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In „Skinamarink“ appelliert Kyle Edward Ball an kindliche Angstgefühle in der Dunkelheit – mit einfachen Mitteln und einem enormen Effekt.

Skinamarink (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Kevin und Kaylee – Allein zu Haus?

Ein Gruselfilm mit Mikrobudget. Ein Hype in Popkultur-affinen Kreisen. Und plötzlich ein beachtlicher Erfolg an den Kinokassen. Diese Geschichte hat sich nun schon ein paar Mal in ähnlicher Form zugetragen. Im Jahr 1999 erwies sich „Blair Witch Project“ von Daniel Myrick und Eduardo Sánchez als Überraschungshit – was zum einen an dem pseudo-dokumentarischen Stil lag, der damals im Mainstream noch recht unüblich war, und zum anderen an dem Aufmerksamkeit erregenden Reklamefeldzug, bei dem etwa mit Missing-Person-(Fake-)Plakaten operiert wurde, um den Anschein einer wahren Begebenheit zu erwecken. Im Jahr 2007 gelang es wiederum dem Indie-Filmemacher Oren Peli mit Unterstützung des Produzenten Jason Blum, einen Riesenrummel um den ausschließlich aus Einstellungen einer Überwachungskamera bestehenden Found-Footage-Horror „Paranormal Activity“ auszulösen.

Ohne das große Bohei sind diese Werke indes oft ziemlich reizlos. Verwackelte, schlecht ausgeleuchtete Aufnahmen von drei extrem unsympathischen (Schauspiel-)Nervensägen im finsteren Wald. Dürftige Bilder eines langweiligen Paares in einer ebenso langweiligen Wohnung, in der bis kurz vor Schluss fast nichts passiert. Skinamarink, der neueste Beitrag aus der Reihe hochgejazzter Cheapo-Grusler, ist diesbezüglich hingegen eine willkommene Ausnahme. Der Werdegang des Films ist vergleichbar: Die Produktionskosten betrugen unter 15.000 US-Dollar; das Einspielergebnis liegt derzeit bereits bei 2,1 Millionen US-Dollar. Via TikTok und Reddit ging die Begeisterung nach ersten Festivaleinsätzen (und einer technischen Panne bei einer Online-Auswertung, die das Werk vorübergehend frei downloadbar machte) viral. Doch auch wenn wir diesen äußeren Rahmen gänzlich ausblenden, bleibt ein spannender, bemerkenswerter Film.

Der Regisseur und Drehbuchautor Kyle Edward Ball, der hier sein Langfilmdebüt gibt, hat einen Hintergrund als YouTube-Künstler: Auf seinem Kanal Bitesized Nightmares präsentiert er in konzisen Videos audiovisuelle Albträume. Auch der Mitte der 1990er Jahre angesiedelte Skinamarink scheint einer Albtraumlogik zu folgen. In grobkörnigen, verrauschten Aufnahmen, überwiegend in der Dunkelheit, erleben wir die Geschwister Kevin (Lucas Paul) und Kaylee (Dali Rose Tetreault), vier und sechs Jahre alt, in ihrem Elternhaus. Mom und Dad (Jaime Hill und Ross Paul) verhalten sich seltsam; irgendwann sind sie offenbar verschwunden. Eine Tür, ein Fenster, eine Toilette und andere Gegenstände sind ebenfalls – zack, pling! – einfach nicht mehr da. Ein Stuhl und eine Barbie-Puppe hängen derweil an der Decke, und die Spielsachen auf dem Fußboden scheinen ein Eigenleben zu entwickeln. All das hält die Kamera von Jamie McRae in ungewöhnlichen Einstellungen und Perspektiven fest, bei denen etwa die Gesichter aller Personen (fast) nie zu sehen sind. Bald ist klar: Etwas Dämonisches ist in diesem Haus.

Indem Skinamarink diverse Utensilien aus einem Kinderzimmer, etwa einen Wecker mit „lustigem“ Gesicht, mit einer unheimlichen Aura auflädt, lässt er an Tobe Hoopers Poltergeist (1982) denken. Auch Stuart Rosenbergs Amityville Horror (1979) mag in den Sinn kommen. Insgesamt geht es in Balls Werk aber weniger um das, was hier (in Ansätzen) erzählt wird, sondern vielmehr um das, was uns emotional vermittelt wird. „Are you hiding?“, lautet eine der wenigen Dialogzeilen, die gesprochen wird. „Why was mom crying?“, heißt es an anderer Stelle. Stets wird geflüstert. Unweigerlich denken wir an die eigene Kindheit – und wie die Fantasie in der Nacht beängstigende Purzelbäume schlug. Was könnte sich in der Finsternis verbergen? Was (oder wer) knarzt da? Hat sich da gerade etwas bewegt?

Eine weitere Parallele zu Poltergeist ist der Fernsehapparat, dem eine atmosphärische Bedeutung zukommt. Auf VHS schauen die Kinder alte Looney-Tunes-Folgen. Auch in der Trickfilmreihe werden die Figuren immer wieder mit überraschenden Phänomenen konfrontiert: Hinter einer Tür verbirgt sich die nächste Tür, hinter der wiederum die nächste Tür wartet – und so weiter. Die übertriebene Cartoon-Fröhlichkeit ist ein wunderbarer Kontrast zur finsteren Nachtstille. Skinamarink ist mit seiner 100-minütigen Laufzeit gewiss eine Geduldsprobe – doch ohne Zweifel ein faszinierendes Experiment, das die richtige Balance aus Nostalgie, Gänsehaut und Verblüffung findet.

Skinamarink (2022)

1995: Eines Nachts wachen der vierjährige Kevin und seine sechsjährige Schwester Kaylee allein zu Hause auf. Von ihren Eltern fehlt jede Spur. Noch dazu verschwinden alle Fenster und Türen auf unerklärliche Weise. Um sich von der beängstigenden Stille und Dunkelheit um sie herum abzulenken, schauen die Kinder Zeichentrickfilme und beschäftigen sich mit ihrem Spielzeug. Dann hören die Geschwister plötzlich eine unheimliche Stimme, die aus den Schatten des Hauses zu ihnen spricht – und mit ihnen spielen will …

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