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In „The Lesson“ beobachtet Alice Troughton vier Personen auf einem entlegenen Luxusanwesen – und erzeugt aus dieser Prämisse mit ihrem Schauspielteam reichlich Spannung.

The Lesson (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Strahlendes Dunkel

In der Filmkritik ist es oft eher abwertend gemeint, wenn ein Film als theaterhaft beschrieben wird – oder wenn es heißt, er wirke wie ein Roman in Bildern. Guten filmischen Kammerspielen gelingt es jedoch, das Beste aus diesen beiden anderen Medien, die Wortgewalt und Tiefe von Romanen und die Intensität von Theaterstücken, ins eigene Medium zu übertragen und mit den filmimmanenten Stärken zu verbinden.

Mit The Lesson liefert die britische Regisseurin Alice Troughton auf Basis eines Drehbuchs von Alex MacKeith ein solches Beispiel. In seiner Reduktion auf nur wenige Figuren und einen einzigen zentralen Schauplatz hat das Werk etwas von einem Bühnenstück. Zudem wäre es gar nicht überraschend, wenn das Skript auf einer literarischen Vorlage basieren würde, da die Hintergründe des gesamten Personals und sämtliche zwischenmenschlichen Beziehungen hier voller Details und Andeutungen stecken. Diese Qualitäten von MacKeiths Drehbuch kombiniert Troughton in ihrer Inszenierung wiederum mit kinospezifischen Elementen – etwa mit sehr stilvollen Aufnahmen im Super-16-Modus und einer modernen Film-noir-Atmosphäre, die einerseits an die Klassiker der Strömung erinnert, sich andererseits aber durch viel Sonnenlicht und satte Farben deutlich von deren Ästhetik unterscheidet.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Liam (Daryl McCormack), der gerade höchst erfolgreich sein Studium der englischen Literaturwissenschaft an der University of Oxford abgeschlossen hat und seit längerer Zeit an seinem ersten Roman schreibt. Er nimmt eine Stelle als Hauslehrer für den jugendlichen Bertie (Stephen McMillan) an – den Sohn des von ihm verehrten Schriftstellers J.M. Sinclair (Richard E. Grant) und der Kunstkuratorin Hélène (Julie Delpy). Deshalb zieht Liam vorübergehend auf das abgelegene Herrenhaus der Sinclairs. Seine Aufgabe besteht darin, Bertie auf die universitäre Aufnahmeprüfung vorzubereiten. Teil der Vereinbarung ist es, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichnen. Bald erkennt der Nachwuchsautor, dass diese Familie so einige dunkle Geheimnisse hat.

Die Spannung ergibt sich in The Lesson unter anderem daraus, dass der Protagonist als Außenstehender zu der sehr engen (und zunehmend beengenden) Familienkonstellation hinzustößt und die Dynamiken innerhalb dieser kleinen Gruppe erst einmal begreifen muss – ebenso wie wir dies als Publikum müssen. Ohne direkt davon zu erzählen, vermittelt der Film auch einiges über das britische Klassensystem, indem er einen Schwarzen jungen Mann, der durch Bildung und harte Arbeit in die „höheren“ Kreise der Gesellschaft vorgedrungen ist, auf einem riesigen Anwesen für eine wohlhabende weiße Familie als Nachhilfelehrer des mürrisch-verwöhnten Sohnes tätig sein lässt.

In seinem Spiel mit Thriller-Elementen lässt The Lesson an die Patricia-Highsmith-Adaption Der talentierte Mr. Ripley (1999) von Anthony Minghella denken. Ähnlich wie dort, wird auch hier ein sonnendurchflutetes Idyll präsentiert, hinter dem sich rasch Abgründe offenbaren. Und ebenso sind begehrliche Blicke – mal heimlich, mal ganz offensiv – von entscheidender dramaturgischer Bedeutung. Auf ambivalente Weise verhandelt der Film den Geniebegriff. „Die großen Autoren stehlen“, meint Sinclair süffisant. Doch wer wird bestohlen? Und welche Opfer müssen dafür gebracht werden?

Richard E. Grant und Julie Delpy kosten die Unberechenbarkeit ihrer Rollen wunderbar aus – während Daryl McCormack, der schon in Meine Stunden mit Leo (2022) bewiesen hat, dass er mühelos auf engstem Raum neben einer Schauspielgröße bestehen kann, eine ideale Identifikationsfigur verkörpert, die mehr und mehr zwischen den Konfliktherden zerrieben zu werden droht.

The Lesson (2023)

Als frischgebackener Absolvent der englischen Literaturwissenschaft nimmt Liam eine Stelle als Hauslehrer für Bertie an, den verwöhnten, mürrischen Sohn seines literarischen Idols, des Starautors J.M. Sinclair. Um Bertie bestmöglich für seine Aufnahmeprüfung vorbereiten zu können, zieht Liam kurzerhand auf den mondänen Landsitz der Sinclairs. Wenn er nicht gerade den wenig motivierten Bertie unterrichtet, kann er an seinem eigenen ersten Roman arbeiten. Zudem hofft Liam, den zunehmend zurückgezogen lebenden Sinclair als Mentor für sich selbst gewinnen zu können. Doch schon bald merkt Liam, dass er in ein engmaschiges Netz aus Familiengeheimnissen, Ressentiments und Vergeltung verstrickt ist. Sinclair, seine Frau, die geheimnisvolle Kunstkuratorin Hélène und ihr Sohn haben eine dunkle Vergangenheit, die Liams Zukunft ebenso bedroht wie ihre eigene. Während die Grenzen zwischen Mentor und Schützling verschwimmen, werden Klasse, Ehrgeiz und Verrat zu einer gefährlichen Kombination.

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