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Als die österreichische Regierung im Frühjahr 2016 den Bau eines Grenzzauns am Brenner beschloss, löste das heftige Diskussionen aus — immerhin ist die Grenze ein historisch sensibles Gebiet. Die bauliche Maßnahme folgt dem imaginären Verlauf des noch nicht existierenden Zaunes.

Die bauliche Maßnahme (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Grenz-Erfahrungen am Brenner

Dass Politiker in Zeiten des Wahlkampfs vollmundige Ankündigungen machen, die später nicht unbedingt eingehalten werden können und auch gar nicht sollen, kennt man zur Genüge. In Die bauliche Maßnahme beschäftigt sich der Filmemacher und begnadete Dokumentarist Nikolaus Geyrhalter mit einem solchen Fall, der die Gemüter in seiner Heimat Österreich erregte: Im Frühjahr 2016 hatte die damalige österreichische Regierung beschlossen, eine „bauliche Maßnahme“ am Brenner in die Wege zu leiten.

Konkret war an einen Grenzzaun gedacht, der den befürchteten Ansturm der Flüchtlinge kanalisieren und illegale Grenzübertritte von Italien nach Österreich verhindern sollte. Hintergrund dieser heftig diskutierten Entscheidung war die Schließung der Balkanroute gewesen; wegen dieser, so wurde befürchtet, werde nun die „Flut“ der Flüchtlinge den Weg über Italien nach Norden nehmen. 

Also soll es wieder einmal eine Grenzanlage richten. Doch in einem „Europa ohne Grenzen“ ist solch ein Projekt per se umstritten. Und hinzu kommt noch die Besonderheit der Grenze am Brenner, denn sie trennt Südtirol auf der italienischen Seite und das österreichische Bundesland Tirol im Norden voneinander — und verweist damit auf eine historische Trennung, die kulturell ganz anders wahrgenommen wird und in Südtirol immer wieder zu separatistischen Bewegungen geführt hat. Im Lauf der Jahre hat man sich allerdings damit arrangiert und einen ganz eigenen Weg des Umgangs mit dem Status als Transitregion gefunden: Immer wieder rückt Nikolaus Geyrhalters Kamera ein kolossales Outlet Center am Brenner in den Bildmittelpunkt als sichtbares Zeichen, dass der Kapitalismus selbst politisch-kulturelle Nischen noch zu besetzen und umzumünzen weiß. 

Nikolaus Geyrhalter ist ein Regisseur, der sich besonders auf die ganz speziellen Eigenheiten der Orte einzulassen weiß, die er aufsucht, sie bilden in seinen Arbeiten zumeist die eigentliche Hauptrolle, während die Menschen darin häufig nur Statisten sind. In Die bauliche Maßnahme ist das allerdings ganz anders: Gemeinsam mit Eva Hausberger, die die Vorrecherche vor Ort machte, sind ihm wundervolle Begegnungen mit Menschen geglückt, die allesamt am Brenner wohnen und die immer wieder auf sehenswerte und sprechende Weise zum Reden gebracht werden. 

Da ist beispielsweise die junge Kassiererin an der Mautstelle, die gleichzeitig zu ihrem stupiden Job des Kassierens und Herausgebens von Wechselgeld ihre (fragwürdigen) Theorien zu den wahren Hintergründen der Fluchtbewegung der letzten Jahre gibt — stets umbraust von PKWs und Motorrädern auf dem Weg in den Süden. Oder zwei Jäger, die in den Bergen des Brenner unterwegs sind, die Durchlässigkeit der Grenzanlagen zeigen und dabei erzählen, was sie unter Heimat verstehen. Oder eine Pressekonferenz von Polizeivertretern, die den von der Politik beschlossenen Bau des Grenzzaunes („es ist ein MASCHENDRAHTZAUN, kein STACHELDRAHTZAUN“, insistiert einer der Sprecher mehrmals energisch) rechtfertigen muss. 

Immer wieder stößt der Film dabei auf Menschen und Konstellationen, die so absurd sind, dass man sie im Rahmen einer Spielfilm-Handlung niemals glauben würde: Da ist beispielsweise ein Trupp senegalesischer Bohrarbeiter, die just in unmittelbarer Nachbarschaft einer sehr heimatverbundenden Frau ihren Arbeitsplatz eingerichtet haben. Und so kommt es ganz unvermutet zu interkulturellen Begegnungen, die so ganz anders verlaufen, als man sich das vorgestellt hat. 

Überhaupt ist es bemerkenswert, wie optimistisch Die bauliche Maßnahme dann doch trotz aller schlechten politischen Vorzeichen geraten ist: Da hält ein Bio-Bauer mitten im Kuhstall ein flammendes Plädoyer für ein friedliches Miteinander und ein Tischler erweist sich inmitten seiner Werkstatt als Apologet einer Kultur des Teilens, bei der man bei jedem seiner Worte heftig nicken möchte.

Den Schlusspunkt aber bildet eine Szene, mit der die Grenzbegehung endet: Drei Polizisten öffnen einen Metallcontainer, in dem die MASCHENDRAHT-Rollen fein säuberlich eingelagert sind. Sie tun es beinahe verlegen und peinlich berührt — gerade so, als wüssten sie genau, dass diese „bauliche Maßnahme“,  um die sich der Film dreht, nichts weiter war als eine politische Nebelkerze. Der Zaun, so ist zu vermuten, wird niemals entstehen, das Leben am Brenner-Pass geht weiter seinen gewohnten Gang im Durchfahrtsland zwischen Norden und Süden.

Die bauliche Maßnahme (2018)

Im Jahr 2016 beschließt die österreichische Regierung den Bau eines Grenzzauns am Brenner, um so dem zu erwartenden Ansturm der Flüchtlinge, die nu, so wird befürchtet, nach der Sperrung der Balkanroute den Weg über Italien gen Norden nehmen werden. In dieser Zeit erkundet Nikolaus Geyrhalter die Gegend, in der der Bau stattfinden soll und trifft die Bewohner des Grenzgebiets am Brenner.

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