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In „Der schattenlose Turm“ folgt Zhang Lu seinem (allzu) höflichen Helden durch Peking, zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsperspektiven.

Der schattenlose Turm (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Zu viel Höflichkeit

Ob er zu den Guten oder zu den Bösen gehöre, wird Gu Wentong (Xin Baiqing) zu Beginn von Zhang Lus „Der schattenlose Turm“ von seiner kleinen Tochter Xiao Xiao (Wang Yiwen) gefragt. Die Suche nach einer passenden Rolle und deren Einschätzung wird im Laufe des Films immer wieder von Bedeutung sein. Auch der Tonfall des Werks wird in der Eröffnungssequenz bereits treffend erfasst. Gu besucht das Grab seiner verstorbenen Mutter, zusammen mit seiner älteren Schwester, seinem Schwager und Xiao Xiao, die bei dem Paar aufwächst, seit sich Gu und seine Ex-Frau haben scheiden lassen. Nach der Verwunderung darüber, dass eine unbekannte Person Blumen am Grab niedergelegt hat, vollführt das Quartett recht unbeholfen ein kurzes Verbeugungsritual und macht sich wieder auf den Rückweg.

Rätsel sowie leiser Humor und familiäre Interaktion – diese Elemente begleiten uns durch die weitere Handlung. Bald erfährt Gu, dass die Blumen von seinem Vater Gu Yunlai (Tian Zhuangzhuang) stammen, der schon seit langer Zeit kein Teil der Familie mehr ist. Was genau zur Entfremdung geführt hat, wird erst viel später enthüllt. Zuvor erleben wir mit, wie der als Foodblogger tätige Gu der jüngeren Fotografin Ouyang Wenhui (Huang Yao) näherkommt, die hin und wieder Fotos für seine Artikel beisteuert. Die Chemie zwischen den beiden ist zunächst nicht ganz leicht zu entschlüsseln. Sind sie in the Mood for Love? Ist es eher eine platonische Liebe? Oder sehnt sich Ouyang womöglich nach einem Ersatzvater?

Die Kamera von Piao Songri fängt das (Vielleicht-)Paar beim Schlendern durch die Stadt ein. Peking erscheint dabei weniger als riesige, leuchtende Metropole, sondern wird ganz ungekünstelt als Ort mit viel Beton und etwas Straßenverkehr, aber meist ohne größere Ansammlungen von Menschen eingefangen. Magie in diesen Realismus bringt wiederum unter anderem die titelgebende (angeblich) schattenlose Weiße Pagode im Stadtzentrum. Welche Schatten wirft das Vergangene auf unser heutiges Dasein? Können beziehungsweise wollen wir diese Schatten loswerden?

Der koreanisch-chinesische Autorenfilmer zeigt seine Figuren häufig im Spiegelbild, in Fenster- oder Türrahmen oder auch mal auf dem Monitor einer Überwachungskamera. Sie werden in Bezug zu ihrer Umgebung, zur Eigen- oder Fremdwahrnehmung gesetzt. Letztere fällt oft ziemlich ernüchternd aus. Gu spricht nicht gerade schmeichelhaft über sich selbst – und auch sein Umfeld fällt an diversen Stellen harte Urteile über das eigene Leben. Ein Freund klagt, er sei schon viermal geschieden, eine Freundin bezeichnet sich wiederum als „alte Jungfer“ – und ein junges männliches Model, das bei Gu zur Untermiete wohnt, hat das Gefühl, einfach nichts auf die Reihe zu bekommen. Wenn ein alter Song fröhlich verkündet: „Peking heißt dich willkommen!“, dann wirkt das fast höhnisch.

Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die hier entstehen, sich vertiefen oder eine neue Richtung nehmen, muten zuweilen wie Rollenspiele an, deren Regeln insbesondere von Gu nicht durchschaut werden. „Ich küsse dich, nicht umgekehrt“, instruiert Ouyang, als die beiden sich ein Zimmer mieten. All seine Beziehungen seien an seiner Höflichkeit gescheitert, stellt Gu an anderer Stelle fest. Der schattenlose Turm enthält sehr viel Melancholie und Traurigkeit, wählt jedoch eher eine undramatische Art und Weise, um diese zu vermitteln. Während sich Melodramen oft gänzlich in die Schatten stürzen, wagt Zhang Lu ein paar interessante narrative und audiovisuelle Experimente und Verschiebungen, um von den Wunden der Vergangenheit und von dem Schmerz der Gegenwart zu erzählen.

Der schattenlose Turm (2023)

Gu Wentong ist ein alleinstehender Mann, dessen Vater seit mehr als 40 Jahren vermisst wird. Er lernt den jungen Fotografen Ouyang Wenhui bei dessen Arbeit kennen. Als Gu Wentong zufällig den Aufenthaltsort seines Vaters erfährt, ermutigt ihn der Fotograf, sich seinem Vater zu stellen und die lange verlorene Vater-Sohn-Beziehung wieder aufleben zu lassen.

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