El Topo (1970)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Jodorowsky-Festspiele, Teil 2

Wir leben, so hat es Lars Henrik Gass in seinem bemerkenswerten kleinen Büchlein Film und Kunst nach dem Kino sinngemäß auf den Punkt gebracht, in goldenen Zeiten für Cineasten. Hört man das immer wieder einstimmende Wehklagen der Kinobetreiber und die düsteren Zukunftsprognosen der Branche (insbesondere in Deutschland, wo Resignation und Überschwang gerne Hand in Hand daherkommen), verwundert man sich schon ein wenig über Aussagen wie diese. Was Gass aber meint – und damit liegt er vollkommen richtig – ist die Tatsache, dass noch nie so viele Filme schnell und einfach verfügbar waren wie derzeit. Die digitalen Vertriebskanäle machen es möglich. Und das betrifft keineswegs nur aktuelle Werke, sondern in zunehmendem Maße auch Repertoiretitel. Auch wenn die vermeintlich paradiesischen Zustände nicht darüber hinwegtäuschen können, dass zugleich besonders in Deutschland die Gefahr besteht, dass durch zu wenig finanzielles Engagement seitens der öffentlichen Hand analoge Filmbestände vom Zerfall bedroht sind. Doch das ist eine andere Baustelle.

In den Genuss einer Neuauflage bzw. einer Wiederaufnahme in den Kinos kommt auch der Altmeister des Mitternachtskinos Alejandro Jodorowsky, dem das Filmfest München in diesem Jahr ja bereits eine (heftig umstrittene) Retrospektive widmete. Zeitgleich mit seinem Werk Der heilige Berg (1973) kommt nun mit dem drei Jahre zuvor entstandenen El Topo sein zweiter zentraler Film in die Kinos und erscheint nahezu zeitgleich in einer neu bearbeiteten HD-Fassung auf Blu-ray beim verdienstvollen Label Bildstörung. Wobei die Verfügbarkeit fürs Heimkino kein Argument gegen einen Besuch eines Kinos bedeuten sollte. Schließlich eignen sich gerade Jodorowskys Filme zur Wiederbelebung von Mitternachtsprogrammschienen mit entsprechendem Rahmenprogramm – in New York wurde El Topo sechs Monate lang am Stück stets um Mitternacht gezeigt. Es war so etwas wie die Geburtsstunde des „Midnight Cinema“, als dessen geistiger Vater der chilenische Filmemacher fortan galt.

El Topo in Worte zu fassen und damit annähernd einem Publikum zu beschreiben, das mit dem Werk des Kinomagiers Jodorowsky noch nicht vertraut ist, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. In diesem Film fließen so viele ästhetische und inhaltliche Elemente zusammen, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, dass man spätestens nach einer Viertelstunde im Kino fest davon überzeugt ist, dass man hier eine neue parallele Welt voller ungeahnter Möglichkeiten und geheimnisvoller Querverbindungen entdeckt hat. In diesem Film treffen Italowestern Autorenkino, hippieselige Ausflüge ins Esoterisch-Religiöse und Surrealismen, an denen Salvador Dalì seine helle Freude gehabt hätte, in solch einer Spielfreude aufeinander, dass man sich in einem bizarren Traum gefangen glaubt. Trotz der eher assoziativen Logik der Geschichte und der Bilder, die gut und gerne als Ikonen für die Ewigkeit taugen würden, wirkt El Topo aber niemals statisch oder langweilig, sondern auch heute noch bemerkenswert frisch und zeitlos.

Der stets in schwarzes Leder gekleidete „El Topo“ (deutsch: „Der Maulwurf“, dargestellt von Alejandro Jodorowsky höchstselbst) ist ein übler Revolverheld, der von seinem nackten Sohn (Brontis Jodorowsky) begleitet wird, kommt in der Wüste an den Schauplatz eines Massakers und beschließt, den Tätern ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Nach getaner Arbeit, die unter anderem auch die Kastration des Hintermannes des feigen Mordanschlages umfasst, nimmt er die schöne ehemalige Sklavin des Schurken als Gefährtin an seine Seite, lässt seinen Sohn in der Obhut von Mönchen zurück, verliert seine Begleiterin wieder, schwört der Gewalt ab und wird später zum Propheten einer obskuren Glaubensgemeinschaft von Krüppeln und Ausgestoßenen, denen er vorsteht. Dann aber trifft er viele Jahren später auf seinen Sohn, den er einst zurückließ und der heute auf Rache sinnt.

Durchzogen ist diese an sich schon seltsame Geschichte mit zahlreichen biblischen Allegorien, aber auch Elemente des Buddhismus und der weißen Magie, dass jegliche tiefergehende Interpretation des Films als Ding der Unmöglichkeit erscheinen muss. Weil aber das Zusammenspiel von Musik (komponiert ebenfalls vom Filmemacher selbst) und den erlesenen Bildern seine Wirkung nicht verfehlt, überlässt man sich gerne diesem Rausch der Fantasie, den man in dieser Intensität nur selten im Kino zu sehen bekommt.

Allein schon deswegen empfiehlt es sich, El Topo nach Möglichkeit zuerst einmal im Kino auf der großen Leinwand zu sehen und dann anschließend noch einmal Zuhause. Zu entdecken gibt es einiges in diesem kruden Meisterwerk des Underground-Kinos — auch noch nach vielen Sichtungen.
 

El Topo (1970)

Wir leben, so hat es Lars Henrik Gass in seinem bemerkenswerten kleinen Büchlein Film und Kunst nach dem Kino sinngemäß auf den Punkt gebracht, in goldenen Zeiten für Cineasten. Hört man das immer wieder einstimmende Wehklagen der Kinobetreiber und die düsteren Zukunftsprognosen der Branche (insbesondere in Deutschland, wo Resignation und Überschwang gerne Hand in Hand daherkommen), verwundert man sich schon ein wenig über Aussagen wie diese.

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