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Gespenst, Geist oder Hirngespinst. Nach dem Suizid von Andreas beginnt das Leben zu bröckeln. Hans Henschel erzählt eine Geschichte über Freundschaft, Schuld und Trauer.

Geister (2024)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Obduktion eines Lebens

Das Leben nach dem Tod ist ein Mysterium. Viele Filme versuchen abzutasten, was mit Bewusstsein und Seele passiert. „Geister“ beschäftigt sich mit der gegensätzlichen Frage und erkundet das Nachbeben eines Todes, im Umfeld und Familie. Andreas (Manolo Bertling) nimmt sich das Leben. Er hinterlässt ein Kind, seine ehemaligen Freunde sowie Mutter des Kindes.

David (Ali Berber) hat seine alte Freundesgruppe zurückgelassen, um in die Stadt zuziehen. Der verlorene Kontakt holt ihn ein. Nach Beerdigung und heimatfilmischer Zurückführung aufs Land, beginnt David seinen Freund Andreas zu sehen. Nicht als gruselige Schemen, sondern in Fleisch und Blut. Gespräche beginnen. Niemand anderes kann ihn sehen.

Geister ist behutsam, langsam; in seinem Schauspiel aber manchmal ganz laut. Manolo Bertling schwingt zwischen Choleriker und Einfühlung. Kaputte Figuren müssen funktionieren, um zu trauern. Als Geist – egal ob eingebildet oder real – schaut Andreas auf Überbleibsel seines Lebens, auf viele Enden, zu denen niemals ein roter Faden führen wollte: Sein Kind, das jetzt über dem Fluss in Polen lebt, Andreas Mutter, die ihn nie so wirklich leiden konnte und eine zerstrittene Freundesgruppe.

Regisseur Hans Henschel interessiert in seiner Geschichte vor allem das Befragen und Überwinden, von Schuld und Scham. David muss über die 81 Minuten des Films lernen, unter den schlechten Sternen seiner Schuldgefühle zu leben.

Das Motiv des Geistes ist dabei so alt wie die Menschheit selbst. Die Darstellung von Gespenstern samt weißen Bettlaken – entstanden durch die Praktik, Tote mit Leichentuch abzudecken – geistert seit dem 17. Jahrhundert durch die öffentliche Wahrnehmung. Selbst wenn nur ironisch, diese Darstellung ist wohl allgegenwärtig. Umso erfrischender ist die knappe Abhandlung bis zum gleichwertigen Nebeneinanderstehen von Geist und Mensch im Film. Die Dialoge verlören ohne die ausgezeichnete Leistung von Manolo Bertling hingegen jeglichen Sinn. So zieht sich Andreas in seiner Zwischensequenz zwar mal ein Bettlaken über den Kopf, weiter als aufs Poster hat es dieses Bild aber nicht geschafft.

Was ist der Unterschied zwischen Gespenst und Geist? Christian Petzolds Film Gespenster (2005) in dem der Mensch durch seine Verdrängung zum Unsichtbaren wird, bildet die „Berliner Schule“-Schablone dessen, was „Geister“ erreichen will.
Als Sommerfilm versteht Henschel sein Werk gar. Während Roter Himmel (2023) die Temperatur durch seine Bilder hindurch ansteigen lässt, geht jegliche Sonne im Grünfilter von Geister verloren. Der Sommer wirkt kalt. Das ist kein tiefliegendes Problem des Films, sondern zeigt vielmehr Verbesserungspotential für das junge Team.

Geister hat eine klare Bildsprache. Angetrieben von der Leistung des Ensembles, liegt in der Ambiguität jedes Blickes eine uneindeutige Tiefe. Leider kehrt der Film immer wieder zu einer rein zwischenmenschlichen Doppeldeutigkeit zurück und versucht in Dialog und Streitgespräch in Worte zu fassen, was schon lange in der Luft lag. A Ghost Story (2017) von David Lowery ist sicher ein plakativerer Film, bildet jedoch das ideale Beispiel, wie karge Dialoge (oder dessen vollkommene Abwesenheit) das Publikum nicht bevormunden, sondern eigene Schlüsse zulässt. Diese Qualität fehlt Geister.

Am Ende wird Andreas sinnbildlich brennen. Erinnerungen, Assoziation gehen mit ihm. Was bleibt: die Trauer. Zynismus oder Tränen; ignorieren kann man die große Abwesenheit eines Menschen nicht. Ob Andreas Hirngespinst oder eine metaphysische Gestalt ist, schreibt der Film nicht vor. Beide Interpretationen sind möglich. Auf die Frage, ob Regisseur Hans Henschel, denn an Geister glaube, antwortete er: „Ich glaube nicht an Geister, der Film schon“.

Gesehen auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2024

 

Geister (2024)

Als David (Ali Berber) erfährt, dass sich sein Freund Andreas (Manolo Bertling) das Leben genommen hat, sind sie schon lange keine besten Freunde mehr. Sie kannten sich kaum noch. Und doch plagen David Schuldgefühle wegen dessen Suizid, gerade weil er ihn kurz zuvor nach langer Zeit mal wieder besucht hatte. David reist zurück in seine alte Heimat nahe der deutsch-polnischen Grenze, in der sie beide aufgewachsen sind. Doch was ursprünglich als Kurzbesuch für die Beerdigung geplant war, wird zu einer Reise in die Vergangenheit. Als der verstorbene Andreas plötzlich als Geist auftaucht, den nur er sehen kann, versucht David zunächst, das Übernatürliche abzuschütteln. Doch der Geist entpuppt sich als ebenso hartnäckig wie die Frage, warum Andreas sich das Leben genommen hat. Und mehr noch, die Frage was ihn noch in dieser Welt hält und ob David dabei eine Rolle gespielt hat. (Quelle: Max Ophüls Preis 2024)

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