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Mit brutaler Ausdauer zwingt Gewalten eine Welt hervor, in der es keine Zärtlichkeit mehr gibt. Seine brachialen Anordnungen werden dabei jedoch selbst zum Schauplatz eines Kampfs, den der Film nicht gewinnen kann.

Gewalten (2022)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Mischwaldmärchen

Brutal langsam und brutal körperlich versucht Gewalten ein Bild von Zärtlichkeit zu finden. In einem Ensemble isolierter Figuren und an Orten, in denen Menschlichkeit verschluckt wird, müht sich der Film durch die Dichte einer finsteren Märchenwelt hinter dem Ende der Zeit. Constantin Hatz hat bereits in Filmen wie Brut (2017) oder Fuge (2015) seine Fähigkeit demonstriert, mit eisiger Schärfe eine unter jeder zwischenmenschlichen Beziehung lauernde Gewalt freizulegen. Gewalten entwirft nun eine Welt, die aus nichts anderem mehr zu bestehen scheint, die sich überhaupt erst formiert als Welt einer universellen zwischenmenschlichen Gewalt – bis der Film selbst nicht mehr aus ihr herausfindet.

Daniel (Malte Oskar Frank) wohnt mit seinem im Sterben liegenden Vater (Robert Kuchenbuch) und seinem Bruder Michael (Eric Cordes) auf einem alten Hof mit einer verlassenen Gastwirtschaft. Es gibt kein Dorf, keine Stadt, keinen Ort. Nur Felder und einen dichten Wald, aus dem Daniel mit seinen roten Haaren, dem gelben Pullover und der blauen Jacke wie ein Fabelwesen in Primärfarben erscheint. Außerhalb des Hofs gibt es im nebligen Nirgendwo nur noch wenige andere Menschen: Marcel (Paul Wollin), zu dem Daniel zwar eine enge Bindung aufbaut, sein Bruder aber eine alte, vorzeitliche Feindschaft pflegt, oder Lukas (Ben Felipe), der mit Michael gemeinsam die Zeit totschlägt, und Karim (Mohammed Haj Younis), der neu in Daniels Klasse ist und einen Freund sucht.

Dass es überhaupt so etwas wie eine Schule gäbe, in deren Klasse irgendeine dieser Figuren gehen könnte, bleibt außerhalb der Wirklichkeit, die Gewalten ins Bild setzt: Es gibt vor allem immer wieder das Dickicht des Waldes, in dem Daniel und Marcel sich kennenlernen und zu dem sie immer wieder zurückkehren. Alle Bewegungen des Films nehmen hier ihren Ausgang und sie finden hier ihr Ende. Im Wald entscheidet sich, was es heißt, lebendig oder tot zu sein, und einen Körper zu haben, der entweder bereits Kadaver oder noch nicht Kadaver ist. Irgendetwas dazwischen oder gar abseits dieses Spektrums existiert nicht.

Daniel fährt mit freiem Oberkörper Fahrrad, um im Wald stürzen zu können. Er berührt mit Händen und Füßen das Moos. Er wäscht den sterbenden Körper seines Vaters. Er hat aber auch ein heilendes Kaninchen, dessen Berührung wundersame Wirkungen zu haben scheint, zumindest ist es möglich, sich das einzureden. Sein Bruder Michael und dessen Freund Lukas sind Gewichtheber, genau wie einst Daniels Vater, und sie stählen ihre Körper. Marcel war lange Zeit fort, aber er ist zurückgekehrt, ob er dabei aus dem Exil oder gerade in das Exil geht, ist unklar. Er verdingt sich mit brutalen Hundekämpfen. Es gibt kaum Worte in diesem Film, der immer wieder Körper auf Körper treffen lässt, als würde er hoffen, dass dabei vielleicht doch irgendwann Zärtlichkeit entstehen könnte, und als würde er bereits wissen, dass das in dieser Welt ausgeschlossen ist.

Mit langen Einstellungen präsentiert Gewalten sich selbst dabei als Körper, dessen Wahrnehmung gewaltsam werden will. Kadrierung und Dauer der Bilder könnten, wie vieles in diesem stillen, aber bis zum Bersten geladenen Film, von Michael Haneke stammen. Es ist diese sprachlose Körperlichkeit, von der das tiefnächtliche Märchen regiert wird. Ein Junge zieht auf der Suche nach Zärtlichkeit in den Wald aus, nur um immer wieder, wohin er sich mit seinem Fahrrad auch wendet, zum Hof zurückzufinden, von dem er aufbrach, und in dem der böse Bruder und der todkranke Vater warten, um auch nichts anderes tun können, als ihn zu Härte und Kälte zu erziehen. Die einzigen Frauen des Films (Trixi Strobel; Susanne Bredehöft) versuchen dieser Härte irgendwie zu entgehen, oder ihr irgendetwas entgegenzusetzen. Aber sie haben keinen Platz, sie ersticken in einer Ordnung, die nicht einmal in dieser Rolle Körper akzeptieren kann, die nicht steinern und männlich sind. Auch die kürzesten Momente der Nähe zwischen Daniel und Marcel werden Opfer dieser allseitigen, unnachgiebigen Versteinerung.

Der Film sucht verzweifelt nach einem Weg, wie Zärtlichkeit und Berührung nicht doch noch an einem Ort einziehen können, an dem Körper nur voneinander abprallen. Die Härte, mit der Gewalten dieser Frage nachgeht, erfordert in den strengen Kompositionen eine große Sicherheit. Die Länge der Einstellungen und die Weite der Bilder drohen, auf sich allein gestellt, ziellos zu werden. Die Klarheit der farblichen und perspektivischen Ordnungen allein führt noch nicht zu einer starken Inszenierung, die den Abgründen etwas entgegensetzen könnte, in die Gewalten so gänzlich eintaucht. Die Bilder eines brachialen Ringens um Zärtlichkeit und einer ausweglosen Innerlichkeit, aus der ein verlorener Teenager nicht mehr ins Diesseits zurückkehren kann, werden zwar in der Unnachgiebigkeit, die der Film sich zumutet, eindrücklich gezeichnet – letztlich sind sie aber nicht präzise genug. Ihnen kommt jegliche Richtung genau deswegen abhanden: Sie haben kein Außen mehr, keinen Weg, keine Geschichte, nur Körper und Kampf und Körper und Kampf und Körper und Kampf.

Gewalten (2022)

Das Leben des sanftmütigen Daniels, der seinen todkranken Vater pflegt und von seinem aggressiven Bruder ausgenutzt wird, ist geprägt von Gefühlskälte und Gewalt. Als er den Außenseiter Marcel kennenlernt, glaubt er, einen Freund gefunden zu haben.

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