Ghostland - Reise ins Land der Geister

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Europa? Nein danke!

Am Anfang war das Flugzeug. Ein dokumentarisch zwar schon reichlich abgedroschenes, aber immer noch wirkungsmächtiges erstes Bild ist es in Ghostland – Reise ins Land der Geister. Schließlich sind die Betrachter jenes fliegenden Stahlungetüms über dem namibischen Teil der Kalahari-Savanne keine Touristen oder UNO-Blauhelme, sondern eine der ältesten Stammesgruppen der Welt: Die Ju/`Hoansi, die von den weiterhin tonangebenden Buren bis heute häufig immer noch abwertend als „Buschmänner“ tituliert werden. Dabei lebt dieser lange Zeit völlig autark existierende Volksstamm gut 30000 Jahre länger hier als die in ihren Augen „neuen Weißen“, die sich vor allem in und um Windhoek niedergelassen haben.

Diese sind letztes Endes auch dafür verantwortlich, dass sich das jahrtausendealte Nomadenleben der namibischen Ureinwohner spätestens seit 1989 irreversibel verändert hat. Seitdem wurde ihnen nämlich das lebensnotwendige Jagdrecht aberkannt und im selben Zuge wurden sie quasi eingekerkert: Durch die gigantischen Zäune der ansässigen Farmen. Zwangsweise sesshaft gemacht und wenig gefördert durch beispielsweise nationale Hilfsprogramme, sind die Ju/`Hoansi inzwischen in erster Linie darauf angewiesen, sich dem „Westen“ Stück für Stück – sozusagen auf Teufel komm raus – zu öffnen und regelmäßig Urlaubergruppen durch ihr angestammtes Terrain in der kargen Trockensavanne zu führen.

Was zuerst mit einer gewissen Neugierde unter den betont reflektiert-ruhigen Ureinwohnern begann („Als wir das allererste Mal einen Weißen sahen, dachten wir, es wäre ein Geist!“), ist allmählich einer für sie sicherlich immer noch neuen, aber nicht mehr ganz so ungewohnt-fremden Tagesroutine zur Touristenbespaßung gewichen – mit deutlicher Schwermut im Tonfall: „Ich denke, das alte Leben war besser als heutzutage. Wir waren frei wie unsere Vorfahren.“ Und nun? Ein bisschen Tanzen und Trommeln hier, ein Selfie mit obendrein bestens genährten Gästen aus der Ferne da: Was im ersten Moment besonders entwürdigend klingt, ist letztes Ende der puren Not geschuldet. Alleine mit derartigen Jagen-Sammeln-Basteln-Verkaufen-Angeboten ist es dem stolzen Stamm mehr schlecht als recht möglich, zumindest etwas Geld für sich und die benachbarten Savannenvölker einzunehmen.

Simon Stadler, der für die Kameraeinstellungen in Ghostland – Reise ins Land der Geister und das Buch verantwortlich ist sowie die Regie (zusammen mit Catenia Lermer und Sven Methling) geführt hat, hat sich nicht nur in diesen Szenen besonders viel Zeit genommen für dieses Projekt: Das spürt man bereits zu Anfang in diesen 86 – insgesamt ziemlich kurzweiligen und nicht selten erhellenden – Dokumentarfilmminuten. Ohne Off-Kommentar, Zwischentitel oder einen aufdringlichen moralischen Zeigefinger nimmt er letztes Ende nur den interessierten Zuschauer mit auf eine abwechslungsreiche Mensch-zu-Mensch-Reise, die natürlich dramaturgisch von einer Reihe bezaubernder „Culture-Clash“-Momente (z.B. am Flughafen: „Jetzt wacht das Flugzeug auf!“, vor dem endlos scheinenden Milchregal in einem städtischen Supermarkt oder beim Public Viewing mit teutonischen Rambos) lebt, ohne je aufgesetzt – oder gar inszeniert – zu wirken.

Im besonders sehenswerten Mittelteil dieses kleinen ethnologischen Dokumentarfilmjuwels wechseln einmal zwei Männer und zwei Frauen des Ju/`Hoansi-Stammes die Rollen und folgen dem Angebot einen deutschen NGO-Mitarbeiters, seine Heimat aus der Nähe zu betrachten: Frankfurt am Main und die deutsche Provinz. Werner, den sie liebevoll nur den „Langbart“ nennen, nimmt sie dabei unter anderem mit auf die Hochhausspitzen von Mainhattan – und mitten hinein in eine für sie völlig unverständliche Welt, für die sie niemals einen Einwanderungsantrag stellen würden. „Die Leute kennen sich nicht“, meint einer von ihnen schon kurz nach der Einreise. „Ohne Geld kann man hier nichts machen“ lautet eine andere rasche Erkenntnis, weil gerade auch in der Mainmetropole extremer Reichtum neben großem Elend („Weiße sind auch arm.“) existiert.

Obwohl sich beim Betrachten dieser Einstellungen nicht automatisch – und bei jedem – ein schlechtes Gewissen einstellen möchte, stellt Simon Stadlers gelungenes, wenig wertendes Filmprojekt doch im Subtext sicherlich extrem ehrliche Fragen („Wie kann man so leben?“) an jeden von uns, der hier im reichen Europa zu Hause ist. Denn die Deutschen sind in der Tat ein sehr strebsames Arbeitsvolk, auch davon erzählt Ghostland – Reise ins Land der Geister nachhaltig, in geradezu stummen Augenblicken. Oder um es in der ebenso klaren wie profunden Sprache der Ju/`Hoansi auszudrücken: „Sie arbeiten immer – aber für was?“
 

Ghostland - Reise ins Land der Geister

Am Anfang war das Flugzeug. Ein dokumentarisch zwar schon reichlich abgedroschenes, aber immer noch wirkungsmächtiges erstes Bild ist es in „Ghostland – Reise ins Land der Geister“. Schließlich sind die Betrachter jenes fliegenden Stahlungetüms über dem namibischen Teil der Kalahari-Savanne keine Touristen oder UNO-Blauhelme, sondern eine der ältesten Stammesgruppen der Welt: Die Ju/`Hoansi, die von den weiterhin tonangebenden Buren bis heute häufig immer noch abwertend als „Buschmänner“ tituliert werden.

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