Log Line

In seiner selbstironisch-verspielten Crime-Comedy „See How They Run“ konfrontiert Tom George seine Star-Riege mit der altbekannten Frage: „Wer war’s?“.

See How They Run (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Zuflucht

Seit dem 25. November 1952 wird Agatha Christies Kriminalstück Die Mausefalle (mit einer pandemiebedingten Unterbrechung zwischen März 2020 und Mai 2021) täglich im Londoner West End aufgeführt – ein Rekord! Die Meta-Whodunit-Komödie „See How They Run“ von Tom George ist im Jahr nach der Premiere des Werks angesiedelt: Die hundertste Vorstellung wird gerade gefeiert – und der Hollywood-Regisseur Leo Kopernick (Adrien Brody) soll die Geschichte auf die Leinwand bringen.

Kopernick fungiert zugleich als Erzähler des Films und äußert sich recht unbeeindruckt über Christies Erfolgsstück. Es sei eben ein Whodunit – kennste einen, kennste alle … Und hier wird bereits deutlich, dass See How They Run wohl in etwa das sein möchte, was zum Beispiel Wes Cravens Scream – Schrei! (1996) für das Slasher-Movie war: ein selbstreferentielles Werk, das sich mit Ironie, aber auch mit sehr viel Liebe einem narrativen Konzept widmet, das mehr oder weniger als ausgereizt gilt.

Das Skript von Mark Chappell und die Umsetzung des Regisseurs zelebrieren lustvoll die Klischees, die ein Whodunit-Plot bereithält, und jonglieren mit Meta-Gags. Wenn eine Figur innerhalb der Handlung fordert, bei einem Projekt doch bitte auf Rückblenden zu verzichten, folgt natürlich prompt eine Rückblende. Und auch die Idee, eine Figur zum ersten Opfer zu machen, die zunächst zentral erscheint und obendrein prominent besetzt ist, bezieht sich auf berühmte Vorbilder – insbesondere auf Alfred Hitchcocks Psycho (1960), in dem die von Classical-Hollywood-Star Janet Leigh verkörperte Protagonistin überraschend früh ermordet wird.

Hier trifft es nun den sarkastischen Kopernick – und selbstverständlich gibt es zahlreiche Verdächtige, darunter den Autor Mervyn Cocker-Norris (David Oyelowo), den Produzenten John Woolf (Reece Shearsmith), die Theaterleiterin Petula Spencer (Ruth Wilson) und das Schauspielpaar Richard Attenborough (Harris Dickinson) und Sheila Sim (Pearl Chanda). Die Ermittlungen übernimmt der leicht abgehalfterte Inspector Stoppard (Sam Rockwell), der wiederum von der übereifrigen jungen Kollegin Stalker (Saoirse Ronan) unterstützt wird.

In diesem hochkarätigen Ensemble sticht Saoirse Ronan mit ihrem perfekten Comedy-Timing heraus. Auch ihre Rolle der noch unerfahrenen, aber maximal motivierten Polizistin, die immer ihren Notizblock zur Hand hat, ist gewiss ein Stereotyp. Doch Ronans hingebungsvolle Performance bringt auf den Punkt, was der Film womöglich im Kern vermitteln will: dass sich das Alte, Bekannte durch eine frische Herangehensweise, durch Charme und Humor jederzeit wiederbeleben lässt und sich darin bei aller Nostalgie auch Neues und Modernes entdecken lässt. Die Interaktion zwischen Rockwell und Ronan ist das schlagende Herz von See How They Run; aus der anfänglichen Unterwürfigkeit Stalkers wird mehr und mehr ein Zweifeln an Stoppard – und schließlich eine echte Zusammenarbeit.

„It’s the escape, I suppose“, meint Stalker an einer Stelle, um ihre Begeisterung für das Kino zu begründen. Genau das bietet der Film in jeder Szene: eine Flucht aus der Wirklichkeit, hinein in eine Welt, die sich ihrer Künstlichkeit stets bewusst ist und uns immer wieder mit kleinen und großen Anspielungen darauf hinweist. Wenn Stoppard, der eine Kriegsverletzung hat, den affektierten Attenborough befragt, studiert dieser akribisch den Habitus des Inspectors – und übernimmt dessen Art, einschließlich des Hinkens, später für sein Spiel auf der Bühne. Das Produktions- und Kostümdesign schwelgt im Fifties-Chic; der detailfreudige Inszenierungsstil mit seinen ausgeklügelten Bildkompositionen erinnert zuweilen an die Exzentrik von Wes Anderson.

Es macht Spaß, Stoppard und Stalker in einem winzigen, schlumpfblauen Auto durch London zu folgen, um den Fall zu lösen und dabei diverse Affären, kreative Differenzen und Abgründe aufzudecken. Das Finale findet folgerichtig auf dem verschneiten Anwesen von Agatha Christie persönlich statt, die von Shirley Henderson ganz wunderbar-schräg interpretiert wird. Auch die Auflösung ist einerseits konventionell – und wirft andererseits einen durchaus neuen, kritischen Blick auf einen Klassiker und dessen Hintergrund.

See How They Run (2022)

Im London der 1950er Jahre möchte ein verzweifelter Hollywood-Filmproduzent ein beliebtes West-End-Theaterstück als Film adaptieren. Als mehrere Produktionsmitglieder ermordet werden, befinden sich Inspector Stoppard und der Rookie Constable Stalker inmitten eines rätselhaften Falles im glamourösen Theatreland.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen