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In World Taxi steigt der Filmemacher Philipp Majer und mit ihm das Publikum in fünf Taxis rund um den Globus und lauscht den Geschichten der Chauffeure und ihrer Passagiere. Ein vergnüglicher Road Trip voller Einsichten in fremde Kulturen — manchmal banal, dann entlarvend, dann wieder tiefsinnig.

World Taxi (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In fünf Taxis um die Welt

Fünf Taxis an verschiedenen Orten auf der Welt — war da nicht etwas? In Night on Earth schickte Jim Jarmusch 1991 fünf Taxifahrer in Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki mit ihren Passagier*innen durch die Nacht und in allerlei ziemlich absurde Begebenheiten. Seitdem ist der Film Kult und die vermutliche schönste Liebeserklärung an den Berufsstand der Taxifahrer*innen, den es bis heute gegeben hat. Nun bekommt der große Jim Jarmusch aber Konkurrenz — zumindest auf dem Gebiet des Lieblingsfilms des Mietdroschkenführergewerbes. Philipp Majers Dokumentarfilm „World Taxi“ ist ähnlich wie Jim Jarmuschs Film an fünf Orten der Welt (Bangkok, Prishtina, El Paso, Dakar und Berlin) unterwegs und besteigt die Taxis dort. Doch die Lenker und ihre Gäste auf dem Rücksitz sind echte Menschen, keine ersonnenen Figuren. Und die haben es genauso in sich wie die rein fiktiven Geschöpfe eines Spielfilms und stehen denen in Sachen Vielschichtigkeit und Unterhaltungswert nichts nach.

Da ist etwa Bambi La Furiosa, wie sie sich selbst nennt, eine blondierte und stets schwarz gekleidete Berlinerin, die am liebsten nachts fährt und deren Taxi gerne für Fahrten in den legendären Club Berghain genutzt wird. Dementsprechend wild sind dann auch die Geschichten, die sie von ihren Erlebnissen mit dem Partyvolk zu berichten weiß. Da geht es um die neueste Musik und um Strategien und Wege, wie man vielleicht doch an den strengen Türstehern vorbei in den Club hineinkommt oder natürlich um die anscheinend unvermeidlichen Beschwerden darüber, wie schnell die Stadt sich mal wieder verändert hat.  Manchmal gibt es auch ein recht offenherziges Angebot, doch bei einem Dreier mitzumachen — langweilig jedenfalls scheint der Job nie zu sein. Wenn doch nur einer der nächtlichen Gäste, der sie nach ihrer privaten Telefonnummer gefragt hat, endlich mal anrufen würde.

In Dakar kurvt Mamadou über die Straßen und hat indes ganz andere Probleme: Da bekommt er von drei Passagierinnen die Leviten gelesen über die Untreue der Männer und über den Preis der Taxifahrt wird mindestens ebenso energisch diskutiert wie über Beziehungsfragen. Und schließlich drehen sich die Diskussionen in seinem Taxi auch um die Frage, ob es nicht vielleicht in Europa besser ist — gerade dann, wenn man eine Vielehe führt. Mamadou hält davon allerdings nichts, denn in der Fremde brauche man immer erst eine Weile, bis man dort angekommen sei — wenn überhaupt. Dann doch lieber in Dakar bleiben, wo man alle staubigen Straßen kenne und wenigstens die Musik gut sei.

Auf ähnliche Weise durchstreift der Film die anderen Handlungsorte, steigt ein in Bangkok bei Tony, wo die Unzufriedenheit mit der Regierung groß ist und wo sehr unverblümt darüber gesprochen wird, dass die Armut viele Menschen hier in die Prostitution zwingt. 

In El Paso an der Grenze zu Mexiko sind die Probleme andere. Gerade, als dort gedreht wird, findet in las Vegas ein Mass Shooting mit einer automatischen Waffe  bei einem Konzert statt, bei dem 50 Menschen den Tod finden. Sergios Fahrten führen häufig über die Grenzen, in den berüchtigten Drogen-Hotspot Juarez. Doch die Gründe seiner Fahrgäste, dorthin zu fahren, sind andere: erschwingliche Medikamente oder günstige medizinischen Behandlungen wie etwa die Magenverkleinerung, der sich eine junge und stark übergewichtige Amerikanerin unterziehen will, um endliche etliche Kilo zu verlieren und beim Spielen mit der kleinen Tochter nicht immer erschöpft zu sein. Fast immer sind die Fahrten auf die andere Seite nach Mexiko angstbesetzt oder auf andere Weise mit negativen Gefühlen verbunden, die Sergio mit seiner ruhigen und bedächtigen, beinahe väterlichen Art seinen Passagier*innen zu nehmen versucht. Die Grenzmauer, Trumps mit viel Getöse angekündigtes Prestigeprojekt gegen die „Flut“ der Mexikaner, wirkt da wie ein absurdes Mahnmal aus einer Zeit, in der die Grenzen in den Köpfen wieder errichtet wurden. 

Destan indes, der Fünfte im Bunde, der in Prishtina, der Hauptstadt des von Misswirtschaft, Armut und Korruption geschüttelten Kosovo mit dem Taxi herumkutschiert, will sich wie viele seiner Landsleute nicht unterkriegen lassen, obwohl die Feierstimmung nach der Unabhängigkeit längst einer Ernüchterung gewichen ist und nicht zuletzt auch der Angst, dass die explosive Lage im Kosovo jederzeit kippen könnte. Dennoch spielen Gastfreundschaft und Großherzigkeit in seinem Alltag eine große Rolle — und so fährt ein armer Rentner schon mal umsonst mit, wenn der das Geld eigentlich nicht aufbringen kann. 

Philipp Majer verfügt über ein gutes Auge und viel Gespür für die richtige Balance. Sein niemals langweiliger Film fesselt dank einer ausgeklügelten Dramaturgie, die zwischen Banalem und tiefen Einblicke in das Leben in verschiedenen Städten und Kulturen ein gutes Gleichgewicht findet und sich wie ein Panoptikum zu einem facettenreichen fragmentarischen Bild des Lebens zusammensetzt.

Und ehrlich gesagt ist der Film vielleicht sogar genau das, was wir jetzt brauchen und was wir seit einer gefühlten Ewigkeit vermisst haben: Eine Einladung, wieder in die Welt hinauszugehen, neugierig auf Menschen zu sein in anderen Ländern, auf ihre Probleme, das was sie beschäftigt, antreibt, das, worüber sie lachen können oder worüber sie sich ärgern. Oder auch gerade, weil im Moment Reisen nicht in gewohntem Maße möglich sind: World Taxi ermöglicht sie zumindest im Kopf oder auf einer Leinwand für die Dauer von 82 Minuten.

World Taxi (2019)

Fünf Taxis, fünf Städte. Bangkok, Prishtina, Dakar, El Paso und Berlin. 24 Stunden im Leben der Taxifahrer*innen, die ihre Fahrgäste durch die Stadt geleiten. Zwischen Vordersitz und Rückbank entspinnen sich Gespräche, die Gedanken kreisen, es offen bart sich Alltägliches und Privates, Banales und Intimes. Das Öffnen und Schließen der Tür gibt den Rhythmus vor, verbindet die Protagonist*innen und zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten quer über den Globus auf. Ein Mikrokosmos in der Großstadt. Unendliche Möglichkeiten. Und das Taxameter läuft. (Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2020)

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