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Wenn sich Jugendliche verschiedener Kulturen austauschen können, sind sie weniger anfällig für gegenseitige, gesellschaftlich eingepflanzte Vorurteile. In Israel gibt es einen Chor, den jüdische und arabische Mädchen bilden. Er trifft für ein musikalisches Projekt auf einen Mädchenchor aus Weimar. 

Die jungen Kadyas (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die verbindende Kraft jiddischer Lieder 

Menschen, die zusammen singen, sprechen auch miteinander. Die Idee hinter diesem deutsch-israelischen Chorprojekt für Mädchen und junge Frauen ist es nach den Worten des künstlerischen Leiters Alan Bern, eine Plattform der interkulturellen Begegnung zu schaffen. Der Dokumentarfilm von Yvonne Andrä, Eyal Davidovitch und Wolfgang Andrä begleitet die vorübergehende Zusammenführung zweier Chöre aus Weimar und Jaffa zu einem neuen Chor namens KADYA. Am Ende dieser künstlerischen Jugendbegegnung im Jahr 2017 soll ein Konzert auf dem Yiddish Summer Festival in Weimar stehen. Bis dahin aber ist es ein langer Weg mit gegenseitigen Besuchen, spannenden Gesprächen und einer aus Sicht so mancher Teilnehmerin ermüdenden Anzahl von Proben.

Über die verbindende Kraft der Musik und besonders des Singens im Chor ist schon oft berichtet worden, auch in Filmen. Auf die friedensstiftende Wirkung gemeinsamen Singens vertrauen auch die Veranstalter*innen dieses Projekts. Mit ihm wollen sie auch ein Zeichen gegen Antisemitismus in Deutschland setzen und diesen eindämmen helfen. Eine deutsche Mädchengruppe, die den Chor Schola Cantorum Weimar bildet, reist nach Jaffa. Dort werden sie von Voices of Peace, einem israelischen Chor, in dem jüdische und arabische Mädchen und Frauen singen, empfangen. Gemeinsam sollen nun jiddische Lieder einstudiert werden. Die Leiterin des neu gebildeten KADYA-Chors, Diana Matut, verweist auf die vermittelnde Tradition des Jiddischen, das viele sprachliche und kulturelle Einflüsse vereint. Mit seinem Namen erinnert der Chor an die Lehrerin und Dichterin Kadya Molodowsky, die jiddische Gedichte schrieb und 1935 aus Warschau in die USA emigrierte. Bern hat für den Chor einige Lieder zu ihrer Lyrik komponiert. 

Wichtiger als das Singen aber ist das Reden. Im Stuhlkreis, bei Stadtspaziergängen und am Strand des Mittelmeers tauschen sich die Mädchen aus Deutschland und Israel aus. Die sprachlichen Barrieren machen oft Probleme, weil die Englischkenntnisse auf beiden Seiten kaum ausreichen. Bei einem gemeinsamen Besuch in Jerusalem kommen die engen Toleranzgrenzen zwischen den Anhänger*innen verschiedener Religionen zur Sprache. Und auch die Politik meldet sich zu Wort, indem den Israelinnen, von denen viele palästinensischer Herkunft sind, ein Gesinnungstest vor der Reise nach Deutschland abverlangt wird. Die israelische Regierung möchte, dass sie Israel im Ausland in ihrem Sinne repräsentieren und dort sagen, dass Araber*innen sich absoluter Gleichheit in der Gesellschaft erfreuen. Die Leiterin des Chors Voices of Peace, Shereen Daniel, beschwichtigt ihre Schützlinge: Sie sollten einfach den Test im Sinne der Erfinder ausfüllen, auch wenn sie anderer Ansicht seien. Schließlich sitzen die KADYAs im Flieger nach Deutschland. 

In Weimar tauchen neue Probleme auf: Die israelischen Gäste sind es nicht gewöhnt, jeden Tag stundenlang für den Chor zu üben. Manche der Jugendlichen wollen lieber shoppen gehen und die Nacht zum Tag machen. Die Chorleiter*innen müssen einsehen, dass ihr Projekt vielleicht zu ehrgeizig war. Eine Zeitlang steht es kurz vor dem Abbruch. Doch die Gruppe bleibt zusammen. Man besucht die Gedenkstätte des KZs Buchenwald. Für viele der palästinensischen Israelinnen ist der Holocaust bis zu diesem Tag ein ziemlich unbekanntes Thema gewesen. Die historische Wissensvermittlung vertieft sicherlich auch das Verständnis der Jugendlichen, warum der Chor jiddische Lieder singt und wie die europäische Geschichte mit der Gründung Israels zusammenhängt. Den Gästen macht aber die Gegenwart in Form unterschiedlicher Alltagskultur und Sitten zu schaffen: Sie berichten von Aggressionen, weil sie im Bus oder auf der Straße sangen. In Deutschland sei man immer leise, stellt eine Jugendliche etwas befremdet fest. Auch die Kultur der Pünktlichkeit wird von den Gästen kontrovers diskutiert und von manchen als einschränkend empfunden.

Oft beobachtet der Dokumentarfilm die Mädchen einfach nur und hört ihren Gesprächen zu oder fängt kurze Statements und Eindrücke von einzelnen ein. Immer wieder erstaunt ihre große Offenheit und Neugier, sowie ihre Bereitschaft, den eigenen Horizont zu erweitern. Wenn der Chor singt, dann erscheinen die jiddischen Texte oft ins Deutsche übersetzt im Bild. Der Gesang erklingt wiederholt aus dem Off, während die Kamera das Meer und den Strand, oder die Mädchen, die Selfies machen, filmt. Die vielfältigen Eindrücke, welche das Publikum gemeinsam mit den Teilnehmerinnen an den beiden Schauplätzen Israel und Deutschland gewinnt, ergeben einen unterhaltsamen und lehrreichen Film. Klar wird dabei vor allem auch, dass der Prozess des Zusammenwachsens als Chor – wie als befreundete Gruppe – seine Zeit braucht und nicht immer geradlinig und planmäßig verläuft. 

Die jungen Kadyas (2021)

Von zirpenden Grillen und fallenden Sternen wollen sie singen. Die arabischen und jüdischen Mädchen aus Israel mit den Mädchen aus Deutschland. Einen unbeschwerten Sommer lang. Doch das Chorprojekt ist anstrengend: Aus zwei Chorkulturen soll über Nacht eine werden, all die Erwachsenen erwarten Disziplin von den Teenagern und dann schieben sich auch noch mit ganzer Macht Religion, Politik und Geschichte ihrer Heimatländer in das Sommerleben. Aber die Mädchen haben ihren eigenen Willen. Und so gelingt ihnen das Wunder, mit ihren Stimmen, ihren Träumen und ihrer unbändigen Kraft gegen alle Widerstände zu kämpfen und zugleich Hoffnung zu schenken auf eine neue, eine friedliche, eine bessere Welt, in der die Kunst vereint, was die Politik trennt.

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