass seine besten Filme die waren, die in der Zeit der Zensur in den USA entstanden. Denn die strikten Auflagen gingen mit so vielen Restriktionen einher, dass man äußerst clever sein musste, um trotzdem einen guten Film zu machen, der nicht langweilig ist. Und ganz ähnlich ist es mit den türkischen Regisseuren gewesen. Nur, dass diese nicht die qualitativ besten Filme abgeliefert haben, sondern vor allem in puncto Quantität auftrumpfen konnten. Bei einem Drehbuchautoren-Stab von gerade mal drei Menschen und einem Output um die 200 Filme im Jahr, hieß das vor allem: klauen, umbauen, wiederholen.

Regisseur Cem Kaya ist in Deutschland mit Hunderten der Yeşilçam- Filme groß geworden, die in Deutschland tausendfach auf VHS-Kassetten verkauft wurden. Sein Dokumentarfilm Remake, Remix, Rip-Off versucht eine kohärente Entstehungsgeschichte des türkischen Kinos von den 1960er Jahren bis in die Neuzeit, in der sich das Treiben vor allem zu Fernsehserien verlagert hat, nachzuzeichnen. In einer Melange aus Interviews mit den Machern und Schauspielern, dem Aufsuchen der Originalschauplätze und dem Zeigen des eigentlichen Materials entwirft Kaya das Bild einer Zeit, in der das Kino (noch) alles bedeutet hat und deren Einfluss bis heute anhält.

Diese (Film)Welt, die den meisten Nicht-Türken bis heute wohl gar nicht in ihrer schillernden Buntheit bekannt war, ist in der Tat äußerst interessant. Vor allem die türkischen Remakes der großen amerikanischen Klassiker wie Star Wars, Manche mögen`s heiß oder Rocky sind wahre Highlights des schnellen, billigen und dreckigen Kinos — mit einer Ästhetik, der viel abzugewinnen ist, reduziert sie die große Kunst doch vor allem auf die reinen Basics: Unterhaltung. Drama. Faustkämpfe. Oder wie die Produzenten aus der Zeit zu Bedenken geben: Im Endeffekt gibt es maximal 31- 32 Geschichten. Der Rest entsteht aus der großen Kunst von Remake, Remix und Rip-off.

Doch bei aller Liebe und bei allen wunderbaren Anekdoten und interessanten Gesprächspartnern: Cem Kayas Film ist überall und nirgends zugleich. Es fällt ihm schwer, all die unzähligen kleinen Einzelheiten und Geschichten zu einem kohärenten Ganzen zu fügen. Vor allem die sozioökonomischen und politischen Hintergründe und Entwicklungen bleiben nichts weiter als kurze Randbemerkungen. Remake, Remix, Rip-Off ist ein loser Überblick über die Jahre zwischen 1960-1990, der verrückte, lustige und interessante Momente hat, aber auch viel Leerlauf, Palaver und ein Schwelgen in Nostalgie, das sich nicht zusammenfügt und ein klares Bild entstehen lässt. Noch problematischer: Die vielen Fetzen erstrecken sich über eine Laufzeit, die recht lang und schleppend erscheint. Ein Recut würde dem Film sehr gut tun. Trotz allem: Remake, Remix, Rip-Off beleuchtet einen Teil der Filmgeschichte, über den noch nicht viel erzählt wurde. Für filmhistorisch Interessierte daher ein Muss.

(Festivalkritik aus Rotterdam von Beatrice Behn)

Remake, Remix, Rip-Off

Die Türkei in den 1960er und 1970er Jahren: ein riesiger Filmmarkt, der dank der Abstinenz des Fernsehens jedes Jahr Millionen Menschen in die Kinos spült. Und die wollen Futter. Die einheimische Filmindustrie „Yeşilçam“ versuchte mit den wenigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen den riesigen Hunger der Massen zu stillen. Dabei standen ihnen viele Probleme im Weg. Zum einen gab es kaum Rohmaterial, da dieses nicht eingeführt werden durfte. Also schmuggelte man Büchsen mit 35mm-Film ins Land.
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Meinungen

Muzafer · 12.08.2016

Ich hatte den gleichen Eindruck wie Beatrice Behn: Viele Schnipsel aus den alten türkischen Filmen, dazwischen kurze Auschnitte aus Interviews; waren auch Auschnitte aus Making-Off's mit dabei? Aber das alles will sich nicht so recht zu einem großen "Etwas" zusammenfügen. Vielleicht hätte es geholfen, die vielen Häppchen stärker thematisch zu sortieren und sich auf deutlich weniger altes Filmmaterial zu kürzen. Was mich wiederum gestört hat: Das türkische Kino ist ja nicht tot, Nuri Bilge Ceyclan dürfte der bekannteste unter den aktiven Filmemachern sein. Ein kurzer Einblick in das aktuelle Geschehen hätte ein sinnvolles Ende sein können. Und außerdem: Gab's keine türkischen "Arthouse"-Filme zwischen den 60'er und Ende der 90'er? Yilmaz Güney ("Yol", 1984) wird doch nicht der einzige türk. Filmmacher gewesen sein, der keine Massenproduktion betrieben hat, oder?