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Saul Williams nimmt uns in „Neptun Frost“ mit auf einen rebellischen Trip durch Burundi, bei dem alle Grenzen aufgelöst werden.

Neptune Frost (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Stell dir einen Traum vor und wage, ihn zu leben!“

Im Jahr 2013 begann der 1972 in Newburgh, Orange County, New York geborene US-Dichter, Musiker und Schauspieler Saul Williams, an dem interdisziplinären MartyrLoserKing-Projekt zu arbeiten, das inzwischen drei Musik-Alben, eine Graphic Novel (Let There Be Dark) und den Film „Neptun Frost“ umfasst. Letzterer wird als „afrofuturistische Vision eines queeren Sci-Fi-Punk-Musicals“ charakterisiert – und tatsächlich bringt diese Beschreibung sehr treffend auf den Punkt, was das von Williams geschriebene und komponierte Werk uns in circa 105 Minuten voller Wucht, Energie und Verve präsentiert.

Gemeinsam mit seiner Ehefrau, der aus Ruanda stammenden Schauspielerin, Dramatikerin und Regisseurin Anisia Uzeyman (Jahrgang 1975), inszeniert Williams eine Welt, die in den Hügeln von Burundi angesiedelt ist. In seiner Darstellung des ostafrikanischen Binnenstaats, der im Norden an Ruanda, im Osten an Tansania und im Westen an die Demokratische Republik Kongo grenzt, setzt der Film, wie in einem Regie-Statement betont wird, nicht auf „Katastrophen- und Armutspornografie“, sondern vielmehr auf Empowerment, getragen von Musik und Technik. Als Inspiration für seinen Mix aus (politischen) Themen, Ideen und Liedern nennt Williams unter anderem das 1988 uraufgeführte südafrikanische Musical Sarafina! von Mbongeni Ngema, das von Studierenden erzählt, die am Soweto-Aufstand gegen die rassistische Bildungspolitik und das gesamte Apartheidsregime des Landes beteiligt sind.

Zudem habe Williams, wie er in einem Interview schildert, im Jahr 2010 auf einem Markt in Dakar eine Gruppe von jungen senegalesischen Leuten mit Smartphones und Kopfhörern beobachtet, die auf traditionellen Sabar-Trommeln spielten. Diese Kombination aus Modernem und Altem wird auch in Neptun Frost immer wieder aufgegriffen. Nachdem Williams den vielfach preisgekrönten New Yorker Komponisten und Texter Lin-Manuel Miranda (In the Heights, Hamilton) als ausführenden Produzenten gewinnen konnte, war es ihm möglich, den Film mit einer komplett ruandischen und burundischen Besetzung und Crew zu realisieren.

Wir erleben mit, wie der junge Coltan-Bergarbeiter Matalusa (Bertrand Ninteretse) aus einer Mine entflieht, nachdem ein Freund von ihm von einem Wärter erschlagen wurde. Zudem lernen wir die intersexuelle Hacker:in Neptune (zunächst verkörpert von dem Tänzer Elvis Ngabo, später von der Sängerin/Songwriterin Cheryl Isheja) kennen. Auch diese flüchtet, nachdem ein Priester sie kurz nach der Beerdigung ihrer Mutter bedrängt hat. Mithilfe kosmischer Kräfte finden die beiden schließlich zueinander. Eine zentrale Bedeutung kommt einem antikolonialistischen Hacker:innen-Kollektiv um die kämpferische Memory (Eliane Umuhire) zu. Ziel der Gruppe ist es, das autoritäre Regime zu stürzen und damit die Unterdrückung und Ausbeutung der Region sowie der dort lebenden und arbeitenden Menschen zu beenden.

„Aber mein Leben gehörte nie wirklich mir“, heißt es relativ zu Beginn des Films. Neptun Frost zeigt uns eine Befreiung und wählt hierfür äußerst einfallsreiche Mittel. Am Anfang, wenn Matalusa noch in der Mine gefangen ist, deuten Trommelschläge das Aufbegehren an; aus dem Protestgedanken entsteht allmählich Musik, die den Weg in eine neue Welt weist. Die Figur Neptune bringt wiederum die Überschreitung der Grenzen einer binären Geschlechterordnung in die Geschichte ein. Die Elektroschrott-Müllhalde, die als improvisiertes Dorf des Hacker:innen-Kollektivs dient, hat in ihrer Gestaltung eine überirdische Anmutung. Auf gekonnte Art und Weise setzt das Regie-Duo fluoreszierendes Licht und irritierende Töne ein, um auch ohne teure Spezialeffekte eine stimmige Science-Fiction-Atmosphäre zu erzeugen. Die Frisuren sowie das Make-up und nicht zuletzt die Kostüme des Modedesigners Cedric Mizero sorgen für einen außergewöhnlichen Look, der Neptun Frost zu einer besonderen Erfahrung macht.

Neptune Frost (2021)

Matalusa ist von seiner Arbeit in den Coltan-Minen geflüchtet und so auch dem autoritären Regime in Burundi entkommen, das aus reiner Geldgier die Ressourcen des Landes und auch seine Bevölkerung ausbeutet. In einem Dorf, das aus recycelten Computerteilen besteht, trifft er auf die intersexuelle Hackerin Neptune, die Matalusa in eine Welt nie geahnter Möglichkeiten entführt.

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