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Ein niedliches Hündchen blickt auf sein Leben zurück – und auf das Glück seiner Menschen.

Die fabelhafte Reise der Marona (2019)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Ein Feuerwerk der Animationskunst

„Marona“, „Ana“, „Sara“… das kleine Hundebaby mit der herzförmigen Nase trägt viele Namen, jeder Mensch gibt ihr einen neuen. „Neun“ war sie nur bei ihrer Mutter, da war das Leben noch einfach: das Glück einer großen, warmen Zunge, die Welt zunächst Abbildungen aus Enzyklopädien, ein wilder Ritt durch den Bücherschrank im allerersten Zuhause – lauter Motive, die später wieder auftauchen.

Dann wird sie, eher versehentlicher Effekt einer kurzen Romanze zwischen einer rassistischen, reinrassigen Dogge und einer Promenadenmischung, ausgesetzt – und taucht in die Vielfalt menschlicher Welten ein. Erst beim Akrobaten und Träumer Manole, dann beim Bauingenieur Istvan mit der so gebrechlichen wie knallharten Mutter und der Freundin, für die Hunde nur ein weiteres Statussymbol sind. Bis sie schließlich zu Solange kommt, dem Kind, das ihr den Namen Marona gibt und das sie begleiten wird durch die Pubertät bis zur jungen Erwachsenen, die dann schließlich weinend neben ihr liegt, als Marona, von einem Auto überfahren, auf der Straße stirbt.

Die Fabelhafte Reise der Marona, dieser unfassbar schöne, wilde Animationsfilm, setzt diesen tieftraurigen Moment an den Anfang, als er noch nicht viel bedeutet. Macht ihn dadurch weniger schrecklich, weil danach erst der Blick auf ein gelebtes, angefülltes Leben folgt. Macht ihn zugleich schrecklicher, weil er unausweichlich kommen wird und weil er auf ein gelebtes, angefülltes Leben folgt.

Marona selbst bleibt dabei stets klar umrissen, während um sie herum die Welt sich stets völlig wandelt: Regisseurin Anca Damian hat gemeinsam mit den Künstler_innen Brecht Evens (Figuren), Gina Thorstensen und Sarah Mazzetti (Hintergrundillustrationen) für jeden Menschen eigene Farbwelten und Ästhetiken erforscht und durchgespielt. Beim Rotlichtviertel, in dem Manole lebt, ist der Hintergrund schwarz, die Häuser knallbunt-neonfarbene Umrisse, die Figuren in ihnen zuweilen nur Strichmännchen, andere ausgeschnittene Papierfiguren, mit Blei- oder Buntstift gezeichnet und schraffiert. Der Akrobat selbst ist dehnbar wie eine Gummipuppe, seine Bewegungen und Verrenkungen durch die Zeichnungen verlängert.

Die Arbeitswelt von Istvan hingegen ist dann geometrisch strukturiert, zwischen Blaupausen und Architekturzeichnungen changierend zu schwarz-weiß-bunten Mondrian-Gemälden. Mit Solange hingegen dominieren schließlich die warmen Farben: ein gelb-grüner Park, eine flächig-bunte Wohnung voller Schnörkel in Wasserfarben.

Und zu jedem Wechsel des Lebensraumes bietet der Komponist Pablo Pico die passende Musik: nicht aufdringlich, aber die Situation unterfütternd, Maronas Verwirrung und sich wandelnder Blick von welpenhafter Begeisterung hin zu größerer Abgeklärtheit. Das alles findet sich in den Tönen, in den Bildern und in Maronas unaufdringlicher Beschreibung aus dem Off.

Gelegentlich erinnern die Häuser, Wohnungen und Straßen an Wimmelbilder und Szenen aus den Büchern von Ali Mitgutsch: ein Blick auf die Menschen, auf ihre Stärken und Schwächen, die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen und mit der Welt um sich herum. Ein Blick, der sich die Hundeperspektive nicht nehmen lassen will: „Istvan wirft den Ball so gerne.“ (Nur holen mag er ihn anscheinend nicht.) Und der daher auch ein Blick von fast unschuldigem Gleichmut und bedingungsloser Zuneigung sein kann, der alle Schwächen sieht oder wenigstens sichtbar macht und sich dennoch in sein Schicksal fügt.

„Für Hunde ist Glück etwas anderes als für Menschen,“ sagt Marona, zu der Zeit Ana, einmal über ihren Blick auf Manole, der ruhelos nach dem immer mehr, immer Neuen sucht, während Marona sich mit weniger zufrieden gibt: Liebe, Nähe, Futter, die Fülle der Welt. Ob das stimmt, hinterfragt der Film wie nebenbei – was beschreiben wir denn für uns als Glück, was macht uns glücklich? Wonach suchen wir, was füllt uns aus?

Die Fabelhafte Reise der Marona kommt etwas unscheinbar als Animationsfilm für junge Zuschauer_innen daher, mit seinen kindertauglichen Bildern und der unmittelbaren Erzählperspektive. Aber gerade darin, in Ton, Zeichnung, Musik und Bewegung, scheint Menschsein in seiner ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit auf. Mit den Beobachtungen von Liebe und Verzweiflung, Sehnen und Zufriedenheit stößt der Film genau in die Kerbe, in der aus dem einzelnen Leben die Conditio humana hervorscheint.

Diese Meditation ohne Gedankenschwere und übergroße Ernsthaftigkeit, als poetisches und visuelles Freudenfest, als abwechslungsreiche Geschichte voll von sich wandelnden Gestalten und Welten zu inszenieren, stilistisch so abwechslungsreich wie treffsicher, das ist nicht nur gekonntes Handwerk, das ist ein so großes wie bescheidenes Kunstwerk.

Die fabelhafte Reise der Marona (2019)

Durch einen Unfall schwer verletzt, erinnert sich eine Hündin an all die Herrchen, die sie im Laufe ihres Lebens hatte.

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