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Was ist von einem Mann zu halten, der in der Vorstadtkneipe auf die Macht seiner Fäuste setzt? Die Zeiten scheinen sich gegen ihn verschworen zu haben. Der ideologisch aufgerüstete Antiheld dieser Verfilmung des Romans von Jaroslav Rudiš verkörpert eine soziale Gruppe, in der es gewaltig gärt.

Nationalstraße (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein Mann, zwei Fäuste, eine Kneipe

Vandam (Hynek Čermák) zeigt anderen Männern gerne mit den Fäusten, wie es im Leben läuft. Mit der Linken teilt er die „Wahrheit“ aus, mit der Rechten die „Liebe“. Er ist stolz darauf, so viele Liegestützen machen zu können wie einst Jean-Claude Van Damme, den er wegen seiner Rolle in „Bloodsport – Eine wahre Geschichte“ aus dem Jahr 1988 verehrt. Vandam ist nicht der richtige Name dieses Mannes aus der Prager Vorstadt, der sein Geld als Dachlackierer verdient und seine Abende in der tristen Kneipe des Viertels verbringt.

Vandam ist der selbstgewählte Name eines Mannes, der sich in der kriegerischen Tradition der Menschheitsgeschichte sieht. Er datiert diese bis ungefähr zur Schlacht im Teutoburger Wald im 9. Jahrhundert zurück. Manchmal sieht er sich als kleinen Jungen neben seinem Vater auf dem Balkon stehen, der ihm einschärfte, ein richtiger Mann zu werden und sich „von niemandem auf den Kopf scheißen zu lassen“. Der Witz des gleichnamigen Romans von Jaroslav Rudiš, den der Regisseur Štěpán Altrichter (Schmitke) verfilmt hat, besteht in der ständigen Demonstration, dass Vandam genau der Underdog ist, den er selbst wohl als Schwächling bezeichnen würde.

Vandam hat eine ausgeprägte Lebensphilosophie, die er mit den Trinkkumpanen in der Kneipe teilt. Er weiß, dass diejenigen, die das große Wort führen, einen nur mit falschen Weisheiten volllabern wollen. Er betont, nichts gegen beispielsweise „Asis, Russen, Polacken, Fidschis“ zu haben, solange sie sich ruhig verhalten und in der Mittagspause nicht an seinem Tisch Platz nehmen wollen. In der Kneipe ist er ein Held der Revolution von 1989, da soll er, so geht seine Fama, auf der Prager Nationalstraße mit einem ersten Faustschlag alles in Gang gesetzt haben. 

Noch bevor Vandam seinen Bruder Roman (Jiří Langmajer) im schicken Eigenheimviertel auf der anderen Seite des Waldes besucht, ist sonnenklar, dass er selbst es sträflich verpasste, die Wende in eine individuelle Erfolgsgeschichte zu übersetzen. Von einer Drogen- und Knastgeschichte ist im Film beiläufig die Rede, einem Sohn, den er nicht sehen darf. Er hat das im Sozialismus von seinem Vater miterbaute Plattenbauviertel nicht verlassen und die ausschließlich von Männern besuchte Kneipe ist mit ihren wohnzimmerlichen Gardinen schrecklich in die Jahre gekommen. 

Dieser Charakter verkörpert einen Typus Mann, mit dem zwar tschechische Befindlichkeiten, Ressentiments gegenüber der Geschichte und dem Lauf der Welt, kritisch unter die Lupe genommen werden. Aber er findet sich überall, in jeder Gesellschaft, die sich verändert und die alte Werte- und Hackordnung entrümpelt. Trinkfest zu sein und sich zu prügeln, um seine Macht zu spüren, steht gesamtgesellschaftlich nicht mehr so hoch im Kurs, wie Vandam es gerne hätte. Männer dürfen auch keine Jäger, keine Krieger mehr sein, zumindest nicht in seinem dem Wald abgetrotzten Blockviertel. Dieser Antiheld demonstriert sehr klar, wie das Gefühl der sozialen Unsicherheit oder gar des Abgehängtseins und die Sehnsucht nach dem starken Mann zusammenhängen.

Nun gibt es aber auch gravierende Unterschiede zwischen Roman und Film, die dazu führen, dass der filmische Vandam dem Publikum regelrecht sympathisch wird. Der Glatzkopf prügelt sich zwar, aber seine Brutalität als Schläger bleibt im Film zum Glück ausgespart. Vandam verpasst auch der Kneipenbesitzerin Lucka (Kateřina Janečková), die er gerne zu seiner Frau machen würde, keine Ohrfeigen wie der Wirtin Sylva aus dem Buch. Lucka ist noch jung, attraktiv, alle die prolligen Äußerungen Sylvas sind ihr sorgsam ausradiert worden. Vieles ist auf einmal merkwürdig geglättet zu einer nicht mehr ganz neu wirkenden Geschichte über Gentrifizierung und die Machtlosigkeit der Männer, die ihre Stammkneipe verlieren, weil sie den Stadtentwicklern und Investoren weder zeitgemäß noch lukrativ erscheint.

Es wäre vielleicht mal interessant, grundsätzliche Überlegungen anzustellen zur manchmal ausgeprägten Bereitschaft von Romanautoren und -autorinnen, ihr eigenes Werk für ein Drehbuch abzuändern. Rudiš, der mit Altrichter das Drehbuch verfasste, lässt Vandam darin plötzlich genau die gut gemeinten Dinge tun, die er im Roman zu seinem eigenen Bedauern unterlässt. Dort sind es Vandams Versäumnisse und sein selbstgerechtes dumpfes Fehlverhalten, die die Leserschaft glauben lassen, er hätte sich um einen Haufen Chancen gebracht.  

Der Film beweist dieser Leserschaft nun, dass sie sich geirrt hat. Vandam versucht jetzt, Lucka zu helfen, behandelt sie gut und wirft sich heroisch in den Ring, um die Kneipe zu retten. Aber er hat nie eine Chance, was er auch tut. Die reichen, gebildeten, arroganten Schlaumeier aus dem Viertel jenseits des Waldes haben in der Gesellschaft das Sagen. Im Blockviertel müssen die Ressentiments weiter gären, fragt sich nur wo, wenn die Kneipe mal weg ist. Altrichter hat Mitgefühl mit diesen Opfern der Wende, der Gentrifizierung, des Wertewandels. So lässt sich der Film auch als Aufforderung begreifen, die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht nur zu bedauern und den dumpfen Groll der Politikverdrossenen anzuprangern, sondern sich dem Dialog mit den Leuten, die sich abgehängt fühlen, zu stellen.

Nationalstraße (2019)

Vandam wurde 1989 als Nationalheld gefeiert, heute ist er vergessen, ein Verlierer wie viele anderen auch. Sein Kampf für die Frau, die er liebt, ist auch ein Kampf um seine Würde und er wird sein Untergang.

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