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Immer wieder geraten rassistische Vorfälle in den Fußballstadien Deutschlands und der Welt in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit — und dann oft schnell wieder in Vergessenheit. In seiner Dokumentation „Schwarze Adler“ lässt Torsten Körner die Betroffenen selbst zu Wort kommen — es sind allesamt Spieler*innen der Deutschen Nationalmannschaften.

Schwarze Adler (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Rassismus und Fußball

Der schwarze Bundesadler auf weißem Grund — das Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft ist ikonisch für jedes Kind, das davon träumt, später selbst einmal in einer der beiden Mannschaften zu spielen. Und doch gibt es Unterschiede für einige der kickenden Mädchen und Jungen, die heute fast schon normal erscheinen, dies aber weder sind noch es jemals waren. Die Rede ist von jenen Schwarzen Spieler*innen, die für Deutschland auf dem Feld aufliefen.

Der Filmemacher Torsten Körner lässt diese in seiner sehenswerten Dokumentation „Schwarze Adler“ selbst zu Wort kommen und sie von ihren unterschiedlichen Wegen, aber auch ihren Erfahrungen mit Rassismus auf dem Platz und im Alltag erzählen. Das Ergebnis ist ein handwerklich sauberer Film, der zwar seine TV-Gene nicht ganz verleugnen kann, aber dennoch ungeheuer beeindruckend und sehr offen ein Grundproblem unserer Gesellschaft anspricht, das sich gerade auf den Fußballplätzen und in den Stadien immer wieder Bahn bricht. Zu sehen ist der Film beim Amazon Prime Video, bevor er dann am 18. Juni seine Free-TV-Premiere im ZDF haben wird. Und aufgrund der Wirksamkeit, die man diesem Film wünschen muss, ist das vermutlich eine kluge Entscheidung, die so hoffentlich eine größere Breitenwirkung entfalten kann, als sie es im Kino gehabt hätte. 

Imposant ist allein schon die schiere Menge an Kicker*innen, die Schwarze Adler vor der Kamera versammelt. Neben Erwin Kostedde, dem ersten dunkelhäutigen Spieler in der Nationalmannschaft, und Jimmy Hartwig, der ihm als zweiter nachfolgte, konzentriert sich Körner eben nicht ausschließlich auf die männlichen Kicker, sondern rückt dezidiert auch Spielerinnen in den Mittelpunkt. Neben der Fußballikone Steffi Jones beeindruckt dabei vor allem Shary Reeves, die vielen vor allem als (Mit-)Moderatorin der ebenso lustigen wie informativen und kultigen Kindersendung Wissen macht Ah! im KiKa ein Begriff sein dürfte und die im Kader des deutschen U16-Nationalteams stand. 

Quer durch alle Generationen hindurch versammelt Schwarze Adler Ehemalige und Aktive, Weltmeister*innen und in der Nationalmannschaft Gescheiterte und lässt diese — und zwar ausschließliche diese — als Betroffene ausgiebig zu Wort kommen. Schon allein das zeichnet diesen Film gegenüber vielen anderen filmischen Herangehensweise an Rassismus aus: dass hier die vom Rassismus direkt Betroffenen zu Wort kommen — und zwar nur diese. Statt wie neulich im WDR-Fernsehen in der zu Recht in die Kritik gekommenen Talkshow Die letzte Instanz nur Gäste einzuladen, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie allesamt nicht von Rassismus betroffen waren und deshalb natürlich besonders befähigt dazu sind (Vorsicht, Ironie!) festzustellen, was denn nun Rassismus sei und was nicht. 

Neben den bereits genannten Akteur*innen spannt der Film den dramaturgischen, sich überwiegend an der Chronologie orientierenden Bogen über Fußballer wie den in Hamburg in den 1960er Jahren kultisch verehrten Guy Acolatse und Fußballer wie Anthony Baffoe, Souleyman Sané, Otto Addo, „Helmut“ Cacau, die Schalke-04-Legende Gerald Asamoah bis hin zu aktuellen Spielern wie Manuel Mbom und Jordan Torunarigha, dessen Vater Ojokojo ebenfalls in Deutschland kickte und Nationalspieler Nigerias war. Gerahmt und immer wieder durchbrochen werden die ausführlichen und sorgsam in Szene gesetzten Gespräche und Interview von zahlreichen Archivaufnahmen, die keineswegs nur aus alten Fußballaufnahmen bestehen, sondern auch mittels Werbeclips (die „Tiefenreinheit“ von Persil anpreisend), Nachrichtenreportagen, die an die unheilvolle Konstanz rechtsextremer Übergriffe und Attentate in der BRD erinnern, und exemplarischen Dokumentationen wie etwa dem 26-minütigen Toxi lebt anders aus dem Jahre 1957 (Regie und Buch: Peter Schier-Gribowksi) über das Schicksal von „4000 farbigen (sic!) Kindern amerikanischer Soldaten und deutscher Mütter“. Auf diese Weise erschließt der Film geschickt ohne jeden eigenen Kommentar Kontexte und zeichnet ein stimmiges Bild deutscher Mentalitätsgeschichte nach, die von den Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik des Wirtschaftswunders über die Wiedervereinigung mit ihren Folgen bis hin zum Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Tendenzen der Gegenwart reicht. 

Das Erschreckende an den vielfältigen Erzählungen: Auch wenn sich die Zeiten geändert haben und es in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wirtschaftlich steil bergauf ging — der Rassismus erweist sich als nahezu einzige Konstante in einer sich wandelnden Gesellschaft, die sich spätestens mit dem Sommermärchen von 2006 als weltoffen und tolerant abfeierte, deren fest verankerte Diskriminierungs- und Ausgrenzungstendenzen aber nicht einmal vor den gefeierten Held*innen auf dem Fußballplatz Halt machte. 

Bezeichnend — und bis heute sehr irritierend — ist dabei, wie sehr dieser Rassismus auch integraler Bestandteil der öffentlich-rechtlichen Sportberichterstattung war. Ein besonders krasses Beispiel war dabei die Ehrung der aus Jamaika stammenden Fußballerin Beverly Ranger, die 1975 als zweite Frau überhaupt mit der Auszeichung zum Tor des Monats bedacht wurde und von einem üblen Schlager mit dem Refrain „Schön und kaffeebraun (sind alle Frauen in Kingston Town)“ begleitet vorgestellt wurde. Ein Fauxpas, für den sich die Sportschau erst 46 Jahre später am 28. März 2021 (!) offiziell entschuldigte. 

Schwarze Adler ist ein Film, der vieles richtig macht: Er gibt den Betroffenen Wort und Stimme und ein Gesicht, hält sich selbst zurück und lässt die Aussagen und gegenmontierten Archivaufnahmen überwiegend für sich selbst sprechen, bemüht sich um Ausgewogenheit und Neutralität. Vielleicht, wenn überhaupt, ist dies das einzige, was man dem Film vorwerfen könnte: dass er das schiere Ausmaß an Rassismus und Ausgrenzung in solcher Ruhe und Überlegtheit darlegt, ohne selbst je wütend oder anklagend zu werden. Verstehen und verzeihen würde man es ihm ganz gewiss. So aber bleibt der beeindruckende Film ganz kompatibel zum Publikums-Mainstream und ist so hoffentlich mindestens ebenso effizient, wenn es darum geht, das Ausmaß von Intoleranz und Ausgrenzung sichtbar zu machen und hoffentlich auch jenen Gedankengang in Bewegung zu setzen: Wenn wir so schon mit prominenten und verehrten Sportheld*innen umgehen, um wie vieles schlechter behandeln wir dann all jene, die nicht berühmt sind, die aber trotzdem unsere Achtung und unseren Respekt verdient haben — unabhängig von ihrer Hautfarbe, Herkunft, sexuellen Orientierung oder sonst welchen Zuschreibungen? 

Schwarze Adler (2021)

„Schwarze Adler“ lässt Schwarze Spielerinnen und Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft ihre persönlichen Geschichten erzählen. Welchen Weg haben sie hinter sich, bevor sie dort ankamen, wo wir ihnen zujubeln? Welche Hürden mussten sie überwinden? Welchen Vorurteilen und Anfeindungen waren sie ausgesetzt – und wie war das früher, wie ist es heute? Begleitet von kaum gezeigten Archivbildern, die mitunter so unerwartet wie verstörend sind, lässt Regisseur Torsten Körner in seinem Film verschiedene Spieler-Generationen zu Wort kommen. Von Erwin Kostedde, der 1974 als erster Schwarzer Spieler in der Nationalmannschaft debütierte, über Jimmy Hartwig zu Steffi Jones, von Gerald Asamoah über Patrick Owomoyela und Cacau bis Jean-Manuel Mbom: In „Schwarze Adler“ schildern Schwarze Fußball-Nationalspielerinnen und -spieler ihre Erlebnisse auf dem Platz und jenseits davon. Ob sie oder ihre Kameraden in der Bundesliga wie Anthony Baffoe, Otto Addo, Shary Reeves, Guy Acolatse und Jordan Torunarigha: Ihre Geschichten erzählen nicht nur davon, was es bedeutet, vor Tausenden von Menschen im Stadion und vor Millionen vor den Fernsehern rassistisch angefeindet zu werden. Sie werfen auch ein Licht darauf, wie Zuschauer, Medien und die deutsche Gesellschaft mit dem Thema Rassismus umgehen – und wie langsam sich, von heute aus betrachtet, in den letzten Jahrzehnten etwas an diesem Umgang verändert hat. (Quelle: Produktion / Verleih)

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Meinungen

Waltraud Holzinger · 21.06.2021

Interessanter und sehr wichtiger Film mit erschütternden Beiträgen, der leider spät in der Nacht gesendet wurde. Unglaublich, wie wir in den 60-, 70-er Jahren aufgewachsen sind. Hoffentlich wird er auch in vielen Schulen gezeigt, denn es ist noch lange nicht alles gut. Mit Beiträgen von Spielern der aktuellen Nationalelf wäre der Film noch aktueller und würde zeigen, wie es heute ist und Jugendliche hätten mehr Bezug dazu.