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„Hunter From Elsewhere — A Journey With Helen Britton“ von Elena Alvarez Lutz ist ein Dokumentarfilm über die Künstlerin Helen Britton – und noch weitaus mehr als das.

Hunter From Elsewhere - Eine Reise mit Helen Britton (2021)

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

Nie etwas wegwerfen

In ihrem Dokumentarfilm begleitet die Filmemacherin Elena Alvarez Lutz die Schmuckkünstlerin Helen Britton über einen Zeitraum von vier Jahren. Alvarez zeigt dabei die Künstlerin nicht nur in ihrem Schaffensprozess in ihrem Atelier in München, sondern vor allem beim Sammeln von Eindrücken und Inspirationen für ihre Kunst. Dabei entsteht ein ungewöhnliches und fast meditativ entschleunigtes Porträt, das geprägt ist von einem großen Respekt der Künstlerin vor Menschen, Orten und Traditionen sowie einem Aufruf zum nachhaltigen Umgang mit Kunst und all dem, was Kunst erst entstehen lässt.

Die titelgebende „Jagd“ setzt den Anfangspunkt. Die Kamera begleitet Helen Britton in ein verlassenes, heruntergekommenes Haus. Zaghaft nähert sie sich dem Inventar, macht Fotos, entdeckt unter den auf den ersten Blick unnütz wirkenden Objekten kleine „Schätze“. Trotz der Rätselhaftigkeit des Auftakts verspürt man schon in den ersten Minuten von Hunter From Elsewhere — A Journey With Helen Britton ein friedvolles und beseeltes Gefühl, welches sich durch die gesamten 97 Minuten des Films ziehen wird.

Über vier Jahre hat die deutsch-spanische Filmemacherin Elena Alvarez Lutz die Schmuckkünstlerin Helen Britton begleitet, nach eigener Aussage ohne festgelegtes Konzept. Der Film setzt dabei – was ein wirklicher Glücksfall ist – komplett auf das Wesen und Charisma der Künstlerin selbst. Eine Vorgehensweise, die den Film eint mit anderen Porträts wie beispielsweise Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort (2015) von Andrea Roggon oder auch Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte (2016) von Corinna Belz.

Ausschnittweise und assoziativ zeichnet Hunter From Elsewhere die Stationen von Britton nach, die immer geprägt sind vom Verschmelzen der Kulturen. Vom Sammeln von Steinen am Strand und Unterhaltungen mit befreundeten Künstler:innen in ihrer gebürtigen Heimat Australien, über Spaziergänge im Thüringer Wald bis hin zu Streifzügen durch die ehemalige Edelstein-Hochburg Idar-Oberstein: Helen Britton ist im Auftrag ihrer künstlerischen Inspiration stets auf einer, so scheint es, „archäologischen“ Suche nach Materialien, nach Gegenständen, die das kulturelle Gedächtnis eines Ortes und die Geschichte der Menschen, die mit den Materialien arbeiten, in sich bergen.

Nicht selten wirken diese Orte im Film mythisch, teilweise von der Zeit vergessen, unterstützt auch von einem stimmungsvollen Score, der die Bilder aber nie zukleistert oder dominiert. Für eine Kontextualisierung sorgt Alvarez, indem sie wiederholt historisches Bildmaterial einbaut, beispielsweise von der Edelsteingewinnung in Idar-Oberstein. Omnipräsent ist die Handykamera von Helen Britton, die als ihr Werkzeug unerlässlich scheint, fast erscheint es, als lasse sich auch das Kamerateam des Films mit Britton durch die Welt treiben. In ihren Arbeiten, die Alvarez immer wieder in Nahaufnahme vorstellt und ihnen Zeit gibt, zu wirken, vereint sich das Schöne mit dem Nützlichen, das Feste und Starre mit dem Fluiden und Fragilen. Das Spielerische ihrer Kunst zeigt sich auch in der originellen Inszenierung der Ausstellungen, die den Film mit einer fröhlichen Lebendigkeit auflockern. Man spürt, trotz der zahlreichen Gespräche, wie sehr Britton in sich selbst ruht, wie sehr sie die Bewegung in der Natur mit Frieden erfüllt und wie sehr sie in ihrer Kunst verwurzelt ist, eine Kunst, die sie, die Weitgereiste, als Heimat bezeichnet.

Wenn Alvarez andere Künstler:innen zu Wort kommen lässt – und das sind nicht wenige – werden diese nicht namentlich vorgestellt. Das stört in keinster Weise, denn der Fokus des Gesagten liegt sowieso nicht in einer faktischen Zuordnung, sondern im Beschreiben der Gefühle rund um Brittons faszinierende Kunst. Dass Alvarez schon vor den Dreharbeiten eine persönliche Beziehung zu Helen Britton hatte, macht der Voice-Over-Kommentar klar, der sich perfekt in die Atmosphäre des Films einbettet.

Hunter From Elsewhere, der auf dem DOK.fest in München 2021 seine Premiere feierte, ist gezeichnet von großem Respekt für Künste und Fertigkeiten, eine selten dargestellte Verbeugung auch vor einer Industrie, die, wie im Fall von Idar-Oberstein, einst Weltruhm genoss und heute fast vollständig verschwunden ist. Und wenn Britton mit einem Edelstein-Experten Steine aussortiert, die für ihn nicht brauchbar, aber für sie kleine Schätze darstellen, dann vermittelt sich ganz deutlich ihr Sinn für Nachhaltigkeit. „Nie etwas wegwerfen“, wiederholt sie energisch. Eine Haltung, die beispielgebend sein sollte. All das macht Hunter From Elsewhere zu mehr als „nur“ einem Dokumentarfilm über eine Künstlerin. Es ist im Kern ein Aufruf zur Nachhaltigkeit, zur Wertschätzung des Profanen, des Nützlichen, des Unscheinbaren. Denn genau daraus kann große Kunst entstehen.

Hunter From Elsewhere - Eine Reise mit Helen Britton (2021)

Über vier Jahre hinweg begleitet der Film die Schmuckkünstlerin Helen Britton auf ihrer Suche nach ungewöhnliche Materialien, aus denen sie Schmuck, Skulpturen und andere bizarre Objekte formt. 

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