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Walter McMillian ist 1989 nicht der einzige Schwarze, der unschuldig im Todestrakt eines Gefängnisses im US-Bundesstaat Alabama einsitzt. Ein junger schwarzer Anwalt will ihn und seine Mithäftlinge nicht aufgeben. Das Drama basiert auf den Memoiren des Anwalts und Bürgerrechtlers Bryan Stevenson.

Just Mercy (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Hoffnung in der Todeszelle

In einem Gefängnis im US-Bundesstaat Alabama lernen sich Ende der 1980er Jahre zwei schwarze Männer kennen. Der eine, Walter McMillian, genannt Johnny D. (Jamie Foxx), ist wegen Mordes an einer 18-jährigen weißen Frau zum Tode verurteilt. Der andere, Bryan Stevenson (Michael B. Jordan), ist ein junger Anwalt mit Harvard-Diplom. Er ist nach Alabama gezogen, um gemeinsam mit der ortsansässigen weißen Aktivistin Eva Ansley (Brie Larson) die Menschenrechtsorganisation Equal Justice Initiative zu gründen. Bryan vertritt Häftlinge, die im Todestrakt einsitzen, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Armut gesellschaftlich diskriminiert sind.

Das Drama, das der Regisseur Destin Daniel Cretton (Schloss aus Glas, 2017) inszeniert hat, basiert auf einem wahren Fall, den der Anwalt Bryan Stevenson in seinem gleichnamigen Bestseller aus dem Jahr 2014 geschildert hat. Das Sachbuch ist auch in Deutschland erschienen, unter dem Titel Ohne Gnade: Polizeigewalt und Justizwillkür in den USA. Stevenson, der immer noch kostenlos Verurteilte vertritt, um ihre Freilassung oder zumindest Hafterleichterungen zu erwirken, hat bereits mehrere Fälle vor dem Obersten Gerichtshof gewonnen. So trägt er zusätzlich zur Hilfe für Einzelpersonen auch dazu bei, das Strafrecht zu reformieren.

Das Ortsschild von Monroeville, Alabama, wo Walter McMillian den Mord begangen haben soll, begrüßt den jungen Besucher Bryan mit dem Hinweis, dass Harper Lee hier ihr berühmtes Buch Wer die Nachtigall stört geschrieben hat. Kommt Bryan also etwa in eine Stadt, in der der Geist des fiktionalen weißen Rechtsanwalts Atticus Finch hochgehalten wird, der in der Ära der Rassentrennung mutig einen zu Unrecht des Mordes beschuldigten Schwarzen verteidigte? Die gleichnamige Verfilmung von 1962 jedenfalls wurde ein Klassiker, sie brachte Gregory Peck den Oscar ein.

Bryan sieht, dass ihn ein Weißer in seinem Polizeiwagen beobachtet. Der Jurist ist ja nicht naiv, er wusste, warum er ausgerechnet im Süden der USA arbeiten will, aber der Rassismus, der ihn in Alabama erwartet, verblüfft ihn dann doch. Als er zum ersten Mal das Gefängnis betritt, um die Insassen im Todestrakt zu sprechen, wird er regelwidrig von einem weißen Wärter gezwungen, sich für eine Kontrolle nackt auszuziehen.

Nein, der schwarze Anwalt ist in Alabama alles andere als willkommen. Auch die unerschrockene Eva bekommt den Hass der weißen Bevölkerung zu spüren, wankt einen Moment, als ein anonymer Anrufer ihre Familie bedroht. Das aktuell in den USA wieder stark diskutierte Thema, wie schnell Schwarze bei Polizeikontrollen in Lebensgefahr geraten, wird auch in dieser vor 30 Jahren spielenden  Geschichte aufgegriffen. Walter McMillian fuhr von der Arbeit nach Hause, direkt in eine polizeiliche Straßensperre, die nur ihm, dem vermeintlichen Mörder, galt. Die Hände legte er gleich auf das Lenkrad, bevor er wusste, worum es ging. Aber in seinen Beteuerungen, er habe nichts getan, schwang schon die Ahnung des Vergeblichen mit. Später sagt er Bryan, ein Schwarzer sei in dieser Gegend ab dem ersten Tag seines Lebens schuldig. Bryan selbst halten mit seinem Auto ebenfalls weiße Polizisten an. Sie lassen ihn aussteigen, einer hält eine Pistole an seinen Kopf. Das soll ihm nur zeigen, dass er in Alabama nicht viel zu melden hat.

Bryan besucht Walters Familie und erfährt dort, dass Walter am Tag des Mordes mit seinen Angehörigen und Nachbarn zusammen war. Viele können das bezeugen, aber es hat niemanden interessiert. Das Gerichtsurteil stützt sich auf einen einzigen Belastungszeugen, den Weißen Ralph Myers (Tim Blake Nelson), der wegen einer anderen Tat im Gefängnis sitzt. Bryan fördert nach und nach unglaubliche Machenschaften der Ermittler zutage, aber der neue weiße Staatsanwalt Tommy Chapman (Rafe Spall) will sich den Fall nicht noch einmal anschauen. Dennoch trägt Bryan genügend Material zusammen, das seinen Klienten entlastet, um einen neuen Prozess zu beantragen.

Das Genre des Gerichtsdramas ist eine amerikanische Erfolgsgeschichte, nicht erst seit Wer die Nachtigall stört (1962). Häufig basieren Spielfilme dieses Genres in jüngerer Zeit auf wahren Geschichten, so auch beispielsweise Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit (2018) über das Wirken der Juristin Ruth Bader Ginsburg, oder Eleanor & Colette (2017). Man kann auch am Beispiel von Just Mercy wieder staunen, wie spannend diese Filme sein können, in denen es um den unerschütterlichen Glauben einzelner Juristen an die Verfassung und die verbrieften Menschenrechte geht. Sie kämpfen dafür, dass der freiheitliche Geist der Verfassung, ihr Gleichheitsgrundsatz reale Missstände beseitigen hilft und die Gesellschaft zu einer besseren macht. Solche Geschichten bieten dem Kinopublikum einprägsame Aha-Erlebnisse und können in ein kollektives, staatsbürgerliches Bewusstsein miteinfließen.

Crettons Inszenierung wirkt lebendig und lebensnah. Beispielsweise werden mehrere Häftlinge, mit denen Bryan bei seinem ersten Besuch im Todestrakt spricht, von seinen ehemaligen Klienten gespielt. Auch die Brutalität der Rückschläge, die er in seiner Arbeit einstecken muss, vermittelt Realitätsnähe. Sehr beeindruckend wird  geschildert, wie Bryans Einsatz bei Walters Angehörigen und Nachbarn Hoffnung weckt. Der Stolz, Rechte zu haben, richtet sie auf. Lieder, die in der schwarzen Community beliebt sind, Traditionals, Spirituals, Blues, prägen die Filmmusik.

Parallel zur Haupthandlung, die Bryans Arbeit gilt, nimmt der Film auch die Freundschaft dreier schwarzer Häftlinge im Todestrakt ins Visier. Durch die Gittertüren ihrer winzigen Zellen unterhalten sich Walter, Herbert Richardson (Rob Morgan) und Anthony Ray Hinton (O‘Shea Jackson Jr.) ohne Blickkontakt. Herb, ein traumatisierter Vietnamveteran, steht kurz vor der Hinrichtung, er hat den Tod eines Menschen auf dem Gewissen. Anthony sitzt wie Walter unschuldig ein. Die Drei sprechen sich Mut zu, geben sich das Gefühl, nicht ganz allein zu sein. Als Herb hingerichtet wird, begleitet ihn das Geräusch der Blechnäpfe, die ihm zu Ehren von den anderen Häftlingen gegen die Zellentüren geschlagen werden.

Jamie Foxx spielt Walter sehr überzeugend auf dem schmalen Grat zwischen Zuversicht und Resignation. Er stattet ihn dabei mit einer ordentlichen Portion Emotionalität aus, die auch seine seelische Verletzung nicht verbirgt. Michael B. Jordan hingegen verleiht Bryan eine Haltung, die gerade in ihrer emotionalen Zurückgenommenheit Respekt gebietet.

Wie es der auf dem Buch basierende Filmtitel ausdrückt, ist dem echten Bryan Stevenson der Gedanke der Gnade und Barmherzigkeit wichtig, als Korrektiv eines so oft unbarmherzigen Justizsystems, das den Menschen aus den Augen verliert. Manchmal wirkt der Film etwas brav in seinem Bemühen, den Ansichten, der Motivation des realen Anwalts Stevenson gerecht zu werden. Bryan ist eine Filmfigur ohne Fehl und Tadel und somit auch nicht jede Filmszene ausreichend vor latenter Schwülstigkeit gefeit. Dennoch wühlt der harte Kampf, den Bryan im Film führt, mit seinen Höhen und Tiefen gründlich auf. Manchmal blitzt die Erkenntnis auf, worum es auf diesem langen Weg zur Gerechtigkeit auch geht, unabhängig vom abschließenden gerichtlichen Urteil. Walter, seine Familie, seine Freunde bekommen eine Stimme, können ihre Geschichte erzählen, das Fernsehen berichtet. Die systematische rassistische Ausgrenzung funktioniert nicht mehr.

Just Mercy (2019)

„Just Mercy“ basiert auf dem gleichnamigen Buch (deutscher Titel: „Ohne Gande“) des berühmten Anwalts und Bürgerrechtlers Bryan Stevenson und erzählt die Geschichte, wie dieser den unschuldig zum Tode verurteilten Walter McMillian nach sechsjährigen Kampf freibekam. 

 

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