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Ob Abfall oder Spielzeug: Was das Kind liebt, gehört zur Familie. Im vierten Film der Reihe wird Sheriff Woody erwachsen.

A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando (2019)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

„I‘m Bonnie‘s Trash?“

You‘ve got a friend in me — mit dem Song von Randy Newman beginnt nun auch der vierte “Toy Story”-Film, und später heißt es: „You got troubles and I got ‚em too / There isn’t anything I wouldn’t do for you / We stick together, we can see it through / ‚Cause you’ve got a friend in me“. Vierundzwanzig Jahre ist es her, dass diese Melodie, dieser Text das Thema von „Toy Story“ mit setzte: Andy, das Kind, konnte sich ganz und gar und immer auf seinen besten Freund, sein Lieblingsspielzeug Woody verlassen.

Die Zeit ist erbarmungslos vergangen, Andy ist längst auf dem College (Toy Story 3 hat den Weg dorthin beschrieben) und hat seine alten Spielsachen an die kleine Bonnie weitergegeben. Buzz Lightyear und all die anderen Spielsachen haben bei ihr ein neues Zuhaue gefunden, und Sheriff Woody fühlt sich auch für dieses Kind sehr verantwortlich. Als Bonnie zu einem ersten Kennenlerntag in den Kindergarten geht, schlüpft er heimlich und verbotenerweise in ihren Rucksack, um den ganzen Tag bei ihr sein, ihr beistehen zu können. Woody, das Helikopterspielzeug.

Natürlich fühlte Woody sich schon immer für „sein“ Kind verantwortlich; das macht den Kern dieser Figur aus. Aber dennoch hat er sich gewandelt seit dem ersten Film, in dem er noch egozentrisch, gar egoistisch handelt und vor allem völlig hilflos überreagiert, als seine gewohnte Welt sich verändert, als ein neues Lieblingsspielzeug in Andys Leben tritt. Damals war Woody eine perfekte Projektionsfläche vor allem für kindliche Zuschauer.

Die ihn von Anfang an begleitet haben, die Kinder und jungen Leute von 1995, sind jetzt vielleicht selbst Eltern. Nun ist es wieder Woody, mit dem sie sich identifizieren können – allerdings der heutige, immer etwas erschöpfte Woody, der schon einiges im Leben erlebt und gesehen hat; dem es nicht mehr um seinen Status als Lieblingsspielzeug geht, sondern wirklich primär ums Kind. Und dessen neues Lieblingsspielzeug: Forky.

Bonnie hat Forky selbst gebastelt, aus einem Göffel (eine Löffel-Gabel-Kombination, gebräuchlicher ist wahrscheinlich der englische Begriff „Spork“), einem Pfeifenreiniger, Kulleraugen und etwas Holz. Weil sie an ihrem ersten Tag im Kindergarten einsam war, hat sie ihn gebastelt, ihm, wie einst auch Woody, ihren Namen unter die Fußsohle geschrieben und so das Leben geschenkt, das Spielzeuge in dieser Welt genießen.

Oder nicht genießen. Denn Forky, aus Abfallresten zusammengesetzt, will, nein kann kein Spielzeug sein – er selbst sieht sich als Abfall, und zum Abfall will er zurück. Also springt er in jeden verfügbaren Mülleimer, sobald Woody sich nur einen Moment wegdreht, und dieser fischt ihn immer wieder heraus – Bonnie braucht schließlich ihren geliebten Forky. Keine Sekunde macht sich Woody über diese ans Neurotische grenzende Identitätskrise lustig, wie seinerzeit über Buzz‘ Selbstwahrnehmung als echter Raumfahrer, stattdessen stürzt er sich ohne Zögern hinter Forky aus einem Fenster, als dieser aus dem fahrenden Wohnmobil von Bonnies Familie das Heil im Müll am Straßenrand suchen will.

Und dann läuft er halt die Landstraße entlang zum nächsten Campingplatz, auf dem Station gemacht werden sollte, Forky im Schlepptau. Wie ein trotzendes Kind lässt der sich immer wieder ein paar Schritte über den Asphalt schleifen, bevor er selbst ein paar Schritte läuft; und Woody trottet geduldig, genervt, stoisch voran, ganz der liebende, in diesem Fall etwas widerwillige, aber pflichtbewusste Ziehvater, der aus dem egoistischen Kind von früher geworden ist.

Forky, in all seiner psychischen wie auch physischen Gebrechlichkeit (eines seiner Wackelaugen droht stets abzufallen), ist eigentlich die interessanteste Figur dieser ganzen Geschichte, aber das Drehbuch von Andrew Stanton und Stephany Folsom gibt ihm letztlich nicht besonders viel Raum, sondern nutzt ihn mehr als dramaturgischen MacGuffin, als hübsch angefüllte Chiffre, die mit leicht irrem Verhalten die Handlung in Gang bringt und in Bewegung hält. Dabei wäre die Debatte „Toy or Trash“, bin ich Spielzeug oder Müll, doch eigentlich einer genaueren Betrachtung wert.

Vielleicht täuscht der Eindruck, dass die früheren Toy Story-Filme diese Figur nicht so hätten hängen lassen; aber Josh Cooleys Film zeigt diese Nachlässigkeit im Umgang mit einzelnen Figuren auch an anderen Stellen. Die große Antagonistin von A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando, die Puppe Gabby Gabby, auf die die Spielzeuge später treffen, wird am Ende ohne großes Gewese eine moralische Entwicklung durchlaufen, die vorher kaum vorbereitet wird; ihre bösartigen Gehilfen – sehr gruselige, beängstigende Bauchredner-Puppen direkt aus dem Gänsehaut-Universum – verschwinden plötzlich und rückstandslos aus der Geschichte; und die einzige Puppe in Bonnies Kinderzimmer, die Woody auch einmal widerspricht, wird meistens einfach ignoriert.

Natürlich hat das auch damit zu tun, dass dieser vierte Toy Story-Film zusätzlich zu seinem bestehenden Personal (das außer Woody und Buzz eigentlich nur noch am Rand in Erscheinung tritt) so viele neue Spielzeug-Figuren einführt: die beiden aneinandergenähten Plüschtiere Bunny und Ducky, die minusküle Polizistin Giggle McDimples und schließlich den famosen Duke Caboom, kanadischer Motorradkünstler extraordinaire und im Original zur allgemeinen Beglückung des englischsprachigen Publikums von Keanu Reeves gesprochen. Sein Slogan: „Yes, we Can-ada!“ Für bunte Abwechslung ist deshalb gesorgt, und ein Riesenspaß ist das natürlich sowieso – zumal man im Hause Pixar nach wie vor nicht nur wunderschön, sondern auch gekonnt zu animieren weiß. Sämtliche Actionsequenzen sind ohne jede Hektik, übersichtlich, aber dramatisch inszeniert, und es ist eine einzige Freude, dem Geschehen zuzusehen.

Und natürlich ist es toll, dass Woody auf dem Roadtrip, den Bonnie mit ihren Eltern im Wohnmobil unternimmt, in der Nähe des von Gabby Gabby beherrschten Antiquitätenladens auch seine alte Liebe Bo Peep wiedertrifft, die schöne Schäferin, die nun schon seit Jahren nicht als verlorenes, nein, als freies Spielzeug durch die Welt zieht. In ihr sieht Woody etwas, das ihm wieder Energie gibt, denn seine Erschöpfung ist vielleicht doch nicht so absolut. Er hat nicht genug von der Welt, nur von seiner Rolle, seinem Platz darin; er weiß es nur noch nicht.

Die stolze, mutige, eigentlich als feministisch angelegte Figur der Schäferin wird so dann (die Filmgeschichte kennt‘s, man kann nur seufzen, zur Genüge) doch wieder hauptsächlich zur Erfüllungsgehilfin für Woodys Entwicklung. Hinter jedem Mann, der sich selbst findet, steht halt doch eine Frau, die den Arsch schon längst hochgekriegt hat.

Das macht aber A Toy Story: Jeder hört auf kein Kommando weder zu einem antifeministischen noch zu einem schlechten Film; er geht nur, wie gesagt, mit seinen Figuren und deren Geschichten nicht so pfleglich um, wie man das in den besseren Filmen aus dem Hause Pixar gewohnt ist. Aber die Tränen, die man spätestens in den letzten Minuten des Films vergießen muss, sind dennoch nicht nur aus den Tiefen des Schmalzes gehoben, sondern aus dem echten Abschied, aus echten Hoffnungen. Toy Story ist zuallererst Woodys Geschichte, und hiermit findet sie jetzt endlich, in einem neuen Anfang, ein würdiges Ende.

A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando (2019)

In der mittlerweile dritten Fortsetzung von „Toy Story“ (1995), mit dem die Erfolgsgeschichte des Animationsstudios Pixar begann, machen sich die Cowboy-Puppe Woody und sein Freund Buzz Lightyear auf die Suche nach ihren verschwundenen Spielzeug-Kameraden — und vor allem Woody verfolgt dabei auch eigene Interessen, denn sein Interesse an der Hirtin ist durchaus auch romantischer Natur. 

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