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Der „Monobloc“ ist das meist verbreitete Sitzmöbel der Welt. Der Hamburger Filmemacher Hauke Wendler machte sich auf eine Reise zum Ursprung des simplen Möbelstücks, die ihn einmal um die ganze Welt führte und erhellende Erkenntnisse zutage fördert.

Monobloc (2021)

Eine Filmkritik von Sarah Stutte

Auf ihm sitzt die Welt

Schon zu Beginn des Films in einem städtischen Hinterhof attestiert Regisseur Wendler, dass man beim „Filmemachen ständig nach grossartigen Bilder und bewegenden Momenten sucht. Wenn man dabei über einen Plastikstuhl stolpert, bricht niemand in Jubelstürme aus“. Doch im Leben sei wenig so, wie es auf den ersten Blick scheine. Und genau das führt uns der Dokumentarfilm vor Augen. 

Hauke Wendler macht sich mit seiner Crew auf die Suche nach dem Ursprung des Stuhls. Der erste Stopp führt sie nach Norditalien. Ab 1965 bauten hier drei Brüder eine der ersten Fabriken für Plastikstühle auf. Weil der Stuhl billig war und eine enorme Nachfrage nach ihm bestand. Doch die Gebrüder Proserpio waren nicht die Erfinder des revolutionären Möbelstücks, für das kein Patent angemeldet war und das deswegen auf der ganzen Welt hergestellt werden konnte. Die Wiege des Monoblocs liegt in Frankreich. Ihr geistiger Vater war der Ingenieur Henry Massonnet, der in den frühen 1970er-Jahren den Stuhl – damals noch mit einem designerischen Anspruch – schnell und in grosser Stückzahl produzieren liess.  

Bevor die Reise fortgesetzt wird, holt Hauke Wendler in einer Hamburger Fussgängerzone die Meinung der Passanten zu ihrer Haltung gegenüber Plastikstühlen ein. Die einen berichten von Traumata, da plötzlich die Stuhlbeine unter ihnen wegbrachen. Andere finden, die Monoblocs seien hässlich, unbequem und ihnen hafte dieses „Billig-Geschmäckle“ an. Nicht zuletzt wird angeführt, der Stuhl sei schwer recyclebar und verschmutze die Umwelt. Viele Menschen, die ihre Begeisterung für die einfachen Sitzgelegenheiten zeigen, scheint es nicht zu geben. 

Vielleicht, so denkt sich Wendler, findet man diese nicht in Europa, weshalb er nach Uganda reist. Hier erzählt Annet Nnabulime die wohl berührendste Episode des ganzen Films. Nach anfänglichen Rückenschmerzen konnte die ältere Frau plötzlich nicht mehr laufen. Seit bald fünf Jahren kann sie sich deshalb nur noch kriechend über den Boden bewegen. Bis eine gemeinnützige Organisation der verarmten Annet einen kostenlosen Rollstuhl zur Verfügung stellte, gefertigt aus dem Monobloc. Ihre Lebenssituation verändert sich schlagartig. 

Der Mann in Kalifornien mit Namen Don Schoendorfer, der diese Konstruktion entworfen hat, sagt: „Früher lagen oder sassen die Menschen mit Behinderungen in dunklen Ecken auf dem Boden.“ Schoendorfer berichtet weiter: „Es gab einen Mann in Vietnam, der von seinem Bruder seit 35 Jahren überall hin getragen wurde. Dann setzten wir ihn in den Stuhl und er war glücklich“. Während seiner Erzählung kann Schoendorfer die Tränen kaum zurückhalten, so sehr bewegen ihn diese Geschichten. 

Monobloc berichtet auch von Arbeitsstellen, die nur durch die Produktion dieser Stühle in Ländern wie Indien oder Brasilien geschaffen werden konnten. Die wichtigste Lehre auf dieser Reise um die halbe Welt, schliesst Wendler, sei, dass es kein Schwarz oder Weiss gebe, sondern eine endlose Abfolge von Graustufen, die wir immer wieder neu bewerten müssen. Das gelte selbstverständlich auch für Plastikstühle. 

Insgesamt acht Jahre haben Hauke Wendler und sein Team an diesem Projekt gearbeitet. Das ist trotz Finanzierungsstress und Stagnation gut gelungen, obwohl die Erkennungsmelodie nach einiger Zeit ein wenig anstrengend ist. Alles in allem ist eine eingehende Studie über ein populäres Alltagsobjekt dabei herausgekommen. Zwar ist nicht jede Information gleichermassen interessant, doch der Stuhl bekommt zumindest einmal die Aufmerksamkeit, die er verdient.

Monobloc (2021)

Der Monobloc ist das meistverkaufte Möbelstück aller Zeiten. Nach Schätzungen soll es eine Milliarde Exemplare dieses billigen, oft weißen Plastikstuhls geben – auf der ganzen Welt, in jedem Land und jedem Winkel. Wie konnte es so weit kommen? Der Kino-Dokumentarfilm „Monobloc“ erzählt die Geschichte, wie dieser unscheinbare, von vielen verlachte Stuhl die Welt eroberte. Wie er Existenzen zerstört und Reichtum beschert. Wie er unsere Umwelt bedroht und den guten Geschmack. Aber auch, wie der Monobloc für Millionen Menschen unentbehrlich ist, für die ein Stuhl ein Stuhl ist und nicht mehr.

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