Mädchen: Mit Gewalt - Edition Deutsche Vita Nr. 4 (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Hiebe für Triebe

Die erste Szene kommt nach dem Sex, aus der damaligen Kinofassung von Mädchen: Mit Gewalt wurde sie herausgeschnitten. Zu sehen sind zwei abfahrbereite Männer und ein Mädchen, das sich ankleidet. Selbstzufrieden beobachten Mike (Arthur Brauss) und Werner (Klaus Löwitsch) ihre jüngste Eroberung, können ein herrisches Grinsen kaum unterdrücken. Zu dritt verlassen sie die Wohnung und setzen das Mädchen unterwegs ab. Noch einmal wird sich des Sieges über die Frau versichert, schaut der eine durch den Rückspiegel, glotzt der andere gönnerhaft hinterher. Als sich die Blicke der Männer dann treffen, können sie nur noch in schallendes Gelächter ausbrechen. Zwei Fratzen und eine Vorspannsequenz genügen, um sich als Zuschauer schmutzig zu fühlen.
Damit ist man bestens vorbereitet auf das, was der dritte von nur vier Kinofilmen des ehemaligen Photographen und späteren Fassbinder-Schauspielers Roger Fritz diese beiden Kerle anstellen lässt: Wenn Mike und Werner aus dem Büroalltag stolpern, suchen sie Mädchen in München. Ihre Freizeit ist ritualisiert, es wird rumgekurvt, aufgegabelt, flachgelegt. Frauen heißen bei ihnen „Zuschen“, sich selbst bezeichnen sie als „geile Vögel“. Und wenn ein Mädchen mal zu „abgefeiert“ ausschaut, wird es stehengelassen und mit dem Auto davongebraust. Zur Gokartbahn bei Tag, wo die nächsten Zuschen, die nächsten jungen Mädchen, von ihnen beschwatzt, bedrängt, bereit gemacht werden sollen. Oder zur Kiesgrube bei Nacht, wo Alice (Helga Anders) festgehalten und von Werner unter Beobachtung des ungleich weniger potenten Mike vergewaltigt wird.

Dass bei den Männern neben mutmaßlich einvernehmlichem auch erzwungener Sex auf der Tagesordnung steht, offenbart die unheimliche Routine ihres zwischen Schutt und Schotter ausgeführten Plans deutlich – und stellt zudem klar, dass es nicht der letzte Gewaltakt dieser Art bleiben wird. Kathartische Effekte nämlich enthält Mädchen: Mit Gewalt, enthalten Roger Fritz und sein Drehbuchautor Jürgen Knop, dem Publikum vor. Sie lenken ihre Exploitation-Geschichte nicht in die erlösenden Bahnen des Rape-and-Revenge-Films, sondern lassen die traumatisierte Alice zum Opfer doppelter Unterdrückung werden: In einem perfiden Monolog bricht der sich distinguiert gebende Mike am nächsten Morgen den Vergeltungswillen der Frau, warnt Alice vor einem für sie schmerzhaften Justizprozedere, nimmt ihr die Aussicht auf Genugtuung. „Wissen ist Macht“, sagt Werner, als halte seine virile Brutalität jedem Widerspruch stand.

Wenn Mädchen: Mit Gewalt die institutionalisierte Verunmöglichung solcher Widersprüche andeutet (oder zumindest als ein Werkzeug der nach Erhaltung des Machtgefälles strebenden Männer herausarbeitet), wird er als diskursiver wie zugleich unerträglicher Film über Rape Culture lesbar. Das ist natürlich eine große Stärke dieses Kammerspiels unter freiem Himmel, das seine beiden Figuren im letzten Drittel schließlich aufeinander losgehen lässt. So vehement sich aber Mike und Werner vor den Augen der hier (auch seitens des Films) nun endgültig passivierten Alice die Köpfe einschlagen, so wenig kann man Gewissheit haben, ob es sich bei ihrem Zwist tatsächlich um eine Eskalation sexueller Affekte handelt – oder nicht vielmehr um ein weiteres, grauenvoll routiniert inszenierte Psychospiel, das ebendiese noch intensivieren soll. Selbstverständlich ist auch das wieder eine Stärke des Films.

Über 45 Jahre hinweg war Mädchen: Mit Gewalt in Deutschland weder auf VHS noch DVD erhältlich, auch eine Fernsehausstrahlung hat es nie gegeben. Für die vierte und nach langer Verzögerung erschienene Ausgabe der „Edition Deutsche Vita“ fertigte Subkultur Entertainment ein eigenes Master des Films an, das phänomenal genannt werden muss: Gestochen scharf und nahezu frei von Verunreinigungen erstrahlt das wiederentdeckte Kleinod hiesigen Genrekinos in makelloser und glücklicherweise nicht von Filmkorn befreiter HD-Qualität, die den Film ins digitale Zeitalter und aus der Vergessenheit rettet.

Die liebevoll produzierten Extras umfassen zwei Audiokommentare (unter anderem von Regisseur Roger Fritz, den Mitglieder des berüchtigten Hofbauer-Kommandos rege zum Film befragen), Interviews mit Arthur Brauss und Nebendarsteller Rolf Zacher (der bestens aufgelegt von Drogen, Autos und Sex erzählt, was schon allein den Kauf des Films rechtfertigt) sowie einem Booklet, das Dieter Lasers Grabrede zur Beerdigung des 2002 verstorbenen Klaus Löwitsch enthält. Darüber hinaus verfügt die im ansehnlich gestalteten Digipack vorliegende und aus Blu-ray und DVD bestehende Veröffentlichung über sowohl deutsche als auch englische Untertitel, mehrere Trailer und eine Bildergalerie mit Originalaushangmotiven. Besser kann ein Film fürs Heimkino schlicht nicht aufbereitet werden.

Mädchen: Mit Gewalt - Edition Deutsche Vita Nr. 4 (Blu-ray)

Die erste Szene kommt nach dem Sex, aus der damaligen Kinofassung von „Mädchen: Mit Gewalt“ wurde sie herausgeschnitten. Zu sehen sind zwei abfahrbereite Männer und ein Mädchen, das sich ankleidet. Selbstzufrieden beobachten Mike (Arthur Brauss) und Werner (Klaus Löwitsch) ihre jüngste Eroberung, können ein herrisches Grinsen kaum unterdrücken.
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