Trail der Träume (2023)

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

Lauf, Savas, Lauf!

Über 5170 Kilometer Laufen. In 87 Tagen. Durch ganz Peru. Für Menschen, die sich für den morgendlichen Weg vom Schlaf- ins Badezimmer schon enorm ins Zeug legen müssen, ist das unvorstellbar. Für Savas Coban ist es ein Lebenstraum, auf den er sein ganzes junges Leben hingearbeitet hat. Und so macht sich Savas im November 2022 auf nach Lima, um dort seine Reise zu starten – und den Weltrekord zu knacken.

Das Filmteam rund um die Regisseurinnen Dorit Jeßner und Steffi Rostoski begleitet den energiegeladenen, ehrgeizigen Extremsportler und erschafft ein filmisches Reisetagebuch, dessen Stärke und Schwäche in gewisser Weise der Protagonist selbst ist.

Der Film steigt unmittelbar in Savas‘ Vorbereitungen auf die extreme Aufgabe ein. Dabei bleiben sein biografischer Hintergrund oder seine Motivation zunächst außen vor. Man begegnet Savas‘ Familie, seiner Mutter (die sich sorgt), seiner Schwester (die ihn in seinem Handeln nicht immer versteht) und seinen Kumpels (die am meisten interessiert, was er denn die nächsten drei Monate essen wird). Savas selbst bleibt den Zuschauenden fremd.

Ein dramaturgischer Fehler – könnte man denken. Doch im Grunde ist es ein kluger Schachzug, die Zuschauenden mit Savas auf eine Reise ohne Informationen zu schicken. So ist man gezwungen, diesen Menschen, der sich da – nicht immer so strahlend wie zu Beginn der Strecke – durch die Anden, den Regenwald, die Wüste und die Strandpromenaden quält, wirklich „from the scratch“ kennenzulernen.

Das schafft Nähe und auch Interesse an einem Mann, der sich permanent antreibt und scheinbar jeder Herausforderung standhält: durchgelaufene Schuhe, ein verlorenes Handy, eisige Kälte, hautablösender Sonnenbrand, hoher Luftdruck und schwere Schneestürme sind nur einige Hindernisse, die auf Savas warten. Auch im Weg stehende Mauern oder bellende Straßenhunde halten ihn nicht auf.

Die bis auf Ausnahmen meist recht schönen, aber auch etwas plakativ wirkenden Landschaftsbilder (Drohnen, immer wieder Drohnen!) werden gekonnt gebrochen von einer Tonspur, auf der schon zu Beginn des Films Savas‘ Ächzen und Stöhnen zu hören ist. Mehr als einmal wird er an seine Grenzen gehen, mehr als einmal möchte ihn das Filmteam bremsen und man selbst möchte rufen: Lass gut sein! Aber er lässt es eben nicht gut sein. Alleine dafür gebührt Savas Coban Respekt, auch weil der Sportler weder allein auf weiter Wanderflur noch in der Begegnung mit Einheimischen überheblich wirkt, sondern fokussiert und am Boden geblieben.

Weniger wünschen würde man sich Sätze wie „Du bekommst nur das, wonach du fragst“ oder „Je schwerer der Weg, desto größer die Freude“. Doch was gibt es schon sonst zu reden, in der Einsamkeit des Langstreckenläufers, die der Film nachvollziehbar vermittelt. Dass Savas Coban auch Influencer ist, der alles für seine Follower festhalten will, verliert sich im Verlauf des Films glücklicherweise immer mehr, wenn deutlich wird, dass es sich hier nicht um einen Marketing-Gag, sondern um einen echten, existenziellen Traum handelt.

Da das Filmteam nicht auf allen Streckenabschnitten dabei sein kann – in einer Sequenz, die leider nur am Rande die aktuelle politische Lage Perus ins Bild holt, sind durch Proteste die Straßen blockiert und Savas darf nur unter der Bedingung weiterlaufen, wenn er ein Schild vor sich her trägt – liegt es am Sportler selbst, einen Großteil seiner Strecke zu dokumentieren.

Die Wirkung, die der Film auslöst, steht und fällt in der Konsequenz mit der Haltung der Zuschauenden gegenüber dem Protagonisten. Lässt man sich auf ihn ein, kann man knapp 90 Minuten mitfiebern, sich inspirieren lassen und wird mit einem wirklich berührenden Ende belohnt. Gelingt dies nicht, gibt es nur wenige wirklich filmische Momente, die das wettmachen.

Im Gegensatz zu Dokumentarfilmen wie Kilimandscharo – Diesmal mit Krücken über den Bergsteiger Thomas Lämmle (Regie: Michael Scheyer) oder Himmel über dem Camino (Regie: Fergus Grady und Noel Smyth) über Wanderer auf dem Jakobsweg, die in die Biografien der Porträtierten eintauchen, setzt sich Trail der Träume Anfang bis Ende das klare Ziel: ein filmisches (Reise-)Tagebuch für die sportliche und mentale Kraftleistung eines bewundernswerten Menschen zu sein. Und dieses Ziel erfüllt der Film ohne Zweifel.
 

 

Trail der Träume (2023)

Savas Coban, 29, hat ein Ziel. Er will als Extremsportler leben und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten.

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