Patti Cake$

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der König ist tot, es lebe die Boss-Bitch!

Wenn man Patti Dombrowksi (Danielle MacDonald) aka Patti Cake$ zum ersten Mal sieht, dann scheint sie nicht mehr als eine junge, stark übergewichtige Amerikanerin zu sein, die irgendwo in New Jersey mit ihrer Mutter und ihrer Oma wohnt und sich irgendwie durchschlägt. Doch Patti ist keineswegs eine dieser dicken Frauenfiguren, die sich schämen, sich verstecken, die leise und traurig sind, so wie man es erwartet, wenn solche Frauen und solche Körper denn überhaupt im Kino stattfinden. Patti steht lieber auf, betrachtet sich im Spiegel, richtet ihre voluminösen Brüste und sagt sich selbst: „Du bist eine richtige geile Boss-Bitch!“. Und sie hat recht. So recht!

Patti Cake$ ist, im Guten wie im Schlechten, der klassische Sundance-Film, eine Indie-Produktion über eine Außenseiterin, eine Frau, die weder Geld hat noch allzu viel Bildung, dafür aber ein unglaubliches Talent und ein Herz aus Gold. Patti Cake$ ist die perfekte Melange aus Precious, Dawn Wiener aus Todd Solondz’ Welcome to the Dollhouse und Eminem in 8 Mile. Sie ist der Underdog, die Ausgelachte, die im Ort von allen nur „Dumbo“ genannt wird und der niemand zutraut, irgendwas zu können, sei es rappen, gut arbeiten oder eine Beziehung führen. Aber Patti scheißt auf die Meinung der anderen. Zusammen mit ihrem Kumpel Hareesh (Siddharth Dhananjay) macht sie Musik und plant ein Star zu werden. Irgendwie und irgendwo wollen sie ein Mixtape aufnehmen und es dem Hip-Hop Produzenten O-Z zustecken. Doch neben diesen Plänen plagt der Alltag die junge Frau. Ihre geliebte Oma ist schwerkrank, ihre Mutter säuft und trauert ihrem Ehemann und einer Gesangskarriere nach, die durch ihre Schwangerschaft mit Patti platzte. Die Rechnungen stapeln sich und Pattis Job in einer Kneipe reicht nicht aus. So heuert sie bei einem Catering-Service an, doch der Boss glaubt aufgrund ihres Aussehens nicht, dass Patti das überhaupt hinkriegt. Das Blatt scheint sich erst zu wenden, als sie dem Punkrocker Antichrist (eigentlich Bob) (Mamoudou Athie) begegnet, der auf dem Friedhof lebt und die besten Beats bastelt.

Im Kern ist Patti Cake$ weder ein Musik-Film noch einer, der über Armut und Kunst philosophiert. Vielmehr geht es hier um eine Frau, die permanent und zeit ihres Lebens angesehen und bewertet wird – aufgrund ihres Körpers. Er ist das einzige, was gesehen wird, er ist groß und lässt sich nicht verstecken. Es ist ein Körper, über den jede/r eine Meinung hat – und nie eine gute. Es ist einer, der die Frau in diesem Körper völlig verschwinden lässt, denn weder macht sich jemand die Mühe, sie zu sehen, noch sie kennenzulernen. Aber Patti ist nicht nur eine ganz seltene Frauenfigur mit einem im Kino fast nie vorhandenen Körper, sie ist eine Frau, die alle mal an ihrem dicken Arsch lecken können. Sie lässt sich nicht aufhalten von den Ideen und Definitionen anderer, sie weiß ganz genau, wer sie ist und was sie kann und verweigert sich der Opferhaltung genauso sehr wie dem Versuch, irgendjemanden etwas zu beweisen. Das spiegelt sich in ihren Rap-Texten ganz genau wider. Patti ist eine Poetin, eine Wortartistin, die so wundervoll schreibt und textet, dass man nie sagen kann, ob sie es für sich selbst oder das Publikum tut. Dabei vermag sie sich selbst, ihr Leben und ihre Umwelt in aller Schärfe zu sezieren und genau das macht ihre große Stärke aus. Sie ist die Königin des No Bullshit. Erst wenn man dieser Frau zusieht, wie sie sich im Spiegel ansieht, wie sie mit dem größten Swagger und der wunderschönsten Natürlichkeit die Straße entlanggeht, dann weiß man, dann sieht man, dann spürt man, wie sehr dem Kino als Kunst- und Medienform solche Frauenfiguren (im doppelten Sinne) eigentlich fehlen und wie viel Leere doch in vielen anderen Figuren steckt, mögen sie noch so sehr dem gängigen Ideal angepasst sein. Und genau das macht den großen Wert dieses Filmes aus, denn diese Selbstliebe und dieser Glaube an sich selbst ist echt und ehrlich und dringend notwendig.

Ansonsten bietet Patti Cake$ klassische Indie-Unterhaltung. Regisseur Geremy Jasper bricht hier keine Konventionen, im Gegenteil, er hält sich recht streng in Aufbau, Ton und Visualisierung an die typischen Sundance-Indie-Klischees. Nein, rein formal betrachtet ist Patti Cake$ keine Neuheit, kein Durchbruch. Es sind einzig und allein die Hauptfigur und -darstellerin sowie ihre ansteckende Lebensfreude, die diesen Film nicht nur heil, sondern mit großer Sympathie durch die Ziellinie tragen. Aber wer sonst sollte es auch tun, wenn nicht Patti, die Boss-Bitch.
 

Patti Cake$

Wenn man Patti Dombrowksi (Danielle MacDonald) aka Patti Cake$ zum ersten Mal sieht, dann scheint sie nicht mehr als eine junge, stark übergewichtige Amerikanerin zu sein, die irgendwo in New Jersey mit ihrer Mutter und ihrer Oma wohnt und sich irgendwie durchschlägt.

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