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Leo Wagner, CSU-Urgestein und ominöser Parteispezl von Franz Josef Strauß. Als Karrierist und Charmeur, Intrigant wie Stasi-Spitzel nahm er entschieden Einfluss auf den Politbetrieb nach 1945. Seine schillernde Vita liefert den Stoff für einen brillanten Dokumentarfilm über die Geister der „Bonner Republik“.

Die Geheimnisse des schönen Leo (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Der indiskrete Charme des bürgerlichen Unholds Leo W.

In jüngster Zeit ist das Interesse an der Ahnengalerie der „Bonner Republik“ von Neuem erwacht, was auch im Dokumentarfilmschaffen deutliche Spuren hinterlassen hat. Egal ob noch indirekter formuliert, beispielsweise in Nachlass von Gabriele Voss und Christoph Hübner, oder besonders fokussiert in Regina Schillings herausragendem Fernsehessay Kulenkampffs Schuhe. Dabei stellt sich immer wieder bei jüngeren Rezipienten automatisch die Frage, was das nun für eine merkwürdige (Nachkriegs-)Zeit war und welche Männer, andere Geschlechter wurden darin diskret ausgeklammert, in Politik, Kultur oder Gesellschaft jahrzehntelang das Zepter in der Hand hielten.

Zwischen Aufbruch im Wirtschaftswunderland und weiterhin bestehenden Kameradschaften, die nicht selten aus gemeinsamen Wehrmachts- oder gar SS-Tagen herrührten, erfand sich die junge Bundesrepublik nicht nur auf dem Papier neu. Und optisch auffällige Biedermänner, die rhetorisch geschult wie intellektuell vorgebildet waren, bestimmten ab Mitte der 1950er Jahre zunehmend das politische Geschehen in der provisorischen Hauptstadt Bonn. Leo Wagner (1919 – 2006) war einer von ihnen. Der Name jenes Mannes mit dem dicken Brillengestell und den durchgängig modischen Anzügen ist heute sicherlich nur noch Zeithistorikern sofort präsent.

Doch wer sich einmal mit der Genese der bayerischen CSU sowie deren führenden Partei-Repräsentanten am Rhein eingehender beschäftigt, wird gerade in den 1960er und frühen 1970er Jahren unweigerlich oft auf dessen Erfolge wie Affären stoßen, die aus heutiger Sicht zwangsläufig neu bewertet werden müssen. Das liegt in erster Linie an der Akribie und Neugierde von Leo Wagners Enkel Benedikt Schwarzer, der sich als Absolvent der HFF München und mit einem kleinen Team auf eine ebenso faszinierende wie überraschende Recherchereise aufgemacht hat: Mitten hinein zu den Gespenstern der „Bonner Republik“ und immer weiter in die titelgebenden Geheimnisse des schönen Leo.

Schließlich reißt beinahe in jeder Sequenz ein neuer Höllenschlund auf: Denn Leo Wagner gab nur nach außen den keimfreien Saubermann. Weder in seiner Partei noch im rheinischen Rotlichtmilieu oder bei der Stasi fand das wandelnde Paradoxon Wagner (s)eine Auslastung. Am Ende blieben ihm Prozesse, persönliche Verleumdungen, eine zerrüttete Ehe und jede Menge Schulden im astronomischen Bereich.

Dabei hatte eigentlich alles blendend für ihn begonnen. Als Ex-Soldat und aufstrebender Politmann aus München legte Leo Wagner innerhalb weniger Jahre einen Karrieresprung nach dem anderen hin: Zuerst reüssierte der CSU-Mitbegründer als jung-dynamischer Stadt- und Landrat in und um Günzburg, danach katapultierte ihn sein Erfolg ab 1961 in den Deutschen Bundestag, wo es der Franz-Josef-Strauß-Vertraute ab 1963 schließlich bis zum Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe wie der CDU-/CSU-Fraktion (1971 – 1975) brachte, ehe er sich in immer mehr Affären verstrickte und schließlich Selbstanzeige erstattete, nachdem bereits mehrere Parteigefährten Zweifel an der geistigen Gesundheit Wagners angemeldet hatten.

Es überrascht daher auch nicht, dass sich bis heute – außer Alfred Sauter, der gleich mehrfach im O-Ton vorkommt – keine (Ex-)CSU-Granden öffentlich über ihn äußern möchten. Denn der Name Leo Wagner steht für Historiker des wiedervereinigten Deutschlands gleichfalls für einen der größten Korruptionsskandale in der Geschichte der BRD: Durch mehrere verbliebene Stasi-Berichte, neue Zeugenaussagen und einige O-Ton-Geber im Film weiß man mittlerweile gesichert, dass es beim Versuch Rainer Barzels, Willy Brandt am 27.04.1972 durch das erste konstruktive Misstrauensvotum als Kanzler zu stürzen, mit unlauteren Mitteln zuging.

Kurzum: Leo Wagner verweigerte Barzel – wie auch sein Parteifreund Julius Steiner – die Zustimmung, was in den politisch unruhigen 1970er Jahren neben dem RAF- und Olympia-Terror zum größten innenpolitischen Paukenschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte geführt hatte. Und Brandt schließlich noch zwei weitere, wenig ruhmreiche Jahre im Bundeskanzleramt bescherte, bis er selbst über die „Günter-Guillaume-Affäre“ stolperte: Pikanterweise einen IM-Mann der Stasi.

Dasselbe Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte nämlich durch die Bestechungssumme von 50.000 DM dafür gesorgt, dass Leo Wagner in seiner Entscheidung pro oder contra Barzel alles andere als frei war und die Regierung Brandt vorerst im Amt blieb: zur Freude des „Klassenfeindes“ namens DDR. Jene schier unglaublichen Wendungen im Leben des Leo W. erzählt der 1987 in Benediktbeuern geborene Filmemacher zwar mit verhältnismäßig konventionellen Mustern. Dennoch geht von seinem extrem kurzweiligen Dokumentarfilm, der elegant zwischen Polit- und Familien-Sage hin- und herschwenkt, von Beginn an eine enorme Faszinationskraft aus.

Denn durch Schwarzers hartnäckige Recherche in weitgehend vermintem Terrain zwischen Familiengeheimnissen, Politikbetrieb, Stasi-Vergangenheit und den Irrfahrten seines Großvaters in anrüchigen Etablissements der „Bonner Republik“ werden die ungeheuerlichen Schatten der Vergangenheit auf fesselnde Weise sichtbar, was Die Geheimnisse des schönen Leo zu einer absolut sehenswerten, völlig staubfreien Geschichtsstunde macht: Finale grande inklusive.

Die Geheimnisse des schönen Leo (2018)

Der schöne Schein von Leos Bilderbuchkarriere und Vorzeigefamilie in den Wahlprospekten trügt. Seine Ehe war zerrüttet. Er hatte sich in dubiose Geschäfte verwickelt. Und es erhärten sich die Indizien, dass Leo Wagner jener entscheidende Verräter war, der 1972 das Misstrauensvotum der CDU/CSU gegen Bundeskanzler Willy Brandt scheitern lies – honoriert von der Stasi. Benedikt Schwarzers Recherchen über seinen Großvater Leo Wagner eröffnen einen ungeschönten Blick auf die Widersprüche seiner Generation und die Abgründe der Bonner Republik.

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Meinungen

Sabine Siegl · 24.01.2019

Der Film war dramaturgisch und inhaltlich
ein Highlight