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Bei Tag sind die Männer mit ihrem Vieh beschäftigt, bei Nacht bereiten sie sich auf die Karnevalsfeierlichkeiten vor, indem sie die rustikale Kleidung durch glitzernde Kostüme austauschen. Martín Farina beobachtet sie dabei aus nächster Nähe und fängt die geübten Bewegungen impressionistisch ein.

El Fulgor (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Von Männern und Männern

Es ist Männerarbeit, sich um die Tiere zu kümmern. Verschiedene Generationen arbeiten zusammen. In der Aufgabenteilung lässt sich eine gewisse Hierarchie vermuten. Das Vieh eintreiben und für den Transport vorzubereiten obliegt den Jüngeren, das Schlachten erledigen die älteren Männer. Die Handgriffe sind sicher und präzise. Das Lernen geht über die genaue Beobachtung, denn gesprochen wird nichts. Trotzdem läuft alles, so scheint es, reibungslos und koordiniert ab. Es braucht jeden, der mit anpackt, jeder kennt seine Rolle im Gefüge. Es handelt sich um eine über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, alte Arbeit, um von Generation zu Generation übertragenes Wissen und Traditionen sowie um ein Gesellschaftskonstrukt, das nach strengen, wenn auch nicht zwangsläufig ausgesprochenen, Regeln funktioniert.

Konkret ist hier die Rede von den argentinischen Viehzüchtern, die Martín Farina in seinem neuen Film beobachtet. El Fulgor ist immer ganz nahe an seinen Protagonisten, so nahe, dass fast jedes einzelne Härchen auf der Haut sichtbar wird. Die Kamera ist neugierig und saugt die unbestimmte Sehnsucht, die in den weit offenen Augen der Männer zu sehen ist, förmlich auf. Es ist dieser Glanz einer stummen Lebensenergie, der im Titel des Films bereits enthalten ist, den Farina einfangen möchte. Dabei geht er intuitiv, impressionistisch vor. Er verzichtet auf jede Art von didaktische Herangehensweise. Er liefert weder eine Zeit- noch Ortsangabe, interessiert sich nicht für biografische Einzelheiten seiner Figuren. Er gibt eine Mikroaufnahme eines mehrschichtigen Ausdrucks von Männlichkeit oder vielleicht besser, des Ausdrucks verschiedener Männlichkeiten zugleich.

Farinas Arbeiten prägen seit seinen Anfängen die alternative Sicht auf klassische Geschlechterrollen. Auch in El Fulgor prallen im Grunde zwei Welten aufeinander. Die Gauchos kommen das ganze Jahr über ihren Pflichten nach, halten den Bedingungen der Natur stand, nutzen ihre Muskeln im Umgang mit den Tieren und hantieren mit archaischem, etwas grobem Werkzeug, das sich ganz natürlich ihren Händen anpasst. Auf ihrer Seite des Flusses hören sie das Wiehern der Pferde, das Schnauben der Rinder, ansonsten schweigt man. Am anderen Ufer befindet sich die Stadt mit ihren Lichtern, den Läden und den flanierenden Menschen, deren Alltag ganz anders ist, als der der Männer.

Es gibt einen Zeitpunkt im Jahr, an dem sich die beiden Sphären vermischen und zu einer neuen, überhöhten Ebene verschmelzen. Die Murga, wie Karneval in Argentinien genannt wird, findet im Sommer über mehrere Wochen statt. Die Vorbereitungen sind umfangreich, beziehen sich auf ausgefallene Umzugswagen und bis ins Detail ausgedachte Kostüme. Zu den ältesten Traditionen gehört es, zwischen Männern und Frauen die Rollen zu tauschen. In diesem Kontext ist es erlaubt. Und keiner stört sich daran, dass sich ein Mann schminkt, mit Glitzer überzieht und ausgelassen tanzt.

Diese Verwandlung von den zurückhaltenden, in die erdigen Farben der Natur perfekt hineinpassenden Männern zu strahlenden, sich kindlich-freunden Paradiesvögeln verfolgt der Film genau mit. Die Kamera fährt mit (homo-)erotischem Blick an den stählernen Muskeln entlang, die unter den mit Spitze oder Pailletten besetzten Höschen, dem federbesetzten Kopfschmuck oder den knappen Oberteilen hervortreten. Die laute Musik und die ekstatischen Rufe der Frauen, die den Männern beim Tanzen zusehen, lösen den Klang des Schlachtmessers, das sich durch das Fleisch schiebt, des Gewitters über den Feldern und der schweren Schritte im Staub als Geräuschkulisse ab.

Auch wenn es ein wenig schade ist, dass der Karnevalsumzug zum Schluss nur angedeutet wird, endet El Fulgor dennoch konsequenterweise, indem die Männer in ihre gewohnte ländliche Umgebung zurückkehren – von ihren nächtlichen Strapazen ist ihr heller, herausfordernder Blick übrig geblieben. Mit Sicherheit sieht man sie nicht mehr mit den gleichen Augen wie noch zu Beginn des Films.

Bisher hat Farina, bis auf eine Ausnahme mit dem Spielfilm Taekwondo (2016), die Form des Dokumentarfilms gewählt. Mit El Fulgor bewegt er sich allerdings an der Grenze der eigentlichen Dokumentation. Vielmehr könnte man diesen auch als Kunstfilm und gewissermaßen auch als Tanzfilm bezeichnen. Die Bilder scheinen nämlich einer übergeordneten Choreografie zu folgen und fügen sich zu einem bildgewaltigen, glitzernden Kaleidoskop zusammen. Visuell erschafft Farina damit ein kohärentes wie ansprechendes Werk, dessen Stärke in seiner Lakonik liegt.

Die Produktion unterstellt dem Film eine zeitgemäße Parteinahme für die Überwindung überlieferter Geschlechterrollen, die allerdings nicht nachvollziehbar ist: Gezeigt wird ein Jahrhunderte altes Karnevalsritual, das einen Ausbruch aus der Normalität für ein paar Tage oder ein paar Wochen erlaubt, um sie dann nur noch gefestigter zurückzulassen.

El Fulgor (2021)

Bald ist Karneval in Argentinien. Die Gauchos beginnen ihr Ritual der „Reinigung des Fleisches“. Idyllische Landschaft vermischt sich mit den Straßen der Stadt. Langsam füllt sich alles mit Farbe, Federn und lasziv kostümierten Männern. „El fulgor“ führt uns zu kaum bekannten archaisch erscheindenden Ritualen und zeigt uns Männer, die im Spannungsfeld von Tradition und Moderne traditionelle Bilder und Geschlechterrollen wie selbstverständlich hinterfragen. Ein, Film, der mit seiner betörenden Ruhe und traumhaft anmutenden Bildern fasziniert.

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