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In ihrem klaustrophobisch-alptraumhaften Dokumentarfilm „Eine gefangene Frau“ erzählt die ungarische Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter die reale Schreckensgeschichte einer Ungarin, die sich mit Anfang 50 seit vielen Jahren in den Tentakeln der modernen Sklaverei verfangen hat.

A Woman Captured - Eine gefangene Frau (2017)

Eine Filmkritik von Paul Katzenberger

Viel böser kann der Mensch nicht sein

In ihrem klaustrophobisch-alptraumhaften Dokumentarfilm „Eine gefangene Frau“ erzählt die ungarische Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter die reale Schreckensgeschichte einer Ungarin, die sich mit Anfang 50 seit vielen Jahren in den Tentakeln der modernen Sklaverei verfangen hat. Der Film dokumentiert ein Martyrium, wie man es im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts nicht für möglich gehalten hätte. Gut eine Stunde lang fragt sich der Zuschauer, wie viel schlimmer es denn noch werden kann, doch dann nimmt „Eine gefangene Frau“ eine hoffnungsvolle Wende.

Wenn eine Filmkamera jemals direkt und unmittelbar der Menschenliebe diente, dann in diesem Dokumentarfilm. Der ungarischen Regisseurin und Kamerafrau Bernadett Tuza-Ritter ist mit Eine gefangene Frau nicht nur die erschütternde und erstaunlich detaillierte Bestandsaufnahme eines Falles moderner Sklaverei gelungen, sondern auch die Glanztat, diese empörende Menschenrechtsverletzung durch ihren Dreh zu beenden.

Im Zentrum von Eine gefangene Frau steht die 53-jährige Marisch, die seit elf Jahren bei einer ungarischen Familie der Mittelschicht als Haussklavin gehalten wird. Bei unbezahlten Arbeitstagen von bis zu 20 Stunden wird sie verbal und körperlich laufend misshandelt, muss auf der Wohnzimmercouch schlafen, bekommt nur Essensreste sowie Zigaretten und darf das Haus nur mit ausdrücklicher Erlaubnis verlassen, die ihr von der Familienmatriarchin und Unterdrückerin Eta so gut wie nie erteilt wird. Unerlaubtes Verlassen des Hauses wird mit körperlicher Züchtigung geahndet. 

Soweit der Alptraum, wie ihn der Zuschauer bei Eine gefangene Frau relativ schnell nachvollziehen kann. Doch während der Film Marischs Versklavung immer eingehender beleuchtet, fördert er peinigende Ungeheuerlichkeiten zu Tage, die Eta geradezu als Personifizierung des Teufels erscheinen lassen: Alles, was an Ausbeutung auch nur entfernt denkbar ist, wird von ihr gnadenlos exekutiert. 

Dass Marisch etwa ihren Monatslohn von 550 Euro, den sie für zusätzliche Nachtarbeit in einer Fabrik erhält, vollständig bei ihrer Peinigerin abliefern muss, ist dabei fast noch die harmloseste Infamie. Schlimmer ist, dass man Marisch de facto die jüngste Tochter weggenommen und sie zum eigenen Nutzen in den finanziellen Ruin getrieben hat. 

Warum Tuza-Ritters Kamera von Anfang an eine geradezu klaustrophobische Nähe zu Marischs verlebtem Gesicht sucht, wird deutlich, als die Filmemacherin ihrer Protagonistin die auf der Hand liegende Frage stellt: „Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, von hier wegzugehen?“ Marischs ablehnende Reaktion auf die Frage macht klar, dass hier eine Frau so lange degradiert und missachtet wurde, bis sie eine Lebensalternative zum Sklavendasein nicht mehr in ihrem Vorstellungsvermögen unterbringen konnte. Die auf sie starrende Kamera steht daher für den Tunnelblick, den Marisch in Bezug auf ihr eigenes Leben entwickelt hat.

Bewusst unscharf und oft verschwommen sind Tuza-Ritters Bilder hingegen, wenn sie das Umfeld zeigen, in dem Marisch gefangen gehalten wird. Diese Welt des Unrechts soll bewusst zwielichtig und undeutlich erscheinen. Von Eta selbst sind nur ihre fleischigen und geschmacklos manikürten Finger zu sehen. Ihre Bedingung, unerkannt zu bleiben, spielt dem Film damit ideal in die Hände. Dieser Schinderin hätte Tuza-Ritter wohl auch kein menschliches Antlitz gegeben, wenn es ihr gestattet worden wäre. Ihre Scham darüber, Eta 300 Euro im Monat dafür zu bezahlen, um Marisch filmen zu dürfen, ist groß genug, wie sie an einer Stelle des Filmes zu erkennen gibt. Doch ohne dieses Salär hätte die habgierige Eta die Pforten ihres Verlieses für die Filmemacherin eben nicht geöffnet.

Auch ohne ihr Gesicht zu zeigen, gewährt Eta dem Zuschauer völlig freiwillig und aus eigenem Antrieb Einblicke in ihre Entmenschlichung. Im Schutz der Anonymität breitet sie ihre gesamte Niedertracht vor dem Mikrophon aus. Die Tonspur von Eine gefangene Frau dokumentiert in einem fort, wie Eta Marisch herumkommandiert, bedroht, herabwürdigt, einschüchtert und demütigt: „Ich breche Dir das Genick“, schreit sie, um an einem anderen Tag zu höhnen: „Was für eine armselige Frau Du bist. Du staunst über Deine eigene Dummheit.“

Dabei empfindet Eta offenbar nicht die geringsten Skrupel. Denn sie bremst sich in keiner Weise bei ihren Verbalinjurien, wenn gerade gefilmt wird. Eine gefangene Frau ist daher zu einem eindrücklichen Beleg dafür geraten, wie böse der Mensch sein kann.

Doch Tuza-Ritters Film ist am Ende auch ein großartiges Hoffnungssignal: Während der Dreharbeiten, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren hinzogen, gewann die Filmemacherin das Vertrauen der zutiefst eingeschüchterten Sklavin. Am Anfang des Filmes sagt Marisch noch: „Da, wo ich bin, ist das Glück nie.“ Da weiß sie noch nicht, dass Tuza-Ritter mit ihrer Empathie und Solidarität für sie zur Glücksgöttin werden wird. Die Menschlichkeit der Filmemacherin aktiviert in ihr den letzten und verschwindend kleinen Zipfel an Selbstwertgefühl und langsam beginnt sie, das Undenkbare tatsächlich zu denken: Dass eine Flucht vielleicht sogar gelingen könnte, auch wenn sie nur ihren letzten Monatslohn in der Tasche hat.

Zitternd vor Angst und mit Tuza-Ritter an der Seite wagt Marisch schließlich den Schritt in die Freiheit und findet schließlich sogar doch noch ihr Glück. Ihren Sklavennamen Marisch hat die Gerettete inzwischen abgelegt. Heute heißt sie Edith, und hat damit den Namen, der ihr von den Eltern gegeben wurde.

So laut der Jubel ausfallen mag, der darüber angestimmt werden muss, so bedrückend ist der Umstand, dass es immer noch sehr viele Marischs gibt: Weltweit gelten 45 Millionen Menschen als Gefangene der modernen Sklaverei, davon allein 1,2 Millionen Menschen in Europa, also mitten unter uns.

A Woman Captured - Eine gefangene Frau (2017)

In Europa leben schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen als Sklav*innen in Privathaushalten. Die Polizei und die Behörden können angeblich nichts dagegen tun. Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter findet einen einzigartigen Zugang zu einer Betroffenen. Über 18 Monate lang dokumentiert sie den Alltag von Marish, die von früh bis spät ohne Bezahlung für eine Familie arbeitet. Sobald sie aufsteht, macht sie Frühstück für alle, füttert die Tiere, macht die Betten und geht dann noch in die Fabrik zum Arbeiten. Ihren Lohn muss Marish abgeben, sie setzt sich nie mit an den Tisch, schläft auf einer Couch, immer nur wenige Stunden pro Nacht. Seit mittlerweile elf Jahren lebt sie so und ein Ausweg scheint unmöglich. 

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