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Lena Leonhardt zeigt in ihrem Dokumentarfilm „Roamers – Follow Your Likes“ Menschen, die ihre Erlebnisse digital mit anderen teilen und davon leben.

Roamers - Follow Your Likes (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

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Ist ein schöner Moment nur dann wirklich etwas wert, wenn andere davon erfahren? Wenn wir ihn dokumentieren, öffentlich machen und unsere Follower_innen ihn daraufhin liken, teilen, kommentieren? Die Bloggerin Jonna spricht an einer Stelle des Dokumentarfilms „Roamers – Follow Your Likes“ über eine solche Situation: Sie ist mit ihrem Boot auf dem Meer, plötzlich tauchen Delfine auf, doch sie hat keine Kamera zur Hand. „Delfinfotos kommen immer gut an, Leute lieben Delfine“, erklärt sie. Was also soll sie tun, aufstehen und die Kamera suchen oder sitzen bleiben und den Augenblick genießen? Meistens entscheide sie sich dafür, Content zu produzieren und ihre Community nicht zu enttäuschen.

Jonna ist eine digitale Nomadin und eine der Personen, die in Roamers – Follow Your Likes von Lena Leonhardt porträtiert werden. Die 1987 im Schwarzwald geborene Regisseurin widmet sich in ihrem Film einem Thema, das rasch zu einseitig positiv oder negativ behandelt werden kann. Die Social-Media-Welt und insbesondere das Leben als Influencer_in ist natürlich weder perfekt noch abgrundtief verwerflich. Leonhardt gelingt es, ein differenziertes Bild zu zeichnen und dabei interessante Geschichten zu entdecken.

So ließ etwa Jonna ein Leben zurück, das wie im Bilderbuch anmutete: eine Wohnung in der Schweiz, Sicherheit und Erfolg im Beruf, eine glückliche Ehe. Aber als die Träume zwischen ihr und ihrem Ehemann in verschiedene Richtungen gingen, ließ sie sich scheiden und kaufte ein altes Boot, um alleine (beziehungsweise zusammen mit ihrem Hund) um die Welt zu segeln und ihre Follower_innen an ihrer Reise teilhaben zu lassen. Roamers – Follow Your Likes schildert dies weder als ultimativen Befreiungsschlag noch als fatale Fehlentscheidung. Gezeigt werden Höhe- und Tiefpunkte. „Sorry, I’m out…“, heißt es an einer bitteren Stelle – doch in vielen anderen Passagen wird auch spürbar, wie erfüllend das Dasein auf dem Meer für Jonna ist.

Ebenso ambivalent wird das Paar Nuseir (alias Nas) und Alyne eingefangen. Nas war einst für PayPal in New York tätig – und hasste seinen Job. So beschloss er, eine Weltreise zu starten und jeden Tag ein Video auf Facebook zu posten – als Challenge. Die Sache wurde zunehmend größer und professioneller, sodass inzwischen ein ganzes Team um ihn herum arbeitet. Und auch seine Freundin Alyne ist ein Star in den sozialen Netzwerken. Was die beiden verbindet, ist ihre Effizienz. Wenn Alyne erläutert, wie sehr sie ein gewöhnliches Treffen in einem Café als Zeitverschwendung empfindet und wenn wir beobachten, wie Nas beim Drehen seiner betont spaßigen Videos durchaus an nervliche Grenzen stößt, wird deutlich, dass ein Leben, in dem es stets um die Erzeugung vorzeigbarer Inhalte geht, ziemlich anstrengend sein kann – und nicht unbedingt mit weniger Zwängen verbunden ist als ein üblicher Nine-to-Five-Alltag.

Tiefgang gewinnt Roamers – Follow Your Likes nicht zuletzt dadurch, dass Leonhardt auch die Backstorys der gezeigten Personen beleuchtet. Durch ältere Fotografien und Schilderungen der Beteiligten werden deren Biografien angerissen. Die wohl bemerkenswertesten Personen des Films sind Kim und Paolo, ein Paar aus Argentinien. Beide stammen aus katholisch geprägten Familien. Sie lernten sich beim IT- und Beratungsunternehmen IBM kennen, ein Leben mit Eigenheim, Ehe und Nachwuchs schien auf sie zu warten. Doch dann entschieden sich die beiden dazu, ihre Heimat zu verlassen, nach Barcelona zu ziehen und als Paar Pornos on demand zu drehen, um damit Geld zu verdienen und eigene Fantasien zu erfüllen. Origineller hätten es sich Filmemacher wie Pedro Almodóvar oder Julio Médem wahrlich nicht ausdenken können. Und auch hier liefern Leonhardt und ihr Kameramann Josua Stäbler eindrückliche Bilder, die weder beschönigen noch verurteilen, sondern in erster Linie faszinieren.

Roamers - Follow Your Likes (2021)

In einer Gesellschaft, in der alle Grundbedürfnisse längst gestillt sind, wird eine Utopie zum Lebensziel einer ganzen Generation: absolute Freiheit und Unabhängigkeit. Raus aus dem Hamsterrad des ewig Selben. Kein nerviger Arbeitsplatz, kein „wofür das eigentlich alles?“, kein Leben zwischen Staus, schlechtem Wetter und sich immer wieder ins-Wochenende-retten mehr. Stattdessen ein selbstbestimmtes Leben als Weltbürger. Das Motto: aus jedem Tag das Bestmögliche rausholen – und dabei trotzdem ordentlich Geld verdienen. Die sogenannte digitale Revolution macht’s möglich. Und so fluten Eindrücke dieses „freakin’ fantastic life“ die Feeds von Instagram & Co – und machen es ihren normalsterblichen Followern schwer, eine Rechtfertigung für das offenbar mittelmäßige Leben zu finden, das sie führen.

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