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Warum wandern junge Israelis, deren Vorfahren den Holocaust überlebten, nach Österreich oder Deutschland aus? Kat Rohrer und Gil Levanon spüren dieser spannenden Frage in ihrem Dokumentarfilm „Back to the Fatherland“ nach.

Back to the Fatherland (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Über Heimat

Das schöne Wörtchen „Heimat“, aufgrund seiner Umfänglichkeit im Grunde unübersetzbar, wird derzeit überstrapaziert, ja geradezu hysterisch diskutiert. In ihrem Dokumentarfilm beweisen Kat Rohrer und Gil Levanon, dass man seinen Wurzeln auch ganz unaufgeregt nachspüren kann. Ohne es vielleicht beabsichtigt zu haben, ist den beiden ein wunderschöner, tief bewegender Heimatfilm geglückt.

Die Regisseurinnen sind seit dem Studium miteinander befreundet. Ihre Familiengeschichten könnten kaum gegensätzlicher sein. Levanons Großvater Yochanan hat den Holocaust überlebt, Rohrers war ein Nazioffizier, ein „Supernazi“, wie sie an einer Stelle sagt, der bereits in die Partei eingetreten sei, als diese in Österreich noch verboten war. Lange schon überlegt Gil Levanon, nach Berlin zu ziehen. Für ihren Großvater, ja selbst für gute Freunde ist das fast schon ein Affront. Levanons Wunsch und die Reaktionen darauf waren die Initialzündung dieses Films. Denn wie ihr ergeht es vielen jungen Israelis.

Während viele Juden aus Furcht vor zunehmendem Antisemitismus Europa dieser Tage den Rücken kehren, nicht wenige davon nach Israel auswandern, vollzieht sich dort eine gegenläufige Bewegung. Immer mehr Angehörige der dritten Generation emigrieren nach Österreich oder Deutschland, mal weil das Leben in Wien oder Berlin erschwinglicher, mal weil die Zukunftsperspektive rosiger ist, mal weil ihnen das Atmen außerhalb eines engen politischen Korsetts leichter fällt.

Guy und Dan sind zwei davon. Der eine lebt mit seiner Freundin in Salzburg, der andere als Bildhauer in Berlin. Anhand der Lebenswege und Familiengeschichten der beiden Emigranten versuchen Rohrer und Levanon, ihre eigenen klarer zu sehen. Deutsch haben Guy und Dan erst in der Fremde gelernt. Nun können sie sich mit ihren Großeltern, Guy mit Opa Uri, Dan mit Oma Lea, in deren Muttersprache unterhalten. Besonders Dan eröffnet das ganz neue Wege. Nun traut er sich an Fragen heran, die er Lea auf Hebräisch nie gestellt hat. Und er lädt sie zu einer Reise in ihre Geburtsstadt Wien ein. Auch Uri besucht seinen Enkel in Österreich.

In ihrer alten Heimat schreiten Lea und Uri die Stationen ihrer Kindheit ab und eine innere Zerrissenheit wird sichtbar, die eine Generation übersprungen hat. Uri sei mehr Österreicher, als er es je sein werde, bemerkt Guy treffend. Und doch gibt es weder für Uri noch für Lea ein Zurück. Ein Leben außerhalb Israels kommt für sie nicht infrage, während ihren Enkeln gerade dieses verlockend erscheint.

Back to the Fatherland steckt voll toller, kluger, intensiver Gespräche, verkommt aber nie zu einer reinen Aneinanderreihung von Talking Heads, weil Levanon und Rohrer ihre Protagonisten nicht über sich, sondern miteinander reden lassen. Tom Marschalls Kamera fängt das beiläufig ein, setzt alles unaufgeregt in Szene, wie der Film überhaupt angesichts des aufgeregten Themas einen wunderbar unaufgeregten Ton anschlägt.

Die zwei Filmemacherinnen sind ein Teil davon, ohne das explizit zu thematisieren. Mal unterhalten sie sich in einem Tel Aviver Café, mal in einer Berliner U-Bahn. Dann wieder sitzen sie in einer größeren Gesprächsrunde, die angeregt und bewegt, vor allem aber allen Meinungen offen gegenüber die Zukunft Israels, die Erinnerungskultur in Israel, Österreich und Deutschland, das Leben in der Heimat und der Fremde diskutiert.

Back to the Fatherland ist eine kluge, einfühlsame und ungemein aufschlussreiche Betrachtung der ersten und der dritten Generation, die auf der Suche nach ihren familiären Wurzeln eine zweite Heimat findet, ohne ihre erste zu verleugnen. Durch Kat Rohrers Perspektive verliert er die Verantwortung der den Tätern Nachgeborenen zudem nie aus den Augen. Wie sich am Ende zeigt, schlummern vermutlich weit mehr dunkle Geheimnisse auf österreichischen und deutschen Dachböden, als vielen lieb sein mag.

Back to the Fatherland (2017)

In dem Dokumentarfilm „Back to the Fatherland“ geht es um junge Menschen aus Israel, die nach Deutschland oder Österreich emigrieren — trotz der traumatischen Vorgeschichten ihrer Familien.

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