L'amant d'un jour

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Schöne Frauen, die kluge Dinge sagen

Ein Professor (Éric Caravaca) verschwindet mit seiner Studentin (Louise Chevillotte) auf eine abgelegene Schultoilette. Eine kleine Affäre? Weit gefehlt. Sie lebt bei ihm, die beiden sind seit einigen Monaten ein Paar. Nur an der Fakultät ahnt davon niemand etwas. Dann steht eines Abends seine Tochter (Esther Garrel) vor der Tür. Sie hat sich zuvor mit ihrem Rollkoffer schluchzend über die schiefen Pariser Gehwege gekämpft. Der Freund hat sie verlassen, also hat sie ihre Sachen gepackt. Nun braucht sie ein Bett. Natürlich könne sie bleiben, sagt der Vater und eröffnet ihr auch gleich, dass er eine neue Freundin habe, die bereits seit einiger Zeit mit ihm in der Wohnung lebe. Dass die beiden Frauen gleichaltrig sind, sagt er der Tochter noch nicht. Sie findet es am nächsten Morgen heraus, als die neue Freundin der Tochter Platz im Kleiderschrank freiräumt. Und dann passiert, was so nur in französischen Filmen passiert: zum einen ist das Alter für beide überhaupt kein Problem, die ganze Situation wird als natürlichster Umstand der Welt hingenommen – und zum anderen werden die beiden Frauen schnell Freundinnen. Sie hilft der Tochter über ihren Liebeskummer hinwegzukommen, die Tochter steht ihr bei, als es dann doch einmal zum Streit mit dem Vater kommt.

Wenn Kino für Truffaut bedeutete, schöne Dinge mit schönen Frauen zu tun, dann scheint Philippe Garrel ihm da lächelnd zuzustimmen. Er lässt seine Frauen dabei aber gern auch noch kluge Dinge sagen. Wenn die Freundin zum Ex der Tochter geht, um deren übrige Sachen abzuholen, befragt sie ihn zu seiner Sicht auf die Trennung. Er spricht mit Unverständnis darüber, dass sie gegangen ist. Ihr Streit habe schon länger zurückgelegen, er habe sie an jenem Abend überhaupt nicht zum Gehen aufgefordert. „Hast Du ihr das früher mal gesagt?“, fragt sie. Er bejaht, tut es jedoch mit einem Schulterzucken ab. Vorbei, vergessen. „Sag einer Frau niemals, dass sie gehen soll“, sagt sie. „Sonst wird sie es eines Tages tun.“

Das ist vielleicht die größte Überraschung von L’amant d’un jour: Die beiden Frauen sind stark und selbstbewusst, sich ihrer Gefühle und Bedürfnisse bewusst und können diese auch gegenüber den Männern artikulieren und durchsetzen. Mehr als das: Alle stehen sich hier gleichberechtigt gegenüber, reden auf Augenhöhe miteinander. Dass man diesen Umstand überhaupt so herausheben muss, zeigt wie selten solche Figuren, gerade in Filmen über die Liebe, zu finden sind.

Überhaupt will man sich von Liebe ja am liebsten von Franzosen erzählen lassen, denn bei ihnen, so hat man den Eindruck, ist Liebe immer etwas freier, sei es in der Wahl der Partner oder im Zulassen emotionaler Höhen und Tiefen. Wer hier liebt, liebt mit dem ganzen Körper. Garrel zeigt das in seinen wunderschönen Schwarz-Weiß-Bildern, wenn die Kamera auf Louise Chevillottes Sommersprossen-Gesicht eine Sekunde zu lang verweilt und sie ihrem Geliebten diesen Blick schenkt, bei dem kurz die Welt stehen bleibt, wenn man ihn zugeworfen bekommt.

Mit Kameramann Renato Berta hatte Garrel bereits für Im Schatten der Frauen (2015) zusammengearbeitet, auch damals in schwarz-weiß. Ein Mittel, auf das Garrel gern zurückgreift, „denn da kommt Film ursprünglich her und man kann da nicht mehr viel dran herumschummeln, wie man das heute gern bei digitalen Farbaufnahmen macht“, sagte er nach der Premiere im Mai 2017 in Cannes.

Gemeinsam mit Im Schatten der Frauen und Eifersucht (2013) bildet L’amant d’un jour eine Trilogie über das Finden und Vergehen von Liebe in schwarz-weiß, bei der jedes Bild sitzt und man schon ob dieser reinen Ästhetik im Bildaufbau beim Zuschauen glücklich ist. Die Sache mit den schönen Frauen, die kluge Dinge sagen, trägt ihr Übriges dazu bei.

L'amant d'un jour

Ein Professor (Éric Caravaca) verschwindet mit seiner Studentin (Louise Chevillotte) auf eine abgelegene Schultoilette. Eine kleine Affäre? Weit gefehlt. Sie lebt bei ihm, die beiden sind seit einigen Monaten ein Paar. Nur an der Fakultät ahnt davon niemand etwas. Dann steht eines Abends seine Tochter (Esther Garrel) vor der Tür. Sie hat sich zuvor mit ihrem Rollkoffer schluchzend über die schiefen Pariser Gehwege gekämpft.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen